Jens Kirsten / Christoph Schmitz-Scholemann (Hg.) – »Thüringer Anthologie – eine poetische Reise«

Gele­sen von Ulrich Kaufmann

Die »Thü­rin­ger Antho­lo­gie« – Eine poe­ti­sche Landeskunde

 

Zwi­schen 2014 und 2017 hat die Tages­zei­tung »Thü­rin­ger All­ge­meine« jeden Sams­tag, Woche für Woche, ein Gedicht mit Thü­rin­gen-Bezug abge­druckt. Es waren152 lyri­sche Texte, die von 100 »Rezen­sen­ten« auf engs­tem Raum kom­men­tiert wur­den. Dass dies Dich­ter und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler taten, ist kaum ver­wun­der­lich. Aber dass ein Bischof, ein Ober­bür­ger­meis­ter, ein Thea­ter­in­ten­dant, der Theo­loge Fried­rich Schor­lem­mer, die frü­here Minis­ter­prä­si­den­tin Chris­tine Lie­ber­knecht und der Bun­des­be­auf­tragte für die Stasi-Unter­la­gen Roland Jahn und andere sich zu lyri­schen Tex­ten äußer­ten, ist so all­täg­lich nicht.

Es ist her­vor­zu­he­ben, dass es eine regio­nale Zei­tung war, die sich eines sol­chen Unter­fan­gens annahm. Die FAZ hat als große deut­sche Tages­zei­tung – zu Zei­ten des »Lite­ra­tur­paps­tes« Mar­cel Reich-Rani­ckis – die »Frank­fur­ter Antho­lo­gie« ins Leben geru­fen, die in etli­chen Bän­den doku­men­tiert ist. Die­ser Groß­ver­such hat gewiss für die »Thü­rin­ger Antho­lo­gie« Pate gestan­den. Die Her­aus­ge­ber haben zunächst nicht gewusst, dass die­ses Pro­jekt in ein Buch mün­den würde.

Kurzum, es liegt ein veri­ta­bler Band mit 390 Sei­ten vor, der deut­sche Gedichte vom Hoch­mit­tel­al­ter bis zu Gegen­wart prä­sen­tiert. Allein der Abdruck der lyri­schen Texte wäre ein ver­dienst­vol­ler Bei­trag zur poe­ti­schen Lan­des­kunde Thü­rin­gens gewe­sen. Es ist bekannt, dass wenige Men­schen Lyrik lesen. Und so baten die Her­aus­ge­ber Jens Kirs­ten und Chris­toph-Schmitz-Schole­mann die Kom­men­ta­to­ren als Brü­cken­bauer zu fun­gie­ren. Dahin­ter stand die Idee, zunächst den Zei­tungs­le­sern und nun­mehr den Leh­rern, Schü­lern und ande­ren poten­ti­el­len Lesern mög­li­che und freud­volle Zugänge  zu den Gedich­ten zu schaffen.

Die Antho­lo­gie bie­tet eine breite Palette lyri­scher Mög­lich­kei­ten an: Min­ne­lie­der, poli­ti­sche Gedichte, Land­schafts­ge­dichte, phi­lo­so­phi­sche Gedichte, ero­ti­sche und fri­vole Lyrik, Oster- und Weih­nachts­ge­dichte, das Trin­ker-Gedicht eines anony­men rus­si­schen Stu­den­ten (1858) und man­ches mehr.

Ein Bei­spiel kann für das gesamte Anlie­gen des Buches ste­hen: Mit acht kom­men­tie­ren­den Tex­ten geht der vier­und­acht­zig­jäh­rige Wulf Kirs­ten, Nes­tor der Thü­rin­ger Lite­ra­tur, voran. Kirs­ten, ein Land­schaf­ter von natio­na­lem Rang, ist glei­cher­ma­ßen Essay­ist und Her­aus­ge­ber. Er kann aus dem Vol­len schöp­fen, da er bereits zwei Thü­rin­gen-Antho­lo­gien vor­zu­wei­sen hat.  Auch ein Lyrik­ken­ner wird nicht alle Dich­ter ken­nen, die der Wei­ma­rer Poet aus­wählte: Inge­borg Stein, Rein­hard Preuß, August Thieme, Ste­phan August Win­kel­mann, Heinz Win­fried Sabais, Georg Wil­helm Schmidt von Lübeck, Wal­ter Bähr sowie Karl Schnog. Kirs­ten, von dem in der Antho­lo­gie zwei Texte vor­ge­stellt wer­den, hat als Lyri­ker und bele­se­ner Lek­tor den dop­pel­ten Blick. Mit weni­gen Stri­chen lässt er ein Poe­ten-Por­trät ent­ste­hen, das Zugänge zum jewei­li­gen Text anbie­tet. Im Band erhält Wulf Kirs­ten ein Wid­mungs­ge­dicht (»Eine Fahrt nach Wei­mar«), wel­ches ihm der süd­ko­rea­ni­sche Dich­ter KIM Kwang- Kyu zum 80. Geburts­tag schenkte.

Durch geschmack­voll ein­ge­fügte Schwarz-Weiss-Fotos mit Thü­rin­ger Moti­ven wird die Publi­ka­tion berei­chert. Hin­ge­gen fiel das Cover etwas fade aus. Das Per­so­nen­re­gis­ter wäre noch hand­hab­ba­rer gewe­sen, wenn man ver­merkt hätte, auf wel­cher Seite die Texte der Bei­trä­ger jeweils zu fin­den sind. Dies gilt umso mehr, als sich das (schön gesetzte) Inhalts­ver­zeich­nis  über neun (!) Sei­ten erstreckt und die Gedichte nicht chro­no­lo­gisch ange­ord­net wur­den. Das hier vor­ge­stellte Pro­jekt ver­dient – mit oder ohne Tages­zei­tung – einen II. Band!

 

  • Thü­rin­ger Antho­lo­gie –Eine poe­ti­sche Reise. Her­aus­ge­ge­ben von Jens Kirs­ten und Chris­toph Schmitz-Schole­mann. Wei­ma­rer Ver­lags­ge­sell­schaft in der Ver­lags­gruppe Römer­weg GmbH 2018. ISBN 978–3‑7374–0272‑2.  390 Seiten,18 Euro.
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