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Thüringen im literarischen Spiegel
Literarisches Thüringen um 1800
Hector Berlioz
Memoiren, Göttingen 2007.
Mannheim. Weimar 1843
[…] Wir sind in Weimar. – Ich bin sehr krank. – Lobe und Cheard versuchen vergebens, mich wieder auf den Damm zu bringen. – Vorbereitungen zum Konzert. – Ankündigung der ersten Probe. – Ich bekomme wieder Lust. – Ich bin hergestellt.
So lass ich mir’s gefallen; hier atme ich auf! Ich wittere etwas in der Luft, das auf eine Literatur- und Kunststadt hinweist! Ihr Anblick entspricht vollkommen der Vorstellung, die ich mir davon gemacht hatte, sie ist ruhig, reich an Licht und Luft, voll Träumerei und Frieden; reizende Umgebungen, klares Gewässer schattige Hügel, lachende Täler. Wie das Herz mir klopft beim Durchwandeln der Stadt! Sieh da, das Wohnhaus Goethes! Die Stätte, da der verstorbene Großherzog so gerne an den gelehrten Gesprächen von Schiller, Herder, Wieland teilnahm! Diese lateinische Inschrift wurde vom Dichter des »Faust« in Fels gegraben! Ist’s möglich? In dieser ärmlichen Dachstube, die von zwei kleinen Fenstern Licht und Luft empfängt, hat Schiller gehaust? In diesem niedrigen Kämmerchen schrieb der große Sänger aller edeln Begeisterung »Don Carlos«, »Maria Stuart«, die »Räuber«, den »Wallenstein«! Hier lebte er wie ein armer Student! Ach! Ich verzeihe es Goethe nicht, dass er dies gelitten! Er, der reiche Minister … Hätte er nicht das Los seines Freundes, des Dichters, verbessern können? … Oder war nichts Echtes an dieser berühmten Freundschaft? … Ich fürchte, sie ist nur von Schillers Seite wahrhaft gewesen! Goethe war zu eigenliebend; ihm war ja auch sein Höllensohn Mephisto teuer; er lebte zu lange, fürchtete den Tod sehr.
Schiller! Schiller! Du hättest einen weniger menschlichen Freund verdient! Ich kann den Blick nicht von diesen engen Fenstern wenden, von diesem dunkeln Haus, diesem elenden schwarzen Dach; es ist ein Uhr morgens, der Mond glänzt, die Kälte ist schneidend. Alles schweigt, alle sind sie tot … Nach und nach hebt sich meine Brust; ich zittere; überwältigt vor Ehrfurcht, Leid und den unermesslichen Gefühlen, die der Genius manchmal über das Grab hinaus unbedeutenden Überlebenden einflößt, sinke ich an der niedern Schwelle in die Knie, und leidend, preisend, liebend, anbetend wiederhole ich: Schiller! … Schiller! … Schiller! …
Abb. 1: Foto von Karl Reutlinger, 1864 Abb. 2: Historische Ansichtskarte, um 1900
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