1940 Bunzlau
2001 Leimen
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Weiterführende Informationen
Harald Gerlach im Autorenlexikon
Lothar Ehrlich
Thüringer Literaturrat / Literarische Gesellschaft Thüringen e.V.
Der Dichter und Theatermann Harald Gerlach entwickelte in dem späten Prosatext »Fortgesetzte Landnahme oder Wo der Weltkrieg wirklich begann« (1997), der sich mit dem deutschen Vereinigungsprozess kritisch auseinandersetzt, eine eigenständige dialektische Erinnerungsstrategie, die sich zumal auf den Umgang mit seiner künstlerischen Biographie bezieht. Dabei unterschied er zwischen der ersten Heimat Schlesien, in der er 1940 geboren wurde und die er mit den Eltern 1945 verlassen musste, und der zweiten Heimat Thüringen, in der er fast ein halbes Jahrhundert lebte und künstlerisch höchst produktiv wirkte – zunächst im südthüringischen Grabfeld, in Römhild, dann drei Jahrzehnte in Erfurt und Rudolstadt. Anfang der 1990er Jahre verließ er seine zweite Heimat und zog nach Leimen bei Heidelberg.
Hier entstand sein spätes literarisches Werk, hier starb er 2001, wurde aber auf seinem Wunsch hin auf dem Friedhof in Römhild beigesetzt. So war er in seine Heimat für immer zurückgekehrt. Harald Gerlachs Schaffen ist außerordentlich vielseitig, es umfasst alle drei literarischen Gattungen und bezieht seit Anfang der 1990er Jahre verschiedene essayistische Genre mit ein. Dies führt zwischen 1991 und 2000, neben umfangreichen lebens- und werkgeschichtlichen Darstellungen etwa zu Goethe, Schiller und Heine, zu nahezu 100 literarischen Sendungen zur deutschen Kulturgeschichte für den Rundfunk. Daneben schreibt er Romane, Erzählungen und Gedichte. Dramatische Texte entstehen allerdings nicht mehr, weil er das Theater, das in seiner Erfurter und Rudolstädter Zeit wohl im Zentrum stand, als öffentliche Stätte gesellschaftlich eingreifender Wirkung inzwischen aufgegeben hatte.
Das publizierte Werk Gerlachs umfasst über 20 Bücher (Romane, Erzählungen, Gedichte, Theatertexte, Essays), die zwischen 1972 und 2004 erschienen, zunächst ausschließlich im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar. Von den frühen Gedichten (1972) und den Geschichten aus dem Band »Vermutungen um einen Landstreicher« (1978) bis zu den späten autobiographischen Romanen »Windstimmen« (1997) und »Blues Terrano« (2001) sind erinnerungskulturelle künstlerische Intentionen bestimmend, und zwar sowohl auf den Dichter selbst als auch auf seine widerspruchsvolle geschichtliche Epoche bezogen. Sie strukturieren seine literarischen Werke, prägen originelle künstlerische Formen aus. Dabei erweitern sich die nationalen und internationalen Horizonte der mit differenzierten literarischen und sprachlichen Mitteln dargestellten subjektiven Wirklichkeitserfahrungen im oft auch tragischen Spannungsfeld von individueller Freiheit beanspruchendem künstlerischen Ich und dieses einschränkender Welt. Gerlachs Verständnis als Künstler schärfte sich vornehmlich auch in der Auseinandersetzung mit gleichermaßen disponierten literarischen Vorbildern, mit sozialen Außenseitern.
Das betrifft zunächst die Schriftsteller der Aufklärung Johann Peter Uz (1720–1796), über dessen Aufenthalt in Römhild er die Novelle »Abschied von Arkadien« (1988) schrieb, und besonders Johann Christian Günther (1695–1723). Das Schicksal dieses schlesischen Lyrikers inspirierte Gerlach zum Theaterstück »Die Straße« (UA Erfurt 1979). Und das betrifft Christian Dietrich Grabbe (1801–1836) – dem neben Georg Büchner bedeutendsten Dramatiker des Vormärz – dessen desillusionierendes Lustspiel »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung« die Vorlage für ein Opernlibretto bildete, das Karl Ottomar Treibmann vertonte und das 1987 in Erfurt uraufgeführt wurde. Beide Inszenierungen waren kulturpolitisch und künstlerisch brisante Ereignisse in der erstarrten gesellschaftlichen Realität der DDR. Dass Harald Gerlach indessen nicht nur die Emanzipation und Autonomie des Künstlers, sondern aller Individuen in ihrer Auseinandersetzung mit Raum (Heimat) und Zeit (Epoche) thematisierte und problematisierte, lässt sein letzter Roman »Blues Terrano. Neue Windstimmen« (2001) erkennen.
Gerade wegen der Bedeutsamkeit der biographischen Ursprünge und Entwicklungen für die Identität eines Individuums gestaltet er mit sensibler poetischer Subjektivität die anhaltende Verunsicherung des Ichs in den permanenten geschichtlichen Wandlungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Dass dabei in Figur und Handlung Tendenzen deprimierender Welterfahrungen hervortreten, die die Verwirklichung der Ansprüche des einzelnen in Zweifel ziehen, verweist auf den rigorosen kritischen Realismus des Dichters.
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