1873 Mettmann/Elberfeld
1926 Berlin
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Silke Opitz
Silke Opitz (Hg.): Zwei Räume für sich allein. Maria von Gneisenau und Schloss Molsdorf, Berlin 2016.
Maria Anna Auguste Elisabeth von Bonin, auch Mary oder Marie genannt, wurde am 11. Oktober 1873 in Mettmann/Elberfeld geboren. Sie wuchs in Berlin und Brettin auf.
Äußerst standesbewusst und voller Erwartungen schickte sie sich in die ihr vorgesehene Rolle als (schöne und repräsentative) Ehefrau und Mutter: Die Hochzeit 1892 mit Hugo Gustav Georg Friedrich-August Neidhardt von Gneisenau, einem Urenkel des berühmten Generalfeldmarschalls, war nicht nur ein gesellschaftliches Ereignis am Berliner Hof. Sie machte aus der jungen Dame auch »Frau Gräfin«. Als dann noch zwei Söhne aus dieser Verbindung hervorgingen, schien das Familienbild perfekt. Doch nach dem Umzug 1901 von Potsdam auf das abgelegene Gneisenausche Anwesen Sommerschenburg wurde schnell klar, dass die Ehegatten (zu) verschieden waren. 1905 wurde die Ehe geschieden, und 1906 bezog die Gräfin eine Stadtwohnung in Berlin-Charlottenburg.
Noch in Sommerschenburg hatte sie begonnen zu schreiben. Sie suchte zudem den Kontakt zur Schriftstellerin und Dichterin Sophie Hoechstetter (1873–1943), mit der sie bis ca. 1908/10 eine enge Beziehung unterhielt. Wahrscheinlich sah Maria von Gneisenau in Hoechstetter und ihren Werken allerdings weniger ein konkretes Vorbild für ihre eigenen literarischen Versuche. Stattdessen interessierte sie sich wohl – und vielleicht einmal mehr vor dem Hintergrund ihrer gescheiterten Ehe – für Hoechstetters pseudoanalytische, durchaus psychologisierende »Beziehungs-Tableux« im Hinblick auf darin verhandelte (neue) Geschlechteridentitäten und ‑verhältnisse. Zudem erinnert die Beziehung der Gräfin mit Hoechstetter an jene von Vita Sackville-West und Virginia Woolf.
Über diese und weitere Verbindungen zu Künstlern, der Boheme und Demimonde schien sich die Gneisenau ausprobieren und inszenieren zu wollen. Diesen Eindruck hatte auch Harry Graf Kessler gewonnen und in seinem Tagebuch festgehalten, nachdem er der Gräfin schon 1900 im Berliner Haus ihres Halbbruders Karl von der Heydt begegnet war. Im Sommer 1906 lernte Maria von Gneisenau über von der Heydt auch Rainer Maria Rilke kennen. Dessen Werk beeindruckte und beeinflusste sie hinsichtlich ihrer eigenen Lyrik sehr. Ihr Briefwechsel mit dem Dichter gibt zudem Auskunft über das Verhältnis von Mann und Frau. Er beleuchtet auch das Rollenbild des Künstlers wie das der Frau von Stand und somit die unterschiedlichen (bürgerlichen und aristokratischen) Auffassungen von Kunst und Leben. Sowohl die Gneisenau als auch Rilke nutzten verschiedene Kunstformen zur Selbstinszenierung und ‑stilisierung
1908 publizierte Maria von Gneisenau ihren ersten (Vers-) Roman Aus dem Tal der Sehnsucht, mit welchem sie vor allem ihr Gefühl des »Unerfülltseins« thematisierte, das durchaus auch ein sexuelles meinte. In den folgenden Jahren, die sie u.a. in Dornburg/Saale in der »Frauenkolonie« um Frieda und Sophie von Bülow verbrachte, entstand die Erzählung Die Wiederkunft, in der sie uneheliche Mutterschaft verhandelte. 1911 erschienen in einem Band die Erzählungen Die letzte Aventiure des Herzogs Kindheart Gant und Requiem. Mit dem erstgenannten Text, welcher die posthum publizierte Novelle Der Tod des Adrian Güldenkrone vorwegzunehmen scheint, thematisiert sie sehr wahrscheinlich und lyrisch verbrämt ihre gescheiterte Ehe mit Neidhardt von Gneisenau.
