Im Konzentrationslager Buchenwald und seinen Außenlagern wurden weit über 100 Schriftsteller aus aller Herren Länder gefangengehalten, gequält und ermordet
Ich schaue mich um, auf der Suche nach Hilfe. Vergebens. Es ist niemand da. Nur das Rauschen des Windes, der wie immer über diesem Hang des Ettersberges weht. Im Frühling, im Winter, lau oder eisig, immer der Wind über dem Ettersberg. Wind der vier Jahreszeiten über Goethes Hügel, über den Rauchschwaden des Krematoriums.
Das Konzentrationslager Buchenwald ein Thüringer Dichterhaus? Weckt dieses Wort nicht ganz andere Assoziationen? Mögen diese Herbergen herrschaftlich oder karg gewesen sein. Das Arbeitszimmer, der Schreibtisch oder das Stehpult, im sanften Kegel des Lampenlichts das Papier und die Feder. Die geöffneten Fenster am Morgen. Der Gesang der Vögel. In Buchenwald gab es keinen Vogellaut mehr, berichtet immer wieder Jorge Semprun. »Der Geruch des verbrannten Fleisches hatte sie vertrieben.«
Die Anthologie Stimmen aus Buchenwald. Ein Lesebuch, herausgegeben von Holm Kirsten und Wulf Kirsten versammelt Texte von mehr als 60 Autoren aus über 13 Ländern. Holm Kirsten, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Museologe an der Gedenkstätte Buchenwald und Verfasser des Buches Weimar im Banne des Führers, betont: es waren viel mehr als diese Anthologie vereint, weit über 100. Die Dunkelziffer sei noch sehr groß, vor allem, wenn man an die osteuropäischen Länder denkt. Sie litten zusammengepfercht und zusammengepresst auf diesem Berg, dem Lieblingsort Goethes. Sie vegetierten unter unvorstellbaren Bedingungen im sogenannten »kleinen Lager«. Sie schufteten in den 87 Außenlagern wie Fred Wander in Crawinkel oder Imre Kertèsz in Rehmsdorf bei Zeitz, Jean Amery, Stéphane Hessel und Boris Pahor in Mittelbau-Dora. »Crawinkel hieß der Flecken nahe dem Lager. (hat Goethe diesen idyllischen Krähwinkel denn nirgends erwähnt«, fragt Fred Wander in seiner Erzählung Der siebente Brunnen Die Arbeits-und Lebensbedingungen in der ›Hölle von Dora‹, wie Überlebende später die harten Monate des Stollenausbaus im Herbst und Winter 1943/44 bezeichneten, übertrafen an Schrecken fast alles, was die Häftlinge in ihrer vorherigen Lagerhaft hatten erleben müssen.
In Mittelbau-Dora kamen jene Häftlinge, die unter Tage die Stollen vortrieben nicht mehr ans Licht. Sie vegetierten in den »Schlafstollen« – was für ein Wort.
Da war der Buchenwald-Häftling Fritz Löhner-Beda, der Librettist von Franz Lehárs »Land des Lächelns«. Wer kennt nicht noch heute seine Schlagertexte »Was machst du mit dem Knie, lieber Hans…« oder »Ausgerechnet Bananen«. Während man sie unten in Weimars Gassen pfiff, schrieb er hinter Stacheldraht das »Buchenwaldlied«. »Wenn der Tag erwacht, eh‹ die Sonne lacht, / die Kolonnen ziehn zu des Tages Mühn« lauten die ersten Verszeilen. Löhner-Beda starb 1942 in Auschwitz- Monowitz.
Andere kehrten ins Leben zurück und wurden unter Qual und Schmerz Schriftsteller wie Ernst Wiechert, Elie Wiesel, Bruno Bettelheim, Imre Kertèsz oder Bruno Apitz. »Immer wieder«, bedenkt Semprún in seinem Roman-Essay »Schreiben oder Leben«, kehre er zum Ettersberg, »dem sonderbaren Vaterland« zurück. Er sei »dem Tod nicht entronnen«, sondern er habe »ihn durchquert«. Eugen Kogon bedenkt in einer späteren Auflage von »Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager«, jenem ersten, grundlegenden Dokument über das System des Lagerterrors: Ich schrieb 1945, in meinem Vorwort zur Erstauflage des Buches: ›Es steht an der Grenze des Sittlich-Erlaubten, denn es bringt inhaltlich kaum etwas Gutes. Aus den abgründigen Zonen, die ich in sieben Jahren, inmitten Geblendeter und Verdammter, die wie besessen gegen jede Spur von Menschenwürde anrasten, durchwandert habe, läßt sich nichts Gutes berichten. Da es aber ein Ecce-Homo-Spiegel ist, der nicht irgendwelche Scheusale zeigt, sondern dich und mich, sobald wir nur dem gleichen Geiste verfallen, dem jene verfallen sind, die das System geschaffen haben, muß er uns vorgehalten werden.‹
Die Überlebenden aber sprechen von ihren Schuldgefühlen. Der Auschwitzhäftling Primo Levi schreibt in seinem Testament »Die Untergegangenen und die Geretteten«: Ich wiederhole: Nicht wir, die Überlebenden sind die wirklichen Zeugen. Das ist eine unbequeme Einsicht, […] Wir Überlebenden sind nicht nur eine verschwindend kleine, sondern auch eine anormale Minderheit: Wir sind die, die aufgrund von Pflichtverletzung, aufgrund ihrer Geschicklichkeit oder ihres Glücks den tiefsten Grund des Abgrunds nicht erreicht haben. Wer ihn berührt, wer das Haupt der Medusa erblickt hat, konnte nicht mehr zurückkehren, um zu berichten, oder er ist stumm geworden.
Dichterhaus Buchenwald, ein Gehäuse der Gewalt (Wolfgang Sofsky). Das Leben der Schriftsteller wie das ihrer Mithäftlinge zählte nichts, es galt als »unwert«. Sie alle wurden Bedingungen unterworfen, in denen durch die »räumliche Verdichtung« die Scham- und Intimgrenzen niedergetreten waren.
Wenn ein Tourist nach Weimar kommt, so besucht er gewiß das Goethehaus am Frauenplan. […] Nicht sehen kann er von Goethes Haus den Ettersberg, aber er kann hinüberfahren… schreibt der jüdische Germanist Hans Eichner.
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