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Thüringen im literarischen Spiegel
Fritz Grünbaum
Die Schöpfung und andere Kabarettstücke / Fritz Grünbaum. Mit e. kabarettist. Vorrede von Georg Kreisler. Hrsg. u. mit e. biograph. Nachw. von Pierre Genée u. Hans Veigl, Löcker, Wien – München 1985.
Fritz Grünbaum
Der rote Pegasus
In den ersten Augusttagen
Neunzehnhundertvierzehn las ich
In den deutschen Zeitungsblättern
(Nicht nur in den nationalen,
Nein, auch in den »freiheitlichen«),
Daß ein »Überfall von Räubern«
Unser Vaterland bedrohe.
Und ich las vom zweiten Wilhelm,
Daß er nicht »Partei’n« mehr kenne,
Sondern Deutsche nur. Nur »Deutsche!«
Und ich las von Prager Festen,
Wo die Tschechen »Hoch!« gerufen,
Wohingegen Deutsche »Nazdar!«
Und ich las, die Sozialisten
Seien auch bereit zu kämpfen,
Um den Schimpf des Überfalles
Fremden »Krämervolks« zu rächen.
Und die Juden? Ja, die Juden …
No natürlich – sind auch Brüder!
Lauter Brüder, nichts wie Brüder,
O, wie schwoll mein Herz voll Freude!
In der blutigroten Sonne
Der gemeinen Not erstrahlte
Morgenschein der Volksversöhnung.
Und ich jubelte, »nun hab‹ ich
Auch ein Vaterland wie alle!«
Und ich pries den greisen Kaiser,
Der uns so zusammenführte,
Und ich schrieb ein heißes Liedchen,
Das die Völker freudig sangen:
»Draußen im Schönbrunnerpark …«
Und als ich das Lied geschrieben,
Schien’s an einem mir zu fehlen:
»Leicht ist’s, mit dem Maul zu kämpfen,
Bist du Mann, dann nimm die Waffe!«
Und ich zog den bunten Rock an
(Wenn die »Kommission« auch lachte
Und zurück mich weisen wollte!),
Und dann stieg ich auf die Berge,
Sah dem welschen Feind ins Auge.
– – –
Doch ich sah auch andre Feinde:
Oberste, die Fronturlauber
Auf den Wiener Straßen »stellten«,
Weil die »Adjustierung falsch« war;
Bahnhofkommandanten, welche
Sicher warm in Innsbruck saßen
Und den Mann, der von der Front kam,
Lächelnd bis auf’s Blut sekkierten;
Bundesbrüder, hundeschnauzig,
Die in unserm eignen Lande
Mehl und Möbel requirierten;
Feldherrn, deren Feld in Wien war,
Wo sie armen Lungenkranken
Einen »A‑Befund« verschafften;
Vorgesetzte, die dem Manne
Einen Urlaub kalt verwehrten,
Wenn sein Weib in Wehen wimmert‹!
Dieses sah ich durch vier Jahre,
Und als ich dies angesehen,
Fluchte ich dem eignen Liede
»Draußen im Schönbrunnerpark …«
Und mir quollen neue Lieder
Lang schon, eh‹ das Volk erwachte
Und die Kette abgeschüttelt;
Und ich hab‹ sie aufgeschrieben,
Um mich selber zu entsühnen
Und die Brüder zu ermahnen:
Werdet Brüder eignen Willens,
Nicht durch Willen der Gewalt’gen!
Wenn uns Fürsten Einheit gaben,
Jubelt‹ fröhlich nur der Tor,
Doch der Kluge weiß, sie haben
Dann – was ganz Gemeines vor!
Fritz Grünbaum schrieb diesen Text nicht im KZ Buchenwald, doch er »conferierte« als Häftling im KZ Buchenwald mehrfach mit seinen kabarettistischen Texten und seinen Gedichten. Von hier wurde er 1940 ins KZ Dachau deportiert, wo er am 14. Januar 1941 starb.
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