Karl Emil Franzos – Im Schwarzatal
12 : Von Schwarzburg nach Blankenburg

Person

Karl Emil Franzos

Orte

Schwarzburg

Bad Blankenburg

Thema

Thüringen im literarischen Spiegel

Autor

Karl Emil Franzos

Aus Anhalt und Thüringen, Rütten & Loening, Berlin 1903.

Der Weg von Schwarz­burg nach Blan­ken­burg geht immer durch Wald, fast immer zwi­schen Fel­sen und die rau­schende Schwarza ent­lang; und wenn es nicht die hüb­sches­ten zehn Kilo­me­ter deut­scher Erde sind, so gehö­ren sie doch mit zu den hüb­sches­ten. Eine breite, wohl­ge­pflegte Chaus­see führt hin­durch, auf der viele Wagen und Omni­busse hin und her rol­len, und schon dies ver­trägt sich mit dem Cha­rak­ter die­ses wil­den, tief und eng geris­se­nen Wald­tals nicht recht. Daß aber hier keine Bahn pfeift und qualmt, tut wirk­lich nur den Wir­ten bei­der Orte weh, hin­ge­gen nicht bloß den Kut­schern im Schwarz­a­tal, son­dern auch allen Natur­freun­den wohl. Der Fürst duldet’s nicht und hat sehr recht daran; es wäre nicht hübsch und selbst die Divi­dende frag­lich. Denn wer sich begnügte, hier in fünf­zehn Minu­ten hin­durch­zu­sau­sen, wäre so dumm, daß man sich’s höf­li­cher­weise gar nicht den­ken kann.

[…]

Recht habe ich dies schöne Stück Erde erst ken­nen­ge­lernt, als ich es zu Fuß durch­schritt. Es ist der Mühe wert, obwohl man dabei weni­ger Über­ra­schun­gen erlebt als in ande­ren kür­ze­ren, weni­ger berühm­ten Tälern, nament­lich der Alpen. Immer geht’s zwi­schen Fels und Wald an der Schwarza dahin, und das Bild ist wohl hier hei­te­rer, dort düs­te­rer, aber stets wild und anmu­tig zugleich; Unheim­li­ches oder auch nur Gewal­ti­ges ist hier nicht zu sehen, so wenig wie Zah­mes und Arti­ges. Darum kann man wohl auch von Men­schen mit über­sat­ten Sin­nen, denen Fackeln ins Auge ste­chen müs­sen, damit sie Licht sehen, oder von der Legion ande­rer, die vor­treff­li­che Augen haben und doch nicht sehen, die Äuße­rung hören, für einen Kilo­me­ter rei­che der ein­för­mige Reiz aus, aber nicht für zehn. Mir aber war die Weg­stre­cke für die Beine gerade lang genug, aber den Augen wäre die drei­fa­che zu kurz gewe­sen. Denn in Wahr­heit ist kein Streck­chen dem andern gleich, und jedes hat sei­nen beson­de­ren Reiz. Frei­lich, die Schwarza gibt’s auf dem gan­zen Wege und Wald und Fel­sen auch, aber wie ver­schie­den sind sie!

Wer von Schwarz­burg aus­zieht, kommt zuerst durch hel­len, hei­tern Buchen­wald, und auch die Fel­sen, deren einer die Auf­schrift »Fürst Gün­ther« trägt, sehen nicht fins­ter drein. Dann weicht die Buche der Tanne, ohne sich doch ganz ver­drän­gen zu las­sen, und wäh­rend der Wan­de­rer so den schat­ti­gen Fuß­steig dahin­schrei­tet, dicht zur Rech­ten die Schwarza, zur Lin­ken aber in respekt­vol­ler Ent­fer­nung die Chaus­see, kann er seine Freude dran haben, in wie unsäg­li­cher Fülle der Varia­tio­nen das glän­zende Hell­grün des Laubs und das stumpfe Tief­grün der Nadeln gegen­ein­an­der spie­len; bald sind dem Tan­nen­meer die Buchen nur ein­ge­sprengt wie leuch­tende Inseln, bald den Buchen die Tan­nen wie ragende Hügel, und an ande­ren Hän­gen schlin­gen sie sich ineinander.

[…]

 Karl Emil Franzos – Im Schwarzatal:

  1. Das provisorische Nachtquartier – Von Erfurt nach Oberhof
  2. »Die Marlitt als Geschäftsfrau« – Von Arnstadt nach Stadtilm
  3. »Hasenscharten, Kobolde und Wassermänner« – Von Stadtilm nach Oberrottenbach
  4. »Langsam, langsam, ich hab Zeit« – Von Oberrottenbach nach Schwarzburg
  5. »Thüringer Hof« oder »Weißer Hirsch« – Quartiersuche in Schwarzburg
  6. Im »Weißen Hirsch« zu Schwarzburg
  7. Ein Gesetzesentwurf für die Thüringer Gastronomie
  8. Schloss Schwarzburg
  9. Das Zeughaus
  10. Ausflug zum Trippstein
  11. Von der Fasanerie ins Schwarzatal
  12. Von Schwarzburg nach Blankenburg
  13. Am »Schweizerhaus«
  14. Blankenburg
  15. Der Greifenstein
  16. Der erste Kindergarten der Welt
  17. Im Werretal
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