Wieland, Sophie Brentano und Kleist in Oßmannstedt
5 : Gutshaus Oßmannstedt und seine Gäste: Sophie von La Roche und Sophie Brentano

Personen

Christoph Martin Wieland

Sophie Brentano

Sophie von La Roche

Anna Dorothea Wieland

Ort

Wielandgut Oßmannstedt

Thema

Literarisches Thüringen um 1800

Autor

Jürgen M. Paasch

Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.

Aber noch sind wir im Jahr 1799, das Osman­ti­num ist noch nicht Gedenk­stätte, son­dern Woh­nung des alten Wie­land, des immer freund­li­chen und zuvor­kom­men­den, des meist herz­li­chen Gast­ge­bers. Am 15. Juli des Jah­res trifft Sophie von La Roche ein; nach bey­nahe 30 Jahre gedau­er­ter Tren­nung, sah ich ihn wie­der, den guten wür­di­gen Freund mei­ner Jugend…. Ich schlief spät ein und ich hörte noch Wie­lands unge­küns­tel­tes, aber Seelen‑volles Cla­vier­spiel Vor 49 Jah­ren belauschte ich ihn das Ers­te­mal bey der Aus­sicht nach dem wei­ten ein­sa­men St. Mar­tins­kirch­hof in Biber­ach. Die La Roche, los­ge­las­sen auch in Wei­mar und dort unent­wegt auf der Suche nach berühm­ten Leu­ten, wird nicht von allen als ange­nehm emp­fun­den, Her­der etwa beob­ach­tet, dass sie blos die Canz­lei­spra­che, aber nie die Cabi­net­s­preache des Her­zens gebraucht. Wie­land erträgt sie in immer zar­ter Fas­sung (Lüt­ke­mül­ler) und in Rück­sicht auf La Roches Beglei­te­rin, ihre Enke­lin Sophie Bren­tano, Schwes­ter von Cle­mens und Bet­tina. Zwi­schen »Vater« Wie­land, wie er längst all­ge­mein genannt wird, und der zwei­und­zwan­zig­jäh­ri­gen Sophie Bren­tano ent­spannt sich eine all­ge­mein bemerkte tiefe Zunei­gung, Wie­land nennt sie eine liebe Toch­ter, die, nach ihrer Abreise, einen Teil ihres rei­nen Ichs in Oßmann­s­tedt hin­ter­las­sen habe und schwer ver­misst werde.

Im dar­auf fol­gen­den Jahr, am 25. Juli 1800, kehrt Sophie nach Oßmann­s­tedt zurück, allein. Goe­the deu­tet vor­sich­tig an, dass Sophie beim alten Wie­land eine wun­der­li­che Rolle gespielt hat, andere beschrei­ben ihre Bezie­hung wie ein arka­di­sches Mär­chen: Wie­land und Sophie auf einer Rasen­bank – der Dich­ter dem Mäd­chen vor­le­send, oder sie sit­zen gemein­sam unter Lin­den an der plät­schern­den Ilm. Am 15. August wird im Osman­ti­num Sophies vier­und­zwan­zigs­ter Geburts­tag gefei­ert. An einem Abend die­ser Tage, Lie­bes­kum­mer wohl hat ihrer Stim­mung eine gewisse Rich­tung gege­ben, gesteht sie Wie­land, ach, wis­sen Sie, was ich wol möchte? Bis an mei­nen Tod bei Ihnen blei­ben! Mit Sophie Bren­tano hat der fast sieb­zig­jäh­rige Wie­land eine der voll­endets­ten Erschei­nun­gen der roman­ti­schen Frauen an sich zie­hen kön­nen (Ben­ja­min).

Am 10. Sep­tem­ber teilt Caro­line Her­der mit: Der Doc­tor ist soeben in Osmann­städt, die Demoi­selle Bren­tano ist jetzt mit einer fata­len hys­te­ri­schen Krank­heit befal­len. Erste Anzei­chen der Erkran­kung waren schon am 3. Sep­tem­ber nicht zu über­se­hen. Spä­ter kann Wie­land nur noch kon­sta­tier­ten: Sophie wurde von einer der son­der­bars­ten und ver­wi­ckel­tes­ten Ner­ven­krank­hei­ten befal­len, die sich in weni­gen Tagen als gefähr­lich ankün­digte, mit jedem Tag trost­lo­sere Sym­ptome zeigte, und in der Mit­ter­nachts­stunde des 19. Sept. in Gegen­wart ihrer Schwes­ter Gunda und ihres Bru­ders Georg Bren­tano mit dem Tode endigte. Ver­mut­lich ist sie an einer Hirn­haut­ent­zün­dung gestor­ben. Am 21. Sep­tem­ber stellt Wie­land beim Fürst­li­chen Ober­kon­sis­to­rium den Antrag, Demoi­selle Sophie Bren­tano an einem schick­li­chen Platze sei­nes Gar­tens zu Oßmann­s­tedt begra­ben zu dür­fen. Am 29. Sep­tem­ber wird sie in Oßmann­s­tedt bei­gesetzt. Die Hülse, die der ent­flie­hende Engel zurück­ließ, ruht in einem stil­len Plätz­chen mei­nes durch sie gehei­lig­ten Gartens.