1909 ist Maria von Gneisenau als Mitglied des Berliner Lyceum-Clubs verzeichnet, der sich als sozial engagierter Verband von und für Frauen besonders der Unterstützung von Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen widmete. Im selben Jahr erwarb sie Schloss Molsdorf. Sie betrieb den Umbau des Anwesens als künstlerisches Projekt, das ihr neben der Literatur half, ihre Sinn- und Lebenskrise zu überwinden. Davon künden vor allem zwei einmalige Wohnräume, mit deren Entwurf und Ausführung die Gräfin 1909 Paul Schultze-Naumburg und die Saalecker Werkstätten beauftragte: ein kostbar ausgestattetes Marmorbad und ein fantastisch dekorierter Ruheraum, der mit einem Aquarium vor dem hohen Fenster weniger an eine Grotte als an den Meeresgrund erinnert. 1914 ließ die Gneisenau ferner den Pavillon im Schlossgarten zur Automobilgarage umbauen und übertrug das an sich schon bemerkenswerte Vorhaben noch dazu einer Frau: Emilie Winkelmann gilt als erste freie deutsche Architektin überhaupt.
In Molsdorf hatte die Gneisenau auch ihre wohl eigenständigste und originellste Erzählung Halbdunkle Reflexionen verfasst: Der nicht ganz stringente Text erscheint leicht kafkaesk und ist dem Unbewussten gewidmet.
1918 heiratete die Gräfin Georg Baron von Manteuffel-Szoege. Sie verkaufte Molsdorf 1923 und verbrachte von nun an die Sommersaison auf den Gütern ihres Ehemannes in Polen. Am 10. August 1926 verstarb Maria von Gneisenau nach schwerer Krankheit in Berlin. Sie ist im Familiengrab derer von Manteuffel-Szoege in Pappenheim beigesetzt.
Sicher muss Maria von Gneisenau hinsichtlich ihres Lebensmodells wie Kunstgeschmacks als konservativ-traditionell gelten. Umso interessanter erscheinen daher ihre Versuche, sich als Frau zu emanzipieren und sich als Schriftstellerin zu betätigen. Festzuhalten bleibt, dass sie sich zwar als Dichterin und Schriftstellerin verstand, ihre entsprechende Tätigkeit aber nie als Profession auffasste oder mit jener für Künstler/innen oft charakteristischen Bestimmtheit und Ausschließlichkeit betrieb. So scheint sie kaum bestrebt gewesen zu sein, einen eigenen Stil auszubilden oder gar eine literarische Position zu entwickeln. Sie pflegte alles Künstlerische als intensive Beschäftigung in einem Alltag, der sich weniger der Kunst als des standesgemäßen Lebensmodells wegen nicht in Arbeit und Freizeit unterteilen ließ. Die Lektüre wie auch das Schreiben dienten der Gräfin jedoch nicht nur als gehobener Zeitvertreib, sondern auch als Kulturtechniken. Mit deren Hilfe konnte sie ihre jeweilige Lebenssituation und mitunter auch die der Frau generell reflektieren und verarbeiten. Wenn auch verhalten und zögerlich, vermochte es die Gneisenau, Veränderungen ihrer Zeit zu erkennen und sich mit diesen zu arrangieren, wobei allerdings Veränderungen im weiteren Bereich oder Rahmen ihres wilhelminisch geprägten, elitären Lebensraums und entlang des darin vorgegebenen Entwicklungsweges gemeint sind.
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