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Thüringen im literarischen Spiegel
Literarisches Thüringen um 1800
John Russell
Reise durch Deutschland und einige südliche Provinzen Oestreichs in den Jahren 1820, 1821 und 1822, Leipzig 1825
So wie der Reisende nordwärts von Frankfurt nach Sachsen fortwandert, so schnell verschwinden auch die weinbekränzten Hügel des Mains, um dem Thüringer Wald Platz zu machen, welcher diesen Namen noch führt, obgleich die Kultur ihm viel von dieser Ehre geraubt hat. Die Gegend, welche ihn bedeckt, bildet eine niedrige Bergkette, zwischen der hier und da ansehnliche Täler liegen, die von einer äußerst betriebsamen Volksmasse wimmeln. Ausgenommen gegen Cassel, wo noch manche Berge ihre Bekleidung von Buchen beibehalten haben, ist nur hier und da von den Kornfeldern und Obstgärten eine Baumgruppe übrig gelassen worden, um den Hütten, um welche sie stehen, Schutz zu gewähren, oder die Berggipfel zum Bedarf des Feuerholzes zu bekränzen.
Auf das Gebiet von Cassel folgt ein Teil von dem Großherzogtum Weimar, denn zwischen dem Thüringer Wald und dem Fuße des Erzgebirges nistelt eine Menge kleiner Fürsten, welche entweder durch Familienrücksichten oder Verdienste um den Staat ihre unbedeutende Unabhängigkeit zu sichern gewußt haben. Hat man einige Meilen von Weimar zurückgelegt, so kommt man auf einige Meilen in das Gothaische Gebiet, diesem folgt ein Stück von Preußen und die preußische Vestung Erfurt, und kaum ist man außerhalb der Kanonen, so ist man wieder aus diesem Gebiete und findet sich von neuem in den Besitzungen des Großherzogs von Sachsen-Weimar.
Weimar, die Hauptstadt dieses Staates, dessen sämtliche Bevölkerung sich nicht über hunderttausend Seelen erstreckt, verdient kaum den Namen einer Stadt. Die Einwohner, eitel wie sie sind auf ihren wohlverdienten Ruf, die deutschen Athenienser zu sein, suchen eine Art von Stolz darin, ihren Ort für nichts weiter als für ein ansehnliches Dorf zu halten. Weder Natur noch Kunst hat zu seiner Verschönerung etwas beigetragen; kaum wird man daselbst eine gerade Straße antreffen oder, den Palast ausgenommen und das Gebäude, in welchem sich das Parlament versammelt, ein ansehnliches Haus in der ganzen Stadt. In drei Minuten kann sich einer in der Umgebung so gut orientieren, als wenn er eine Tour von zwanzig Meilen gemacht hätte. Der Palast imponiert bloß durch seine Umgebung und ist noch unvollendet; denn der Großherzog, welcher ihn nur so weit hat herrichten lassen, als es für seinen Hofstaat und für die Familie seines ältesten Sohnes erforderlich war, geht zu haushälterisch mit dem Gelde seiner Untertanen um, als daß er die Vollendung des Palastes eher beschleunigen sollte, als bis sich sein kleines Land von den Drangsalen und der Erschöpfung erholt hat, die mit der Schlacht bei Jena ihren Anfang nahm und sich erst mit dem Siege bei Leipzig endete.
Die Ilm, ein kleiner kotiger Strom, kriecht vor der Stadt vorbei; längs dem Wasser hat man Holz angepflanzt, Spaziergänge angelegt; Felsen, wo man sie fand, in einer perpendicularen Richtung ausgehauen, und wo keine da waren, kleine Nischen angebracht; alles dies, um einen Park oder wie sie ihn öfters nennen, einen englischen Garten anzulegen. Einzelne Verzierung betreffend, sind die witzigen Köpfe Weimars ein wenig aufs Kleinliche verfallen, was vielleicht zu unbedeutend ist, als daß es erwähnt werden sollte, wenn wir nicht erwarten dürften, hier auch die geringste Kleinigkeit in Gegenständen des Geschmacks untadelhaft zu finden, weil Weimar die Pflegerin des guten Geschmacks von Deutschland geworden ist Es ist z. B. völlig erlaubt, einen Altar in einem schattigen Winkel zu errichten, und ihn mit der Inschrift zu versehen: Genio Loci, dem Schutzgeiste des Ortes; wenn aber auch eine Schlange unter dem Altare hervorkroch, auf welchem Aeneas den Manen seines Vaters opfertet, und die Kuchen verzehrte; so ist es doch nicht recht, wenn es eine Schlange wagen darf, sich um den Altar des Schutzgeistes des englischen Gartens zu Weimar zu winden und in einen Haufen Steine zu beißen, welche vor ihm oben darauf liegen.
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