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Grab von Christoph Martin Wieland
Thema
Literarisches Thüringen um 1800
Jürgen M. Paasch
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Am späten Nachmittag des 11. September 1811 unternimmt Wieland mit seinen Töchtern Luise und Caroline und deren Freundin Friederike Wiedeburg, Tochter eines Jenaer Physikprofessors, einen Ausflug über Land. Die kleine Gesellschaft sitzt im Landauer und der achtundsiebzigjährige Wieland hält die Zügel, an denen zwei Mietpferde kräftig zerren. Am Tiefurter Berg verliert er die Kontrolle über das Gespann, die Kutsche stürzt und die Insassen finden sich auf dem Weg und in der Böschung wieder. Die ohnedies körperlich schwächliche Luise erleidet eine Fraktur des Beckens und des Oberschenkelhalsknochens. Eine auf dem Feld arbeitende Bäuerin trägt die ohnmächtige Luise ins Dorf, von dort bringt sie eine Hofkutsche nach Weimar, wo man sie medizinisch versorgt. Auch Vater Wieland bleibt nicht unverletzte; neben leichten Hautabschürfungen im Gesicht wiegt eine Fraktur des linken Schlüsselbeins besonders schwer. Der Bruch wird nie mehr vollständig ausheilen und am Beginn dauerhafter gesundheitlicher Probleme stehen. Noch im November erleidet er einen Infarkt, dann einen Schlaganfall. Im Jahr 1812 kommen Schlaflosigkeit und Darmprobleme hinzu und Besucher berichten, dass sich seine Rede manchmal verwirrt. Der greise Dichter verfällt, körperlich wie geistig.
Am Ende des Jahres, es ist der 30. Dezember 1812, Wieland sitzt in seinem weißen Schlafmützchen mutig am Cicero (Carl Bertuch), überkommen ihn heftiges Fieber und Krämpfe. Er wird die Krankheit nicht mehr los, Ärzte kommen und gehen, die Familie versammelt sich. Am 20. Januar 1813, gegen Mittag, als der Arzt ihm Mut zusprechen und Hoffnung machen will, sagt Wieland leichthin: ›Sein oder Nichtsein, das ist mir jetzt so ziemlich egal‹; hierauf sprach er den Anfang des Monologs englisch (Wielands Enkelin Wilhelmine Schorcht). Es wären schöne letzte Worte gewesen, tatsächlich dürfte er sich ganz zum Schluss aber über eine Bouillon lustig gemacht haben: ›Das ist zum todt lachen – das ist ja eine wahre Kosaken-Wirtschaft, und Du bist die Marketenderin‹, sagte er zu der, die es ihm überreichte; er nahm es aber freundlich und lächelnd an (Wilhelmine). Da ist es etwa 20 Uhr. Seine Bewegungen waren noch bis gegen 11 Uhr und später lebhaft, aber er konnte nicht mehr sprechen. Der Puls ging noch sehr stark, nur das öftere minutenlange Aufhören desselben machte uns aufmerksam. Ein stärkerer Athemzug geschah, und sein schönes Leben war geendet! (Wilhelmine). Es ist immer noch Mittwoch, der 20. Januar 1813, kurz vor 24 Uhr.
Laut der Eintragung im Totenbuch der Stadtkirche Weimar stirbt Wieland an Entkräftung und Schlagflus und wurde, Montags den 25. Januar e. a., nachdem er Tags vorher in der Wohnung des Herr Legationsrats Bertuch ausgestellt worden, früh 3 Uhr, nach dem ihm ehemals… zugehörigen Rittergutsdorfe Oßmannstedt abgeführt und selbigen Tages, nachmittags 3 Uhr, in dem dasigen Rittergutsgarten neben seine früher verstorbenen Frau Gemahlin beerdigt.
Am Nachmittag dieses 25. Januars begleiten mehr als 500 Menschen Wielands Beisetzung – Goethe ist nicht dabei. Er lässt sich vertreten durch August, seinen Sohn. Wie immer begegnet Goethe dem Tod, indem er ihm den Rücken kehrt, indem er flieht (Sigrid Damm). Er sitzt am Frauenplan, lässt sich berichten und leistet seine Art von Trauerarbeit: er schreibt dem Freund einen Nekrolog.
Ein dreiseitiger anspruchsloser Obelisk steht in der Mitte dreier Grabhügel, nur die Namen und Daten der Verstorbenen sind verzeichnet und umlaufend eine 1806 von Wieland vorausschauend entworfene Rokoko-Arabeske als Grabinschrift:
Liebe und Freundschaft umschlang / die verwandten Seelen im Leben / und ihr Sterbliches deckt dieser gemeinsame Stein,
aufgeteilt nach der Abfolge der Grablegungen: Sophie Brentano / Anna Dorothea Wieland / Christoph Martin Wieland.
Um die Gräber wird 1827 eine eiserne Einfassung aufgestellt, entworfen von Clemens Wenzeslaus Coudray. Die Eisenstäbe sehe ich schon als Hufeisen unter den Pferdefüßen einer künftigen Kavallerie blinken…. Das Wielandsche Grab liegt überdies viel zu nahe an der Ilm, der Fluß braucht in seiner raschen Biegung kaum einhundert Jahre am Ufer fort zu zehren, und er wird die Toten erreicht haben (Goethe). 140 Jahre später, die Eisenstäbe stehen noch und die Ilm war gnädig, ist Arno Schmidt an Wielands Grab: Ich habe manche Stunde dort gesessen, ganz im Grünen, im schlichten eisernen Gitterkreis… Wenige Meter entfernt, unter Büschen, fließt die rührend schmale Ilm in einer Auswärtskurve vorbei – es ist schon eines unserer Nationalheiligtümer, nach dem Jeder einmal im Leben wallfahrten sollte, um sein ›Om mani padme hum‹ zu sagen. (Mantra; tibetische Aussprache: »om mani peme hung«; Übersetzung: »Heil Dir im Juwelen-Lotos«; Bedeutung: Preisung der kostbaren [Juwel] Reinheit [Lotos] einer Person). Für Rolf Michaelis ist es sogar das schönste deutsche Dichtergrab.
Am 18. Februar 1813 verliest Goethe seine Trauerrede auf den toten Freund im Wittumspalais, Wieland‘s Andenken in der Loge Amalia zu Weimar. Über knapp sechzig Minuten legt Goethe sein Bekenntnis zu Wieland ab, anschließend ist er nicht auffindbar. Sodann für mich, heißt es im Tagebuch.
An gleicher Stelle, in der Loge »Amalia im Orient«, hielt Christoph Martin Wieland am 24. Oktober 1812 die Rede Über das Fortleben im Andenken der Nachwelt, in der es heißt, Wer und wo bin ich? / Was war ich vor dem Eintritt in dieses Leben? / Was wird nach dem Ausgang aus demselben aus mir werden? …Selbsterkenntnis [ist] die einzige reine Quelle…, woraus er die Antworten auf jene Fragen zu schöpfen hat.
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