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Literarisches Thüringen um 1800
Gerhard R. Kaiser
Thüringer Literaturrat e.V. / Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
In anderer Weise als die lakonischen Inschriften auf den Monumenten für Leopold und Constantin, Mozart und Herder heben sich die auf dem Denkmal mit Amor als Nachtigallenfütterer und unter der Wielandbüste von der durch Hirschfeld vorzugsweise empfohlenen und in Seifersdorf geradezu seriell umgesetzten Empfindsamkeit ab. Die von Goethe stammenden Distichen
Dich hat Amor gewiSS, o SAEngerin, fütternd erzogen
Kindisch reichte der Gott dir mit dem Pfeile die Kost:
SCHLUERFEND SAUGTEST DU GIFT IN die harmlos atmende Kehle
UND mit der Liebe Gewalt TRIFFT Philomele das Herz.
stellen die Erfahrung der beseligend-zerstörerischen Gewalt der Liebe, die im petrarkistischen und shakespearschen Oxymoron einen zwar rhetorisch-artifiziellen, doch vergleichsweise expressiven Ausdruck gefunden hatte, in einen mit »Amor« und Philomele aufgerufenen antik-mythischen Zusammenhang. Überdies verlangen sie dem Leser die Anstrengung ab, in der Abfolge der beiden Distichen die Ersetzung des traditionellen Bildes vom Pfeile sendenden Amor durch die von Amor mit dem Pfeil »fütternd erzogen[e]« Nachtigall nachzuvollziehen, deren Gesang erst »Gift« in das »Herz« des Liebenden tröpfelt.
In Verbindung mit dem mythischen Anspielungshorizont verleiht das dadurch bewirkte reflexive Innehalten der zwiespältigen Erfahrung der Liebe einen deutlich zurückgenommeneren, gedämpfteren Ausdruck, als es bei einem längst konventionalisierten Oxymoron wie »süße Qual« der Fall gewesen wäre.
Auch unter der Schadowschen Wieland-Büste, die an die Stelle der Klauerschen trat, sind Verse Goethes zu lesen, wobei die Verse, in diesem Fall Hexameter, aus Platzgründen jeweils auf zwei Zeilen verteilt wurden. Der 1971 / 72 angebrachte Text, wie er heute in Tiefurt zu lesen ist, folgt der Ausgabe letzter Hand von 1826:
Wenn zu den Reihen der Nymphen,
Versammelt in heiliger Mondnacht,
Sich die Grazien heimlich
Herab vom Olympus gesellen,
Hier belauscht sie der Dichter
Und hört die schönen Gesänge,
Sieht verschwiegener Tänze
Geheimnisvolle Bewegung.
Was der Himmel nur Herrliches hat,
Was glücklich die Erde
Reizendes immer gebar,
Das erscheint dem wachenden Träumer.
Alles erzählt er den Musen,
Und daß die Götter nicht zürnen,
Lehren die Musen ihn gleich
Bescheiden Geheimnisse sprechen.
Nach Wahl, der keine Quelle nennt, schmückten die von Goethe am 15. 5. 1782 an Knebel geschickten, mit »Geweihter Platz« überschriebenen Hexameter, möglicherweise aber auch seine Distichen Ländliches Glück zuvor das Innere der Vergil-Grotte.
Für ihre Platzierung unter der Wieland-Büste Schadows noch in den letzten Lebensjahren Anna Amalias gibt es keine Belege, doch Abschriften Herders (»Auf Wielands Büste«) und Luise von Göchhausens (»Unter Wielands Büste im Garten zu Tiefurt«) legen es nahe.
Dem Wieland-Denkmal kommt wegen der besonderen Neigung dieses Dichters zu Tiefurt, seiner engen Verbundenheit mit Anna Amalia und der Aufstellung auf dem Lieblingsplätzchen des Dichters am östlichen Ilmufer ein gesteigert intimer Wert zu. Auch in diesem Fall aber schuf bzw. intendierte Goethe dazu ein Gegengewicht, indem er das mythologische Wissen von den inspirierenden Musen aufruft, alsbald aber – wie schon den Amor- und den Philomele-Mythos – in besonderer Weise akzentuiert: Der Dichter »belauscht« und beobachtet die irdischen Nymphen und die vom Olymp herabgestiegenen Grazien und teilt seine danach aus »Erde und »Himmel« gewobene Erzählung den Musen mit; deren inspirierende Rolle aber, wie Wieland selbst sie im berühmten »Oberon«-Eingang aufgerufen hatte, bleibt darauf beschränkt, »bescheiden Geheimnisse sprechen« zu lehren und damit den Dichter einer Ästhetik der Diskretion zu verpflichten, in der sich, bei allen Unterschieden, der Verfasser der Inschrift mit dem Adressaten einig weiß.
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