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Thüringen im literarischen Spiegel
Karl Emil Franzos
Aus Anhalt und Thüringen, Rütten & Loening, Berlin 1903.
Am kleinen Fröbeldenkmal vorbei – unweit davon steht ein viel stattlicheres für den Fürsten Georg von Rudolstadt – geht’s in die hübschen Anlagen am rechten Schwarzaufer, den Gasthöfen gegenüber. Schöne Buchen und Eichen, wohlgehaltene, sanft ansteigende Pfade, bequeme Bänke und kaum eine frei. Fast immer dieselbe Idylle: vier Frauen stricken, und eine fünfte liest ihnen einen Romanstrumpf vor, den eine sechste gestrickt hat. Schon hier mußte ich an des Schusterleins Wort von den »frommen Damens« denken, denn die »Gartenlaube« war wirklich noch das frivolste Blatt, das ich da sah, andere Kränzchen lauschten dem »Pfarrhaus« und labten sich am »Quellwasser fürs deutsche Haus«. Auch die Herren schienen mir nicht gottlos, wenn auch keine Asketen; auf dem Weg empor überholte ich nicht weniger als sechs dicke Männer, die schweißtriefend dahinschritten und nach den Markierungen am Wege schielten, denn Blankenburg ist ein Terrainkurort nach Örtels System und zwei von diesen dicken Männern lasen dabei im »Reichsboten«. Da wunderte mich’s weiter nicht, daß mir auf dem Weg ins Werretal eine schwarzgekleidete Dame begegnete, die mir ein Traktätlein reichte, und hundert Schritte weiter eine andere.
Neben dem Aufgang zum Katzenstein steht ein Schutzhüttchen; gerührt las ich die Inschrift: »Mit höchster Genehmigung SERENISSIMI zum Andenken des 25jährigen Badejubiläums des Herrn C. T. Böhmer, Jena.« Daneben aber saß eine dritte Dame in feierlichem Schwarz, von der ich ein drittes Traktätlein erhielt. Ich ging weiter, zur Rechten die Abhänge der Hünenkuppe, zur Linken das schöne Waldtal der Werre, bis zum Werresitz, wo sich das Tal teilt. Wald, so weit das Auge trägt, nur Wald – es ist sehr schön hier und sehr einsam. Dann kehrte ich zurück und kletterte die Felstreppe des Katzenstein empor, eine Art natürlichen Erkers, von dem man weithin ins Schwarzatal sehen kann.
Es war ein heißer Tag, und wie ich oben zwischen den Felsen stand, die eine dumpfe Glut ausströmten, befiel mich ein Schwindel; auch war ich sehr müde und hungrig. Mit wankenden Knien kletterte ich wieder hinab und sank fast ohnmächtig auf das Bänkchen, auf dem auch die Dame mit den Traktätlein saß. Und da begegnete mir etwas, was mich sehr, sehr traurig machte, denn ein langes Leben hat mich gelehrt, zu erkennen, daß die Religion für die meisten Menschen der einzige Quell idealer Gesinnung ist, und darum tut’s mir in der Seele weh, wenn ich sehe, daß gerade sie einzelne hart und roh macht. Die Dame, sie war noch jung und offenbar gebildet, sah mich scharf an: »Sie sind ja totenblaß? Sie scheinen sehr unwohl!« Ich dankte mühsam, es würde bald vorbeigehen. Darauf sie hart und schroff: »Woher wissen Sie das? Lesen Sie lieber dies Blatt und beherzigen Sie es.« Es war ein Traktätlein der Barmener Mission, das in derben Worten mahnte, die letzte Stunde sei nahe. Stumm las ich das Blatt und ging zu Tal …
Im kühlen Speisesaal des »Chrysopras« fühlte ich mich bald wieder wohl. Ich saß an der Table d’hôte der Leipziger Dame gegenüber, die auf dem Greifenstein ihrer Freundin die Beiträge zur Sittengeschichte ihrer Stadt mitgeteilt hatte, und konnte leicht bemerken, daß mich da der Zufall sehr begnadet hatte, sie war sichtlich die Königin dieses Kreises, von allen verehrt, aber auch gegen jedermann huldvoll. Auch mich fragte sie leutselig, wie es mir oben gefallen hätte. »Ja«, sagte sie, »ä boetisches Blätzchen, aber fer Leide von Gefiehl doch ooch sehr wehmiedhig! Der arme Keenigk Gündher! So frieh sterben, und ä wiestes Weib hatte er ooch!« Das fiel mir auf, denn von Günthers Gemahlin weiß die Geschichte nichts zu sagen, als daß sie lebte. Ich fragte also. Sie zuckte die Achseln. »Hibsch war se ja un stark, aber eben ä brudale Berson! Wenn er nich barierte, gab’s uff ’n Fleck Hiebe! Nur wenn ihm sein Schwager half, brachte er ihr Räsong bei; da bassierde viel, man gann als Dame nich alles erzählen …« Ehrfurchtsvoll lauschte die Runde, ich aber fragte schüchtern, woher sie das wüßte. »Aus der Liddraduhr«, war die stolze Antwort, »ooch in Ferschen.« In Versen? Da durchzuckte mich die Erkenntnis, sie meinte Gunther, Brunhilde und Siegfried.
So hatte mir das Schicksal gegönnt, binnen einer Stunde eine wahrhaft fromme und eine wahrhaft gebildete Dame kennenzulernen.
Abb. 1: Ansichtskarte, um 1910 / Abb. 2: Ansichtskarte, um 1900 / Abb. 3: Ansichtskarte, um 1900.
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