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York-Egbert König
Thüringer Literaturrat e.V.
Noch von Hofgeismar aus hatte sich Lisa Heise im Juli 1919 brieflich an Rainer Maria Rilke gewandt. Sie befindet sich damals in einer schweren Lebenskrise, der tiefsten ihres an schwierigen persönlichen Situationen nicht armen Lebens. Ihre Ehe mit dem Künstler Wilhelm Heise ist gescheitert, mit dem zweijährigen Sohn lebt sie ohne materielle Absicherung, ohne Freunde in dem kleinen hessischen Landstädtchen. In der Lektüre von Rilkes »Buch der Bilder« findet sie Trost und Hilfe, so sehr, dass sie dem Wunsch nachgeben muss, dem Dichter zu danken. Wider Erwarten antwortet dieser überraschend schnell und ausführlich. Und der Briefwechsel setzt sich weiter fort. Im folgenden Jahr finden wir Lisa Heise in Tiefurt bei Weimar wieder. Durch ein Zeitungsinserat war sie auf Thekla Mulert (1883–1973) gestoßen, die eine Mitstreiterin zum Betreiben einer Gärtnerei sucht, durch einen Zufall also, wenn Zufall das ist, was uns zufällt, weil er fällig ist. Man erreicht das Gelände »Am Schießholz« auch heute noch, wenn man die Eduard-Rosenthal-Straße entlang von Weimar nach Tiefurt geht oder fährt, hinter dem Viadukt rechts in die Straße Am Viadukt einbiegt und sich dann bei nächster Gelegenheit nach links wendet. Aber »kahl und schattenlos« bietet sich das damalige Grundstück mit der heutigen Hausnummer 2 schon längst nicht mehr dar.
Ich sehe uns wieder an einem strahlenden Pfingsttag den Weg zu ihrem Pachtland gehen, längs des Bahndamms, wo Bienen um Ginster und Lupinen summten und ein Zug donnernd über den Viadukt fuhr. Verstohlen musterte ich meine Begleiterin, ein schmales, von Sonne und Wind gebräuntes Gesicht, um die Augen schon ein paar Linien. Aber wie gut standen sie ihr! Sie unterstrichen gleichsam nur ihr inneres Jungsein. ›Dort hinter dem Viadukt liegt das Häuschen und der Garten‹ wandte sie sich an mich, ›auf freiem Felde, wo sich Hasen und Füchse Gute Nacht sagen. Wir sind da ganz allein – nur einen Nachbar gibt es in einiger Entfernung. Ob es Ihnen nicht zu einsam sein wird? Sie sind doch noch sehr jung‹. Aber die jähe Zustimmung meines Herzens war durch nichts mehr zu erschüttern. Der Garten war ein eingezäuntes Stück Feld, etwas über zwei Morgen groß, rohe lehmige Scholle, kahl und schattenlos. Die wenigen Beerensträucher und die paar schmächtigen, eben gepflanzten Obstbäume, die reihen frisch aufgeworfener Spargelbeete und der helle Lattenzaun, das alles verstärkte den Eindruck der Nüchternheit, von Neuem und Vorläufigem, wie es andererseits der Hoffnung und Fantasie auf ein Endgültiges, wenn auch erst in Jahren zu Erreichendes großen Spielraum gibt. Vor dem kleinen spitzgiebeligen Haus, das in dem großen Garten nicht anders als ein Zelt wirkte, breitete sich schon ein bunter Teppich von Sommerblumen, ein wildes verschwenderisches Blühen, in dem alles Gartenglück beschlossen war.
Der einzige fühlbare Übelstand war der gänzliche Mangel an Wasser. Es gehörte schon besonderer Mut und Optimismus dazu, eine Gärtnerei zu betreiben ohne einen Tropfen Wasser. Zwei Eimer voll zum Kochen und Waschen erhielten wir täglich aus dem Brunnen des Nachbarn. Zum Gießen der Kulturen, Wasser aus dem Fluß [Ilm] zu holen, der sich in ziemlicher Entfernung und etwa dreißig Meter tiefer als das Feldniveau sein Bett gegraben hatte, war kaum möglich, da der Hang so steil war, daß es artistischer Geschicklichkeit bedurfte, ihn mit zwei vollen Eimern Wasser zu erklimmen. So waren wir ganz auf den Himmel angewiesen. Wir bauen das Gemüse feldmäßig [an] und pflanzen nur, wenn es geregnet hat“, entschied Tilla. ›Draußen auf dem Feld wird auch nicht gegossen‹, beschwichtigte sie meine Bedenken.
Arbeit und Leben der beiden Frauen sprechen sich herum, und aus der Stadt wandern immer wieder Gäste herbei, u. a. auch Walter Gropius (1883–1969), Gret Palucca (1902–1993).
Ein nicht abreißender Strom von Besuchern, Freunde und Verwandte Theklas, überflutete das Haus: Gärtnerinnen, die sich Rat in Examensnöten holten, Zeichner und Maler vom Bauhaus mit Staffelei und Palette, Musikstudenten, die das Klavier auf die Veranda schoben und ihre Seele unter dem nächtlichen Sternenhimmel verströmten, Dichter, die Verse und Dramen vorlasen oder schweigend ihre Pfeife rauchten und in den Tag oder die Nacht hinaus sannen. Sie sahen uns werken und legten auch selbst einmal hand mit an, pflückten Blumen oder eine handvoll Erbsen in den Korb, griffen auch mal zum Spaten, tanzten am Abend zur Ziehharmonika auf den Ilmwiesen, badeten im Fluss und zogen singend mit ihren Lampions wieder der Stadt zu. Je nach Temperament und Weltanschauung fanden sie unser Tun ›reizend – immer so mit Blumen‹ oder schüttelten die Köpfe über die beiden Närrinnen, die sich in solch eine Arbeit verbohrten, im Weggehen etwas von ›Schinderei‹ oder ›Heroismus‹ murmelnd.
Abb. 1, 2: Sammlung Christoph Heise.
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