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Thüringen im literarischen Spiegel
Karl Emil Franzos
Aus Anhalt und Thüringen, Rütten & Loening, Berlin 1903.
Das Schloß abgerechnet, das für sich eine ganze Siedelung mit allem Zubehör ist, besteht der Ort aus zwei Teilen, dem Hotelviertel auf dem Schloßberg, dem Dorf Talschwarzburg an seinem Abhang und im Flußtal. Das Hotelviertel besteht aus fünf stattlichen Häusern, von denen dem Gebieter des »Weißen Hirsch« drei zugehören, lebt schlecht und recht oder vielmehr, da Friedrichroda und Oberhof zu seinen Ungunsten emporgekommen sind, mehr schlecht als recht vom Taler des Fremden und wird im Durchschnitt nicht besser noch schlechter verwaltet als das Thüringer Gasthofwesen überhaupt. Die herrliche Waldlandschaft, die günstige Lage im Herzen Deutschlands sorgt für Zuspruch; der Mensch tut nicht viel dazu. Gründliche Wandlung könnte nur ein Gesetz bewirken:
Jeder Thüringer Wirtssohn muß, eh er das väterliche Geschäft übernimmt, ein Jahr im Schwarzwald, zwei am Rhein und drei in der Schweiz Kellner sein und bei Übernahme des Geschäfts seine Eltern ins Ausgedinge setzen. Dreinzureden haben sie nichts, namentlich nicht bezüglich der Betten, der Küche und der Notwendigkeit des Staubwedels.
Wer in Thüringer Gasthöfen Bescheid weiß, wird diesen Gesetzentwurf nicht allzu drakonisch finden, auch hier nicht die Stimme eines Feindes, sondern die eines Freundes des schönen Landes heraushören.
Das Dorf Schwarzburg gleicht hundert anderen in Thüringen, höchstens daß es der vielen neuen, für die Sommergäste in städtischem Stil aufgeführten Häuser wegen noch etwas unhistorischer, man möchte sagen künstlicher aussieht als viele seinesgleichen; selbst die Kirche ist ein Neubau und nur die Barockkanzel von 1712. Und doch ist es eine uralte Wohnstätte; zwar erst 1072 in Urkunden genannt (»Swartzinburc«), aber zweifellos noch Jahrhunderte älter. Gleichwohl trügt der erste Eindruck nicht; es ist ein Ort, der gleichsam nie um seiner selbst willen bestand, und solche Orte haben keine charakteristische Prägung, weil sie keine eigene Geschichte haben.
Lange war »Swarsburg villa« nur um des »castrum Swarsburg« willen da, der Wohnsitz der Dienstleute, Tagelöhner und Handwerker, die im Schloß nötig waren, und jetzt ist’s daneben auch gleichsam die Arbeitsstube des Hotelviertels: hier wird für die Fremden gebacken, geschlachtet, die Wäsche gewaschen. Daneben ist’s eine bescheidene Konkurrenz dieses Viertels: an jedem Haus ein Aushang: »Möblierte Zimmer mit Frühstück« und fast an jedem das Schild eines Handwerkers.
In einem der Häuser am Bergabhang zu hausen mag nicht übel sein; der Blick auf dies Tal ist zwar nicht mit der Waldaussicht zu vergleichen, aber doch hübsch; auch ist die Luft rein. Warum aber die Leute, die unten im schwülen Tal bei Schuster und Gerber, Tischler und Fleischer ihre Sommerfrische halten, nicht lieber – es sind viele Berliner – in ihren Wohnungen bleiben, verstehe ich nicht; denn wenn sie etwa in Berlin C hausen, so haben sie im August auch dort ähnliche Düfte.
Übrigens sieht man auch in Talschwarzburg viele elegante Toiletten und hübsche Gesichter; gestern, als ich auf einem Bänkchen am Schwarzaufer saß, sah ich sogar ein traumhaft schönes. Es war ein herrlich erblühtes blondes Mädchen mit einem Antlitz, in dem jede Linie »Reiz und Geist und Leben« war; sie saß auf dem nächsten Bänkchen neben ihrer Mutter und sah träumend in die Wellen; ihr Antlitz hatte dabei einen Ausdruck so heißer Sehnsucht, daß er mich ergriff und rührte. Was das arme schöne Kind so bewegen mag, dachte ich. Da rührten sich die Lippen, und sie flüsterte: »Mama, gelbe Schuhe muß ich haben!«
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