Karl Emil Franzos – Im Schwarzatal
13 : Am »Schweizerhaus«

Person

Karl Emil Franzos

Orte

Bad Blankenburg

Schwarzburg

Thema

Thüringen im literarischen Spiegel

Autor

Karl Emil Franzos

Aus Anhalt und Thüringen, Rütten & Loening, Berlin 1903.

Das »Schwei­zer­haus«, wo der Weg nach die­sem Rät­sel abzweigt, ist die Woh­nung eines Wild­wär­ters, der durch eine statt­li­che Magd auch Bier und Milch aus­schen­ken läßt, und diese Magd heißt – die Ästhe­ti­ker mah­nen uns immer, in unsere Schil­de­run­gen durch Ein­zel­hei­ten Farbe zu brin­gen, und ich sehe gar nicht ein, warum ich hier die Farbe spa­ren sollte, da ich sie zufäl­lig auf der Palette habe – die dicke Kath­rin. Als ich sie zuerst sah – der Omni­bus­kut­scher hatte auch hier auf meine Gesund­heit getrun­ken –, war sie sehr lus­tig, jetzt aber blickte sie ordent­lich düs­ter drein. Den Grund wollte sie mir nicht sagen, aber ehe ich auf­brach, fragte sie schein­bar unbe­fan­gen, ob ich denn schon die große Neu­ig­keit gehört hätte, von der alle Welt im Tal rede, der Kut­scher habe sich mit dem Zim­mer­mäd­chen vom »Chry­so­pras« bei Blan­ken­burg ver­lobt. Ich wußte es noch nicht, aber nun ver­stand ich alles.

Bis zum »Schwei­zer­haus« sor­gen eigent­lich nur Fluß und Wald für die Abwechs­lung, Berg und Fel­sen blei­ben sich an Höhe und Form ziem­lich gleich. Hier aber begin­nen sie jäh­lings empor­zu­wach­sen, und auch ihre Form und Farbe wech­seln von Schritt zu Schritt. Das ist keine Über­trei­bung, denn es ist Ton­schie­fer, und man weiß, wie selt­sam, scharf und zackig sich dies Gestein unter dem Ein­fluß der Sonne und des Was­sers formt. Dazu die unzäh­li­gen schrof­fen Win­dun­gen des Tals; hun­dert Schritte lang drängt das Gestein links vor und dann wie­der das rechts; so geht’s immer im Zick­zack, immer in kur­zen tie­fen Schluch­ten dahin, und immer hat man die Emp­fin­dung: dies ist die letzte, und es geht nicht wei­ter – aber da rauscht ja neben dem Wan­de­rer fröh­lich der tap­fere Genoß und Pfad­grä­ber, die Schwarza. Ihr ist auch die erst ein Jahr­hun­dert alte Chaus­see gefolgt; fran­zö­si­sche Schule: man trotzt der Natur nicht, son­dern sucht sich ihr anzu­schmie­gen. Wer eine der stei­len, aber unschwer zu erklim­men­den Kup­pen besteigt, den Gries­bach­fel­sen zum Bei­spiel – auch die Teu­fels­treppe, die zu ihm empor­führt, ist das Werk eines bra­ven, vor­sorg­li­chen Teu­fels –, und nun hin­ab­blickt, hat die Emp­fin­dung, als wäre das Gestein von lau­ni­scher Kin­der­hand wie mit der Laub­säge ent­zwei­ge­teilt; so aben­teu­er­lich sind die Krüm­mun­gen des Fluß­tals. Darum wech­selt auch so oft die Beleuch­tung, immerzu hüpft der Son­nen­schein von der lin­ken zur rech­ten Berg­wand und umge­kehrt. Auch diese Wände zei­gen alle Spiel­ar­ten der Farbe und Form. Rot, braun, schwarz erscheint der Schie­fer, je nach dem Grad der Ver­wit­te­rung, dazwi­schen steht das Grau des Sand­steins; von hell­grü­nen Büschen durch­wach­se­nes Geröll bedeckt die Abhänge, mit­ten­drin leuch­tet das Rot wil­der Rosen, dro­ben ste­hen schwarz­grüne uralte Tan­nen, deren Wur­zeln wie mäch­tige Bogen die Luft durch­schnei­den, denn das Geröll, durch das sie sich einst wan­den, den Fels­bo­den zu errei­chen, ist zur Tiefe gestürzt; über ihnen aber blinkt in son­nen­ge­tränk­tem Blau das schmale Band des Him­mels. Auch an ver­schie­de­ner Musik fehlt’s nie: Wald und Fluß rau­schen, Vögel sin­gen, der Specht klopft. Frei­lich sin­gen auch die Aus­flüg­ler »Wer hat dich, du schö­ner Wald« und andere Lie­der dazwischen …

[…]

 Karl Emil Franzos – Im Schwarzatal:

  1. Das provisorische Nachtquartier – Von Erfurt nach Oberhof
  2. »Die Marlitt als Geschäftsfrau« – Von Arnstadt nach Stadtilm
  3. »Hasenscharten, Kobolde und Wassermänner« – Von Stadtilm nach Oberrottenbach
  4. »Langsam, langsam, ich hab Zeit« – Von Oberrottenbach nach Schwarzburg
  5. »Thüringer Hof« oder »Weißer Hirsch« – Quartiersuche in Schwarzburg
  6. Im »Weißen Hirsch« zu Schwarzburg
  7. Ein Gesetzesentwurf für die Thüringer Gastronomie
  8. Schloss Schwarzburg
  9. Das Zeughaus
  10. Ausflug zum Trippstein
  11. Von der Fasanerie ins Schwarzatal
  12. Von Schwarzburg nach Blankenburg
  13. Am »Schweizerhaus«
  14. Blankenburg
  15. Der Greifenstein
  16. Der erste Kindergarten der Welt
  17. Im Werretal
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