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Literarisches Thüringen um 1800
Jürgen M. Paasch
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Wer heute von Wieland redet, meint sich entschuldigen zu müssen. Der meistgelesene Autor seiner Zeit ist uns zum Unbekannten geworden, zum Ungelesenen unter den Klassikern und zur Schattengestalt der Literaturgeschichte. Wer den Verschollenen aber entdeckt, dem könnte es ergehen wie Friedrich Dürrenmatt, der Kopf schüttelnd gestand, seltsamerweise liebte ich Wieland, ich glaube, daß ich das meiste von ihm kenne. Diese merkwürdige Vorliebe war ganz nach dem Geschmack Arno Schmidts, der in Wieland den Mann sah, durch dessen Schreibtisch wir Schriftsteller unsern ersten Meridian ziehen müßten. Das »Wir« verrät die Idee und bedeutet dem gemeinen Leser nichts Gutes. Tatsächlich schleppt Wieland die Monstranz des Sprachwunders seit Goethe seinem Famulus Eckermann in den Block diktierte, Wieland verdankt das ganze obere Deutschland seinen Stil. Dem entkam niemand, selbst Nietzsche, der Wieland nicht mochte, lobte ihn wider Willen: Wieland hat besser, als irgend Jemand, deutsch geschrieben. Dass Wielands Sprache etwas musterhaft Klares und Gebändigtes eigen sei, murmeln Autoren in der Goethe-Nietzsche-Nachfolge wie ein Mantra, selbst wenn sie von seinem Werk, eingestandenermaßen wie Hermann Hesse, nicht viel gelesen haben.
Mit dem Gestus des Grundsätzlichen und Endgültigen wies ein Ahn der Frankfurter Schule, Walter Benjamin, den kommenden Germanistengenerationen die Richtung: Wielands Sprache sei bereits für immer in den Mutterboden seiner Muttersprache eingegangen, aus der Walter Jens wiederum eine moderne Sprache sich entwickeln sah, die in ihren Formen und Modulationen Wieland viel zu verdanken habe. In einem hauptstadtlosen Land zumindest eine wortwörtlich urbane Sprache mitgeschaffen zu haben, sei Wielands eigentliches Verdienst. Für Hans Mayer hatte Wieland hingegen nicht einfach geschrieben, vielmehr habe er komponiert – seine Sprachwerke jedenfalls genoss der musikalischste aller Literaturphilosophen wie Suiten und Symphonien. Die eher praktischen Qualitäten der Wielandschen Perioden und Rhythmen entdeckte Karl Mickel, nicht von ungefähr Theaterautor fast noch unserer Tage: Leser und Sprecher können sich bei Wieland einfach nicht veratmen, wie lang und kompliziert die Perioden auch sein mögen. Sie sind der lebendige freie Atem des Werks.
Die Wielands Sprache übereinstimmend lobten, waren auch einig hinsichtlich der Überlebensfähigkeit seines Werkes. Goethe sah den Augenblick bereits heraufkommen, in dem Wieland niemand mehr angehen, niemand mehr unterhalten, niemand mehr verdrießlich und niemand mehr erzürnt machen wird. Ein Todesurteil für den Autor, das Nietzsche – und es klingt nach Frohlocken – als vollzogen beschreiben konnte: seine Gedanken geben uns Nichts mehr zu denken. Wir vertragen seine heitern Moralitäten ebenso wenig wie seine heiteren Immoralitäten. Auch Benjamin sah dem Unzeitgemäßen allenfalls ein gnädiges Denkmal errichtet, gehöre er doch zu jenen Autoren, für deren Fortleben die Möglichkeit, wieder gelesen zu werden, nicht mehr als ein Standbild zu sagen hat. Mit einer seiner großen Formen, der Verserzählung, sieht Mayer ihn sogar vollends vereinsamt und aller Möglichkeiten beraubt, jemals wieder Leser anzulocken. Unfreiwillig verabschiedete auch Schmidt, notorischer Laudator der Abseitigen und Vergessenen, seinen großen Prosafachmann endgültig aus dem Kreis der populären Autoren. Der ideale Leser des heftig gelobten und mindestens ebenso toten Autors müsse viel wissen, selbst Intellektueller sein, um Wieland genießen zu können – ein Anti-Klappentext, der noch den letzten geneigten Leser nach anderem Ausschau halten lässt.
Wieland also ein überlebter Rokokomaler des Wortes, ein fermentierter Sprachmeister und seine Werke so tot wie Marmor?, ein Klassiker von durchschlagender Wirkungslosigkeit? Aus der Mode geraten ausgerechnet der heitere Pornograf, der die Konservativen gegen sich aufbrachte; der Napoleons Diktatur kommen sah, als die »Originalgenies« noch jakobinische Urstände feierten; der große Kompilator und Anverwandler, der in den Geschichten der Antike, des Orients, des Mittelalters sich zuhause fühlte, wie keiner seiner Zeitgenossen, wie niemand heute?
Heißt »unmodern« etwa das Missverständnis eines schwer erkämpften Gleichgewichts von poetischer Form und Leben? Goethe jedenfalls sah einen Mann, der sich in seinem Leben und Schreiben erst zur Mitte überreden musste:
Selbst durchdrungen
Von dem Wort, das er gegeben,
War sein wohlgeführtes Leben
Still, ein Kreis von Mäßigungen.
Aus Wielands Mäßigung entsprang nie Mittelmäßiges, vielmehr setzte sie Maßstäbe für seine Zeit – sie hat sich ein Zeitalter zugebildet, dem Geschmack seiner Zeitgenossen so wie ihrem Urteil eine entscheidende Richtung gegeben, wie einmal mehr Goethe bemerkte. In seinem berühmten Nachruf in der Trauerloge brachte er das Phänomen »Wieland« auf die Formel: Mensch und Schriftsteller hatten sich in ihm ganz durchdrungen, er dichtete als ein Lebender und lebte dichtend. Seinem Leben nachzuspüren hieße dann, dem innewohnenden Versprechen nach einem Zugang zum Werk zu folgen.
Unterwegs darf sich der forschende, dabei auf Unterhaltung gestimmte Leser von einem Satz Wielands an die Hand nehmen lassen: Ich habe von Jugend an eine natürliche Anmuthung zu schweren literarischen Abentheuern gehabt.
Abb. 1: Montage von Jens-Fietje Dwars / Abb. 2: Gemälde von Ferdinand Carl Christian Jagemann, 1805 / Abb. 3: Foto: Jens Kirsten.
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