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Grab von Friedrich Schiller (Kassengewölbe)
Themen
Thüringen im literarischen Spiegel
Literarisches Thüringen um 1800
Julius Schwabe
Harmlose Geschichten. Erinnerungen eines alten Weimaraners, Frankfurt am Main 1890
[…] An drei aufeinander folgenden Tagen des März 1826 nachts gegen 1 Uhr begab sich mein Vater mit mehreren Arbeitern nach dem Kassengewölbe und stieg hinab in die von Moder erfüllte Gruft auf einer Leiter, auf deren unteren Sprossen sitzend und aus gutem Grunde eifrig Tabak rauchend, er die Arbeiten dirigierte, die in jeder Nacht bis kurz vor Tagesanbruch fortgesetzt wurden. In abgesonderte Haufen wurden die Schädel, die Gebeine und die Sargtrümmer verteilt. Die ganze obere Schicht des feuchtschwarzen Erdbodens wurde durchwühlt, so daß nichts den Suchenden entgehen konnte. Dabei ereignete es sich, daß einer der Arbeiter plötzlich ausrief: »Herr Hofrat! Ein Schatz!« Von der schwarzen Erde hob sich im Laternenlicht eine silberhell glänzende Masse von der Größe eines Thalers ab, welche die Schaufel des Mannes bloßgelegt hatte. Es war metallisches Quecksilber, welches jedenfalls einer der hier Begrabenen in seiner letzten Krankheit (Ileus) eingenommen hatte, ohne sich dadurch vor der Fahrt in den Hades des Kassengewölbes zu retten.
Dreiundzwanzig Schädel wurden gefunden. Dreiundzwanzig Personen waren, wie die Akten des Landschaftskollegiums erwiesen, seit der letzten, vor zweiunddreißig Jahren stattgehabten Aufräumung im Kassengewölbe beigesetzt worden. Also mußte sich unter den gefundenen Schädeln der Schillersche befinden.
Die dreiundzwanzig Schädel ließ mein Vater in seine Wohnung tragen. Hier wurden sie gereinigt und auf einem großen Tische aufgestellt. Wie der Gott unter den Hirten, so hob sich vor seinen zweiundzwanzig Genossen durch edle Gestaltung und Größe ein Schädel hervor. Mein Vater zweifelte keinen Augenblick, daß es der Schillersche sei, und ebenso bezeichneten zahlreiche Männer, welche Schiller persönlich gekannt hatten und zur Besichtigung der Schädel eingeladen worden waren, ohne Ausnahme einen und denselben Schädel als den Schillers. Verschiedene andere Merkmale, namentlich das Vorhandensein sämtlicher gesunder Zähne nur an diesem einen Schädel, ferner vergleichende Messungen an einem, an Schillers Leiche abgenommenen Gipsabguß des ganzen Kopfes und am Schädel selbst, ergaben mit Gewißheit, daß das gefundene Kleinod echt war. Auf Anordnung des Großherzogs Karl August wurde im Beisein von Schillers ältestem Sohn und von Goethes Sohn, sowie mehreren weimarischen Notabilitäten die kostbare Reliquie unter Begehung eines ergreifend feierlichen Aktus in einem Behälter beigesetzt, welchen man im Postament der auf der großherzoglichen befindlichen Marmorbüste Schillers angebracht hatte. Diese Büste ist von Dannecker gefertigt und den Schillerschen Erben geschenkt worden. Der Großherzog kaufte sie diesen für 200 Dukaten ab und ließ sie im Bibliothekssaal an derselben Stelle aufrichten, wo sie sich noch heute befindet.
Goethe nahm an dem allen warmen Anteil. Tief ergriffen war er, als mein Vater ihm den aufgefundenen Schädel zeigte, den auch er seiner Form nach, wie an gewissen Eigentümlichkeiten der Zähne, welche ihm an Schiller aufgefallen und noch erinnerlich waren, als den echten Schillerschen rekognoszierte. Goethe war bekanntlich ein tüchtiger Osteolog, und als solcher wußte er, daß man aus untereinander gemengten, verschiedenen Skeletten angehörigen die zusammengehörigen auszusondern vermag. Er ließ deshalb von Jena zwei sachkundige Männer kommen, und mit Hilfe des aufgefundenen Schädels die zu Schillers Skelett gehörenden Knochen im Kassengewölbe aussuchen. Dies gelang fast vollständig. Die zum Schädel gehörenden Gebeine wurden zum Skelett verbunden, und es ergab sich ein neuer Beweis für die Echtheit derselben und des Schädels Die Größe des Skeletts entsprach völlig der ansehnlichen Körpergröße, welche Schiller im Leben besessen hatte, während dieselbe nachweisbar von keinem seiner 22 Grabgenossen auch nur annähernd erreicht worden war. In einem anständig ausgestatteten Sarge, der auf der Bibliothek aufgestellt wurde, verwahrte man von nun an die glücklich aufgefundenen Teile des Knochengerüsts.
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