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Thüringen im literarischen Spiegel
Literarisches Thüringen um 1800
Johanna Schopenhauer
Heinrich Luden/Johanna Schopenhauer: Die Schlacht von Jena und die Plünderung Weimars im Oktober 1806, hg. Klaus von See und Helena Lissa Wiessner, Heidelberg 2006.
Weimar, 18./19. Oktober 1806
[…] In der Stadt war entsetzliches Elend und in den Vorstädten. Die Esplanade liegt zwar nahe, aber doch nicht im Mittelpunkte der Stadt; dies und Sophiens und Contas Gegenwart des Geistes haben uns gerettet. Die Stadt ist förmlich der Plünderung preisgegeben; die Offiziere und die Kavallerie blieben frei von den Greueln und taten, was sie konnten um zu schützen und zu helfen. Aber was konnten sie gegen 50.000 wütende Menschen, die diese Nacht hier frei schalten und walten durften, – da die ersten Anführer es, wenigstens negativ, erlaubten! Viele Häuser sind rein ausgeplündert; zuerst natürlich alle Laden; Wäsche, Silberzeug. Geld ward fortgebracht, die Möbeln, und was sich nicht transportieren ließ, verdorben; fast alle Türen sind erbrochen, alle Fenster zerschlagen, viele wurden mit Bajonetten aus ihren Häusern getrieben, dazu der gräßliche Witz dieser Nation, ihre wilden Lieder: »Mangeons, buvons, pillons, brülons tous les maisons!« hörte man an allen Ecken. Überall liefen sie mit brennenden Lichtern umher, die sie dann in den ersten besten Winkel schleuderten. Es ist unbegreiflich, daß nicht Feuer an allen Ecken ausgekommen ist. Auf dem Markte hatten sie große Wachtfeuer errichtet, um welche sie schwärmten und Hühner, Gänse, Ochsen brieten und kochten. Im obern Teile des Parks bis an Ober-Weimar und das Webicht hin war ihr Lager, das heißt, die nicht einquartiert waren, biwakierten ohne Zelte bei großen Feuern. Der Park ist sehr verwüstet, die schönsten Bäume zum Feuer umgehauen, alle Gebäude darin, bis auf die kleinen Behältnisse, wo das Gartengeräte aufbewahrt wurde, sogar erbrochen und beschädigt worden. Die wenigsten im Lager wußten, daß unten eine Stadt wäre; denn kamen die aus der Stadt mit Beute beladen ins Lager und erzählten, daß es unten eine ansehnliche Stadt gäbe, die ihnen preisgegeben wäre, so liefen fast alle hinunter. Die Offiziere waren außer sich darüber; aber sie durften sie nicht halten. Prinz Murat und viele Generale waren in der Stadt, der Kaiser kam erst den folgenden Morgen. Viele Einwohner flüchteten aus den Häusern in Wald und Feld und sind zum Teil noch nicht wieder da. Hunderte hatten sich ins Schloß gerettet; auch in diesem ist man in die Silber- und Wäschkammer gedrungen und hat manches daraus geraubt, auch des Herzogs Gewehrkammer ist geplündert worden.
Die Herzogin hat unbegreiflich vielen Mut gezeigt und hat uns alle gerettet. Auch hat der Kaiser fast zwei Stunden mit ihr gesprochen, was noch keiner Fürstin widerfahren sein soll. Sie allein ist geblieben, während alle die Ihrigen entflohen. Wäre sie auch fortgegangen, so stünde Weimar nicht mehr. Alles, was ins Schloß geflüchtet war, nahm sie auf und teilte mit ihnen, dadurch kam es denn, daß sie und alle einen ganzen Tag nur Kartoffeln zu essen hatten. Alle, die um sie waren, versichern mich, daß die großherzige Frau sich immer ganz gleich blieb und in ihrem ganzen Wesen fast kein Unterschied gegen sonst zu bemerken war. […]
Abb. 1: Gemälde von Caroline Bardua, 1806 / Abb. 2: Gemälde von Ludwig Sigismund Ruhl, 1815.
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