Wieland war kein Wald- und Wiesensänger, kein dichtender Gärtner und auch kein poetischer Paradiesvogel, der, die Schar seine Jünger im Schlepptau, durch die Schlossparks seiner Gönner paradierte.
Aber er liebte die Natur, die gebändigte und gehegte und gepflegte zumal, er liebte sie Zeit seines Lebens so sehr, dass er immer wieder seinen Schreibtisch in ihr aufschlug, seinen Lesepult wenigstens, einen gedachten freilich nur. Er arbeitete gern in der Natur, das heißt: er las, exzerpierte und notierte, bat sich Ruhe aus und – Geistesgesellschaft war die einzige, die vorgelassen wurde.
Biografen ergehen sich daher gern in idyllischen Betrachtungen zu Wielands natürlich »heiterem Land- und Gartenleben« und listen fleißig die Baumgruppen auf, in deren Nähe der Dichter gedichtet haben mochte. Da wären nämlich:
- die Wiese vor dem Geburtshaus in Oberholzheim im Schwabenland, wo der Dreijährige in gelben Blumen spielte und dies leichtsinnigerweise als 70jähriger zu Protokoll gab;
- die Gärten am Zürichsee, in denen der 20jährige Trost suchen sollte nach der Entlobung von seiner daheim im Schwäbisch verbliebenen Braut – und das Trauerspiel Lady Johanna Gray schrieb: was half mehr? die Tauerweiden oder die tragischen Worte – oder waren sie nur zusammen zu haben?;
- die Parkanlage um Schloss Warthausen, wo man ihn Arm in Arm mit der Liebe seines Lebens lustwandeln sehen wollte ihr, der Sophie von La Roche, in schmachtenden Versen dichtend zu Leibe rückte – mit nicht wenigen Versen, sondern in tausenden, einige davon eben ihr, der großen Liebe, seiner »Psyche«, dediziert. 26 war er da und seine Sophie längst vergeben;
- sein Garten mit Gartenhäuschen in den Saudenwiesen vor den Toren seiner Heimatstadt Biberach, wo der größte des Romans Geschichte des Agathon entsteht;
- der Park um das Kellersche Schloss in Stedten vor den Toren Erfurts, wo er zusammen mit Goethe die jugendliche Julie von Keller, spätere von Bechtolsheim, ansang – seine Pysche-Dichtung aufgreifend;
- der Garten an der Lotte in Weimar. Herder hatte es vorgemacht mit seinem Garten hinter dem Pfarrhaus der Stadtkirche St. Peter und Paul (heute Herderplatz 8), den er sogleich nach seiner Übersiedlung ausbaut und zur bevorzugten Begegnungsstätte mit Wieland und Goethe werden lässt. Beide werden in diesem Jahr ‑1776‑ selbst je ein Grundstück erwerben, weil Grundbesitz Voraussetzung zur Erlangung der Bürgerechte ist. Die Grundstücke werden Gärten und der Wielandsche liegt nahe dem Flüsschen Lotte, das vom Westen her der Ilm zufließt und in Weimar in sie mündet. Heute weitgehend kanalisiert und abgedeckt erinnert nur das Pfarrhaus der Herz-Jesu-Kirche (bis 1887 die Lottenmühle, heute Paul-Schneider-Straße 3) an Weimars hiesige Gärten. Ich werde mich hier an den schattigen Rand der kleinen rieselnden Lotte hinsetzen, die nicht weit von meinem Garten fließt, und vergebliche Projekte machen, wie ich sie durch meinen Garten fließen machen möchte;
- die Ilmwiesen bei Weimar (der heutige Ilmpark), in denen die Literatur beflissenen Weimarer ihrem Dichter sogar die so genannte »Klause«, auch das »Borkenhäuschen« oder die »Einsiedelei«, errichteten in Anlehnung an die Illustration in der Erstausgabe von Wielands Roman Sokrates mainomenos oder Die Dialogen des Diogenes von Sinope – eine Gartenlaube sozusagen als Philosophentonne;
- der Schlosspark Ettersburg, wo die Herzoginmutter meist die Sommermonate der Jahre 1776 bis 1780 verbringt. Hierher lädt sie in diesen Jahren ihren literarisch-musischen Kreis, dann wird da geklimpert, gegeigt, geblasen und gepfiffen…, daß die lieben Engelchen im Himmel ihre Freude daran haben möchten. An Anna Amalias achtunddreißigstem Geburtstag, am 24. Oktober 1777, trägt Wieland sein Huldigungsgedicht Zweyerley Götterglück vor, in dem es heißt: O Fürstin, fahre fort, aus Deinem schönen Hain / Dir ein Elysium zu schaffen! / Was hold den Musen ist soll da willkommen seyn! Mit diesem Gedicht verzeichnet Wieland Ettersburg-Elysium als Locus amoenus in die deutschen Literaturlandkarte und eröffnet gleichzeitig den Reigen seiner Amalia-Olympia-Gedichte, die er bis 1790 zu einem Odenzyklus von fünf Gedichten an Olympia erweitern wird;
- Schlosspark Tiefurt
- Schlosspark Belvedere
- Gut Oßmannstedt
Und wo sie fehlen, die Schlösser und Parks, ach! An Erfurt denke man und zitiere den Herrn Professor für Weltweisheit: Hier gehe ich vollends und nach und nach zu Grunde. Niemals, niemals, mein Freund, haben die Grazien dieses freudeleere Chaos von alten Steinhauffen, wincklichten Gassen, verfallenen Kirchen, großen Gemüßgärten und kleinen Lehmhäusern, welches die Hauptstadt des edlen Thüringerlandes vorstellt, angeblickt… Doch kein Wort mehr von diesem verhassten Neste!
Kurz: Gärten, wohin der Dichter seinen Fuß setzt, gern setzt zumindest, möchte man meinen, vom Rande der unberühmt schleichenden Riß bis zur tiefhin rauschenden Ilm: Zufluchtsstätte, Refugium, Retraite, hätte Wieland gesagt, Schneckenhauswelten allesamt. Ich muß aufs Land! Hier [] wird mein Geist durch den Hof, mein Körper durch das fatale Clima gemordet. Wollt Ihr also mein längeres Leben: so misgönnt mir diese ländliche Ruhe nicht.