Person
Ort
Thema
Literarisches Thüringen um 1800
Jürgen M. Paasch
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Wieland ist erneut auf der Suche nach einer größeren Bleibe, die auch etwas mehr kosten darf – spätestens seit den Sämmtlichen Werken ist er wohlhabend zu nennen. Die Gemeinde Oßmannstedt bietet gerade ein Landgut mit Gutshaus zum Kauf an, immerhin eines mit langer Geschichte und großem Park – achthundertvierzig Jahre auf fünfundzwanzig Acker. In der Geschichte treten Kaiser Otto I. und der Reichsgraf von Bünau auf, ebenso Anna Amalia, die das Gut 1762 bis 1775 als Sommersitz nutzte und schließlich Johann Gottlieb Fichte, der 1795 hier seine Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre beendete. Nun wäre es an Wieland, sich in die Chronik einzutragen; zweiundzwanzigtausend Taler würde der Eintrag ins Grundbuch kosten, zu viel sagen die Freunde in Weimar – aber Wieland ist entschlossen zum poetischen Kauf (Christian Gottlob von Voigt). Am 15. März 1797 erwirbt er Haus und Land, weil es in einer bergichten und waldichten Gegend liegt, das letztere ist bei mir conditio sine qua non, denn ein niedrig liegendes möchte ich nicht geschenkt; am 15. April verkauft er das eigene Haus in Weimar und am 26. April bezieht Familie Wieland das Gut Oßmannstedt.
Seit verwichenen Freitag haben wir unser höchst anmutiges… Landhaus bezogen, dessen Lage auf einer etlichen Terrassen allmählich bis zur Sihl sich herabsenkenden Anhöhe einen Anblick gewährt, den man ewig vor den Augen haben möchte. Wieland hat sich einen lange genährten Traum erfüllt, zusätzlich angefeuert vielleicht während seines vertrauten Umgangs mit Horaz, besonders als er dessen Zeilen übersetzte: Mein höchster Wunsch war einst ein kleines Feld, / ein Garten, eine Quelle nah am Hause / und etwas Wald dazu: die Götter haben mehr / und bessers mir gegeben (Satiren II,6). Horaz hatten die Götter seinen Wunsch erfüllt und ihm Sabinum gegeben. Und Cicero, der verehrte Cicero wohnte im römischen Villenvorort Tusculanum, wo er auch seine Brutus gewidmeten Tusculanae disputationes stattfinden lässt. Alles das weiß Wieland – und heißt sein Landgut fortan Osmantinum! Das kann man lächerlich finden – oder rührend.
Er schreibt vor allem an Übersetzungen des Aristophanes, Euripides und Xenophons und betreibt Gartenpflege, die sich auswächst zur Landwirtschaft. Sieben Kinder sind bei ihm und vier Enkelkinder und die genießen Landluft, unverkünstelte Natur, viel Gras und schöne Bäume, Wieland selbst auch noch äußere Ruhe und freie Disposizion über mich selbst. Goethe konnte den Rückzug Wielands in die traurigste Gegend der Welt nicht verstehen, nahm aber irritiert zur Kenntnis, dass zur gleichen Zeit, auch im März 1797, Schiller sich in Jena ein Gartenhaus mit Garten zulegt. Am 22. Juni 1798 ist auch Goethe so weit, er erwirbt das Landgut Oberroßla und wird damit Feldnachbar Wielands.
Hier zu Oßmannstedt befinde ich mich ununterbrochen wohl und munter, arbeite an meinem Schreibtisch mit Sukzeß… Nebenher tut mir auch das Bewußtsein wohl, daß ich meinen großen Garten (der… für sich allein schon ein kleines Landgut ist), in den 8 bis 9 Monaten, seit er mein ist, bereits in einen merklich bessern Stand gesetzt habe. …Ich habe über 300 fruchtbare Bäume gepflanzt, von deren größerem Teile, sofern sie gut durch diesen Winter kommen, ich wenigstens die ersten Früchte zu erleben hoffen kann.
Wieland zeugte fünfzehn Kinder, schrieb und schreibt weiterhin Texte, die in fünf undvierzig Bänden und in ein paar mehr versammelt sind und weiter gesammelt werden. Und nun also pflanzt er noch dreihundert Bäume. Das erfüllte Leben eines endlich auch glücklichen Mannes. Er hat sich seine Insel Felsenburg geschaffen, erschrieben, und sie soll überdauern wenigstens für die Kinder und Enkel, denen er so den Start ins Leben ohne materielle Sorgen ermöglicht. In wenigen Wochen bin ich schuldenfrei; was mir übrig bleibt, ist mein; die Interessen davon reichen, nebst meiner Pension, zu anständiger Führung meiner Haushaltung zu, und ich brauche nicht mehr über Vermögen zu arbeiten.
Wieland ist als Gutsherr auch im Dorf Oßmannstedt angekommen und sein Wohlbefinden teilt sich mit ohne Standesgrenzen. Mitten im Dorf, unter einer großen Linde wurde getanzt. …Es tat mir wohl den ehrwürdigen Wieland zu sehen, wie der edle Greis im hundertjährigen Schatten der Linde da saß und mit ruhigem Mut als Gutsherr den muntern Burschen Bescheid tat, die ihm mit vielen Kratzfüßen einen Stuhl setzen und nach Herkommen ein Glas reichten. (Johannes Daniel Falk)
Oßmannstedt wird ein Besuchermagnet. Den alten Wieland in seinem Osmantinum im Kreise seiner Familie zu erleben oder, ausgestattet mit Samtkalotte, Tuchstiefeln und Spazierstock durch die Alleen seiner jungen Obstbäume wandeln zu sehen, ist den Besuchern wie das Blättern in den vergilbten Seiten der Literaturgeschichte, die plötzlich zum Leben erwacht. Zweihundert Jahre nach Wieland wird es an Versuchen nicht fehlen, den spiritus loci, zu dem eine Obstplantage unbedingt gehört, wieder aufleben zu lassen. Sportstätten werden evakuiert und Bäumchen implantiert, Samtkalotte und Spazierstock werden staubfrei hinter Glas verwahrt zur allgemeinen Ansicht, davor der Schreibtisch, über dem eine Büste des Autors nach draußen sieht in den Park und auf frisch gepflanzte Bäume.
›Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio
Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2024 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]
URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/wieland-sophie-brentano-und-kleist-in-ossmannstedt/gut-ossmannstedt-1797-1803/]