Personen
Anna Amalia v. Sachsen-Weimar-Eisenach
Ort
Thema
Literarisches Thüringen um 1800
Jürgen M. Paasch
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
1776 hatte Prinz Friedrich Ferdinand Constantin das Pächterhaus des Kammergutes Tiefurt ausbauen lassen, um es zur eigenen Hofhaltung zu nutzen. Bis 1780 erfüllte es diesen Zweck, dann war der Prinz kaum noch in Weimar und Tiefurt, so dass die Herzoginmutter ab 1781 das sonst ungenutzte Schlösschen mit anliegendem Park- und Wiesengelände von immerhin einundzwanzig Hektar Größe als ihren Sommersitz bedenkenlos nutzen kann. Damit verlegt auch die Weimarer Sommergesellschaft ihr Domizil von Schloss Ettersburg nach Schloss Tiefurt. Aus dem Musenhof rekrutiert sich nun die »Tiefurter Tischgesellschaft«, die sich ihrerseits beinahe institutionalisiert und ein Tiefurter Journal herausgibt, eine Art Klatschblatt für musisch Angehauchte. Es gebietet die Sommer-Hof-Etikette, das Journal mit Beiträgen zu versorgen; auch Wieland beteiligt sich an diesem Spiel.
Nach dem Tod des Prinzen Friedrich Ferdinand Constantin 1793 im Saarland, wo er während des Ersten Koalitionskrieges gegen Frankreich der Ruhr erliegt, wird Anna Amalia im Park einen Gedenkstein für ihren Sohn – und Wielands Schüler – aufstellen lassen.
Der Tiefurter Musentempel, eines der Architektureinsprengsel im Park, wird 1803 errichtet und Polyhymnia, Muse der Hymnendichtung, gewidmet. Nach 1807 wird der Tempel neu »geweiht« und eine andere Statue aufgestellt werden, wohl die der Kalliope, Muse des Epos und der Elegie, ein Werk des Bildhauers Martin Gottlieb Klauer. Auf Theobald Oers Gemälde von 1860 ist der Weimarer Musenhof zu sehen mit den Zentralfiguren Carl August und Goethe, Schiller rezitierend und Wieland sitzend neben Anna Amalia; all dies historisch unrichtig, da die Szene zwischen 1803 und 1805 spielen muss – da hätte noch Poyhymnia wachen sollen und nicht, wie im Bild, Kalliope.
Immer hören wir den feinen Weltmann, der mit dem Witz, als einer Art Waffe, wovon er vollkommen Meister ist, so frei und sicher spielt, als ob er alle Augenblicke verwunden wollte. Mit diesem als Charakteristik des Römers Horaz getarnten Selbstportrait beginnt ein Jahrzehnt, in dem Wieland vor allem als Übersetzer der wesensverwandten Lukian und Horaz Maßstäbe setzen wird. Bei den Übertragungen von Horazens Briefen (1782), Horazens Satyren (1786) und der Dichtkunst des Horaz (1789, zusammen mit Karl Wilhelm Ramler) fühlt man, wenn man sie laut liest…, wie glücklich er mit dem einen Fuß auf dem alten Rom und mit dem andern in unserm deutschen Reiche stehet, und sich angenehm hin und herschaukelt (Goethe). Das Schaukeln ist nicht selten ein Schwanken des peniblen Philologen zwischen den methodischen Alternativen, den Autor zu uns zu holen und ihn zum Unsrigen zu machen, oder uns zum Autor zu begeben und bei ihm seine Fremdheit zu entdecken – »zielsprachenorientiertes« oder »ursprungssprachorientiertes« Übersetzen wird man es später nennen. Wieland neigt im Zweifel dazu, wie im Falle des Römers, bei der Arbeit in der Seele des Horaz… wohnhaft zu sein und so mit ihm zu uns herüberzukommen. Wer sich dieser Methodik bedient – und sie ist die heute herrschende – wird ab 1979 die Chance haben, mit dem Christoph-Martin-Wieland-Preis für Übersetzung ausgezeichnet zu werden.