Noch mit Sophie Bren­tano schritt er durch sei­nen Park als wandle er durch die Oli­ven­haine Arka­di­ens, in die­sen Stun­den war die Welt rein, alles fast ohne Schat­ten, las ihr dabei aus dem Aga­tho­dä­mon und aus einem ande­ren gro­ßen Text vor, an dem er gerade schrieb, aus dem Aris­tipp. Nun, nach Sophies Tod, nimmt er die Arbeit an Aris­tipp und einige sei­ner Zeit­ge­nos­sen wie­der auf. Es wird sein letz­tes gro­ßes Werk – groß an Umfang und groß im Pro­gramm: Es ist ein Zeit- und Kul­tur­ro­man, der das Leben des grie­chi­schen Phi­lo­so­phen Aris­tip­pos von Kyrene – und eini­ger sei­ner Zeit­ge­nos­sen – im fünf­ten und vier­ten Jahr­hun­dert vor Chris­tus dar­stel­len will. Wie­land gelingt dies mit Leich­tig­keit und auf for­mal schlüs­sige Weise im ein­zi­gen ech­ten Brief­ro­man, den wir Deut­schen besit­zen, wie Arno Schmidt meint und damit den Wert­her als sol­chen streicht. Im Plau­der­ton führt uns Wie­land unan­ge­strengt durch das Geflecht der Epo­che, ent­wirft ein Groß­mo­saik und zeigt gleich­zei­tig eine Füllezise­lier­tes­ter Geis­tig­keit – wie­der Schmidt, der nicht als ein­zi­ger den Aris­tipp für Wie­lands bril­lan­tes­ten Text hält. In die­sem Spät­werk gelingt Wie­land dank sei­nes über­schwäng­li­chen Sinns fürs Aktu­elle die ele­gan­teste Ver­schmel­zung einer anti­qua­ri­schen Bil­dungs­welt mit der Lebens­welt sei­ner Leser. Gerade die Qua­li­tät die­ser Anver­wand­lung schätzt Goe­the an Wie­land. Er hat außer­or­dent­lich gewirkt, indem er gerade das, was ihn anmu­tete, wie er sich zueig­nete und es wie­der mit­teilte, auch sei­nen Zeit­ge­nos­sen ange­nehm und genieß­bar begeg­nete (West-oest­li­cher Divan, 1818). Reem­tsma stellt Wie­land mit dem Aris­tipp sogar in eine lite­ra­ri­sche Tra­di­ti­ons­li­nie, die mit den Signal­na­men Sterne / Mel­ville / Joyce bezeich­net ist und erklärt ihn zu einem der ers­ten moder­nen Psy­cho-Ana­ly­ti­ker.

Als am 8. Novem­ber 1801 seine Frau stirbt, bricht er die Arbeit ab. Der Roman wird 1801 und 1802 in vier Bän­den auf 1.554 Sei­ten erschei­nen – und doch Frag­ment sein.

Anna Doro­thea Wie­land wird neben Sophie Bren­tano auf Gut Oßmann­s­tedt beer­digt. Dann zieht sich der alte Wie­land zurück, immer häu­fi­ger auch nach Tie­furt, wo ihm Anna Ama­lia eine Unter­kunft gemie­tet hat.

 Wieland, Sophie Brentano und Kleist in Oßmannstedt:

  1. Wieland der Gärtner oder Unser Thema und wie wir es umgehen
  2. Exkurs: Augenschein eines Erotikers
  3. Gut Oßmannstedt (1797-1803)
  4. Exkurs: Selbstportrait als Schreckensbild oder Medizin für den Sohn
  5. Gutshaus Oßmannstedt und seine Gäste: Sophie von La Roche und Sophie Brentano
  6. Gutshaus Oßmannstedt und seine Gäste: Der zauberische Kleist
  7. Grabmal in Oßmannstedt
  8. Schloss und Park Tiefurt
  9. Schloss und Park Belvedere (1807-1813)
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