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Literarisches Thüringen um 1800
Jürgen M. Paasch
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Aber noch sind wir im Jahr 1799, das Osmantinum ist noch nicht Gedenkstätte, sondern Wohnung des alten Wieland, des immer freundlichen und zuvorkommenden, des meist herzlichen Gastgebers. Am 15. Juli des Jahres trifft Sophie von La Roche ein; nach beynahe 30 Jahre gedauerter Trennung, sah ich ihn wieder, den guten würdigen Freund meiner Jugend…. Ich schlief spät ein… und ich hörte noch Wielands ungekünsteltes, aber Seelen‑volles Clavierspiel… Vor 49 Jahren belauschte ich ihn das Erstemal bey der Aussicht nach dem weiten einsamen St. Martinskirchhof in Biberach. Die La Roche, losgelassen auch in Weimar und dort unentwegt auf der Suche nach berühmten Leuten, wird nicht von allen als angenehm empfunden, Herder etwa beobachtet, dass sie blos die Canzleisprache, aber nie die Cabinetspreache des Herzens gebraucht. Wieland erträgt sie in immer zarter Fassung (Lütkemüller) und in Rücksicht auf La Roches Begleiterin, ihre Enkelin Sophie Brentano, Schwester von Clemens und Bettina. Zwischen »Vater« Wieland, wie er längst allgemein genannt wird, und der zweiundzwanzigjährigen Sophie Brentano entspannt sich eine allgemein bemerkte tiefe Zuneigung, Wieland nennt sie eine liebe Tochter, die, nach ihrer Abreise, einen Teil ihres reinen Ichs in Oßmannstedt hinterlassen habe und schwer vermisst werde.
Im darauf folgenden Jahr, am 25. Juli 1800, kehrt Sophie nach Oßmannstedt zurück, allein. Goethe deutet vorsichtig an, dass Sophie beim alten Wieland eine wunderliche Rolle gespielt hat, andere beschreiben ihre Beziehung wie ein arkadisches Märchen: Wieland und Sophie auf einer Rasenbank – der Dichter dem Mädchen vorlesend, oder sie sitzen gemeinsam unter Linden an der plätschernden Ilm. Am 15. August wird im Osmantinum Sophies vierundzwanzigster Geburtstag gefeiert. An einem Abend dieser Tage, Liebeskummer wohl hat ihrer Stimmung eine gewisse Richtung gegeben, gesteht sie Wieland, ach, wissen Sie, was ich wol möchte? Bis an meinen Tod bei Ihnen bleiben! Mit Sophie Brentano hat der fast siebzigjährige Wieland eine der vollendetsten Erscheinungen der romantischen Frauen an sich ziehen können (Benjamin).
Am 10. September teilt Caroline Herder mit: Der Doctor ist soeben in Osmannstädt, die Demoiselle Brentano… ist jetzt mit einer fatalen hysterischen Krankheit befallen. Erste Anzeichen der Erkrankung waren schon am 3. September nicht zu übersehen. Später kann Wieland nur noch konstatierten: Sophie wurde… von einer der sonderbarsten und verwickeltesten Nervenkrankheiten befallen, die sich in wenigen Tagen als gefährlich ankündigte, mit jedem Tag trostlosere Symptome zeigte, und… in der Mitternachtsstunde des 19. Sept. in Gegenwart ihrer Schwester Gunda und ihres Bruders Georg Brentano mit dem Tode endigte. Vermutlich ist sie an einer Hirnhautentzündung gestorben. Am 21. September stellt Wieland beim Fürstlichen Oberkonsistorium den Antrag, Demoiselle Sophie Brentano an einem schicklichen Platze seines Gartens zu Oßmannstedt begraben zu dürfen. Am 29. September wird sie in Oßmannstedt beigesetzt. Die Hülse, die der entfliehende Engel zurückließ, ruht in einem stillen Plätzchen meines durch sie geheiligten Gartens.
Noch mit Sophie Brentano schritt er durch seinen Park als wandle er durch die Olivenhaine Arkadiens, in diesen Stunden war die Welt rein, alles fast ohne Schatten, las ihr dabei aus dem Agathodämon und aus einem anderen großen Text vor, an dem er gerade schrieb, aus dem Aristipp. Nun, nach Sophies Tod, nimmt er die Arbeit an Aristipp und einige seiner Zeitgenossen wieder auf. Es wird sein letztes großes Werk – groß an Umfang und groß im Programm: Es ist ein Zeit- und Kulturroman, der das Leben des griechischen Philosophen Aristippos von Kyrene – und einiger seiner Zeitgenossen – im fünften und vierten Jahrhundert vor Christus darstellen will. Wieland gelingt dies mit Leichtigkeit und auf formal schlüssige Weise im einzigen echten Briefroman, den wir Deutschen besitzen, wie Arno Schmidt meint und damit den Werther als solchen streicht. Im Plauderton führt uns Wieland unangestrengt durch das Geflecht der Epoche, entwirft ein Großmosaik und zeigt gleichzeitig… eine Fülle… ziseliertester Geistigkeit – wieder Schmidt, der nicht als einziger den Aristipp für Wielands brillantesten Text hält. In diesem Spätwerk gelingt Wieland dank seines überschwänglichen Sinns fürs Aktuelle die eleganteste Verschmelzung einer antiquarischen Bildungswelt mit der Lebenswelt seiner Leser. Gerade die Qualität dieser Anverwandlung schätzt Goethe an Wieland. Er hat außerordentlich gewirkt, indem er gerade das, was ihn anmutete, wie er sich zueignete und es wieder mitteilte, auch seinen Zeitgenossen angenehm und genießbar begegnete (West-oestlicher Divan, 1818). Reemtsma stellt Wieland mit dem Aristipp sogar in eine literarische Traditionslinie, die mit den Signalnamen Sterne / Melville / Joyce bezeichnet ist und erklärt ihn zu einem der ersten modernen Psycho-Analytiker.
Als am 8. November 1801 seine Frau stirbt, bricht er die Arbeit ab. Der Roman wird 1801 und 1802 in vier Bänden auf 1.554 Seiten erscheinen – und doch Fragment sein.
Anna Dorothea Wieland wird neben Sophie Brentano auf Gut Oßmannstedt beerdigt. Dann zieht sich der alte Wieland zurück, immer häufiger auch nach Tiefurt, wo ihm Anna Amalia eine Unterkunft gemietet hat.
Abb. 1: Jens Kirsten / Abb. 2, 3: Jens-Fietje Dwars.
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