Während seiner groß angelegten Übertragung des Horaz und dann des Lukian und noch während er am Peregrinus Proteus, dem ersten Roman nach der Geschichte der Abderiten, arbeitet, schreibt er wie zur Zerstreuung inmitten all der seriösen historischen Gestalten und Themen der antiken Literatur und Philosophie vierzehn Feen- und Geister-Mährchen, theils neu erfunden, theils neu übersetzt und umgearbeitet und versammelt sie in drei Bänden, denen er den schönen morgenländischen Titel Dschinnistan verleiht. Die Zeitgenossen von 1786 fühlen sich in Wielands Anderswelt nur zu wohl. Wer ins wundervolle Dischinnistan reist, entflieht vor allem seiner kleinen deutschen Welt, entkommt den Miniaturmonarchien und hat für tausend Seiten Ruhe vor einer immer bedeutender sich gebärdenden Bürgerlichkeit und deren Nützlichkeitsdenken. Im Lande des Dschinn weht ein Hauch von Paradies und Arkadien und ein verheißungsvoller Orient weihraucht durch deutsche Stuben. Feen, Zauberer und artige Geisterwesen sind exotisch und gar nicht bedrohlich, nicht an deutschen Kaminen, wo man ihre Geschichten liest. Die frühen Romantiker werden sich gerade gegen diese Arte Märchenidylle wenden, die späteren aber sich umso lieber von ihr inspirieren lassen. Mozart wird der erste sein, der sich aus Wielands Fundus bedient. Seine Oper Der Stein der Weisen ist ebenso Dschinnistan entlehnt wie Die Zauberflöte, die auf das Märchen Lulu oder Die Zauberflöte zurückgreift, eines von sechs übrigens, die nicht aus Wielands Feder stammen. August Jacob Liebeskind, Wielands Schwiegersohn, hatte es beigesteuert, vier andere stammen von Wielands Freund Friedrich Hildebrand Einsiedel. Für dreizehn weitere Märchen zeichnet Wieland allein verantwortlich, während eines, Der Palast der Wahrheit, als eine Co-Produktion Wielands mit Caroline von Wolzogen gilt. Wieland wird schließlich nur jene zwei Dschinnistan-Märchen in die Sämmtlichen Werke aufnehmen, die er als vollständig eigene Schöpfungen betrachtet, ein Vergnügen, das ihm wiederum die literaturwissenschaftliche Komparatistik nicht unbesehen gönnen will. Auch für Die Salamandrin und die Bildsäule wird sie schließlich die Vorlagen ausgraben und im Apparat zu jeder neueren Edition festschreiben. Insgesamt aber ist die Sammlung doch aus dem Blick geraten. Möglicherweis hat der Ruch des Unseriösen, der dem Märchenerzähler in der Gelehrtenrepublik anhaftet, das Genre selbst beim Autor diskreditiert. Karl May freilich kennt keine Berührungsängste; noch in einem seiner Spätwerke wird er seine Helden in das von Wieland entdeckte Land des Dschinn schicken (Ardistan und Dschinnistan, 1909), auch wenn er es auf den Stern Sitara verlegt.
Mit den sechs Bänden Lucians von Samosata Sämmtliche Werke. Aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen und Erläuterungen versehen (1788/1789) ist Wieland wieder auf dem Hoheitsgebiet der »ernsten« Literatur. Hier holt er einen anderen langjährigen literarischen Wegbegleiter, seinen hohen Alliierten Lukian in unsere Sprache und erfüllt sich damit einen lang gehegten Wunsch – die Pension, die Honorare und Tantiemen erlauben es ihm. Gleim sieht im Großvorhaben des Freundes eine Talentverschwendung, Wieland übersetzt den Lucian. Er, der selber Lucian seyn könnte, sollte nicht Übersetzer seyn. Das ist die übliche Auffassung, aber Walter Jens kommt der Wahrheit wohl näher: Hätte man Wieland gefragt, was er, als Artist und homme de lettres, der er war, sub specie aeternitatis für gelungener hielte, den Oberon oder den deutschen Lukian, die Abderiten oder die Übertragung der Cicero-Briefe: ich bin sicher, er hätte gezögert. Gerade in Lukian, dem Satiriker und Spötter und Enttarner hat er schon immer den Anverwandten gesehen, in Lukian lebe und webe ich, stehe mit ihm auf und gehe mit ihm nieder. Nun arbeitet er in seinen Diensten als dessen Vermittler und Deuter und entdeckt, dass dabei der Glaube an Seelenwanderung bis zur Täuschung wuchs.
Die Arbeit im Werk Lukians gibt Wieland auch Anregungen für Adaptionen und Fortschreibungen, vor allem für die Neuen Götter-Gespräche (1791) und für den Roman Geheime Geschichte des Philosophen Peregrinus Proteus (1788/1789). Im Elysium lässt Wieland den Philosophen Peregrinus auf dessen Biografen treffen – auf Lukian. Beide diskutieren die Intensitäten und Qualitäten eines eher geistigen oder eher sinnlichen Lebens, des bewegten Lebens nämlich des Peregrinus, dessen Abenteuer und Liebesgeschichten viele geistige Wandlungen einbegriffen. Seine tief empfundenen Erfahrungen jedenfalls führten stets zur Zerschlagung eines sicher Geglaubten bis am Ende nur der Flammentod als letzte Sensation ein metaphysisches Mehr versprach. Karl Mickel wird in Peregrinus vor allem Agathons spätgeborenen düsteren Bruder entdecken. In diesem Sinne wäre Apollonius des Peregrinus’ spätgeborener skeptischer Bruder, jener Apollonius, dessen Lebensroman Wieland mit Agathodämon. Aus einer alten Handschrift knapp zehn Jahre später, 1796/1797, vorlegen wird.
1801, nach Anna Dorotheas Tod zieht sich der alte Wieland zurück, immer häufiger nun auch wieder nach Tiefurt, wo ihm Anna Amalia eine Unterkunft gemietet hat. Von dort aus geht er im Park spazieren, manchmal in Begleitung Samuel Christoph Abraham Lütkemüllers, seines Sekretärs, der so den Lieblingsort des Dichters kennenlernt, einen Platz, der von einer großen Buche und von umstehendem Gebüsch beschattet und mit einem Tische nebst Bänken von Stein besetzt war… und an seiner Seite floß die Ilm mit sanftem Geplätscher. Anna Amalia lässt an dieser Stelle 1802 eine Wieland-Büste von Johann Gottfried Schadow aufstellen. Die Rückseite der sie tragenden Stele wird 1860 mit Goethes Gedicht Geweihter Platz von 1782 versehen:
Abb. 1,3, 4: Foto: Jens Kirsten / Abb. 2: Ansichtskarte, um 1900.
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