Tiefurt – Ein literarischer Spaziergang durch den Park
7 : Stein mit Inschrift von Friedrich von Matthisson

Personen

Johann Wolfgang von Goethe

Karl Ludwig von Knebel

Friedrich von Schiller

Ort

Schloß und Park Tiefurt

Thema

Literarisches Thüringen um 1800

Autor

Gerhard R. Kaiser

Thüringer Literaturrat e.V. / Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Eine Son­der­stel­lung unter den Tie­fur­ter Inschrif­ten kommt den Mat­t­his­son-Ver­sen und den ent­we­der von Goe­the oder dem Goe­the-Freund Kne­bel stam­men­den Disti­chen im obe­ren Loh­hölz­chen zu, weil beide in gestei­ger­ter Weise den beson­de­ren Anmu­tungs­qua­li­tä­ten des Parks im Ilm­bo­gen entspringen.

Wenn man den Park heute, wie die meis­ten Besu­cher, vom Park­platz neben Kam­mer­gut und Schlöß­chen aus betritt, sieht man, leicht nach links ver­setzt, einen schlich­ten Tra­ver­tin­stein mit der Inschrift

HIER WOHNT STILLE DES HERZENS, GOLDENE BILDER
STEIGEN AUS DER GEWÄSSER KLAREM DUNKEL
HÖRBAR WALTET AM QUELL DER LEISE FITTIG
SEGNENDER GEISTER

Dar­un­ter die Ver­fas­ser­an­gabe: FRIEDR. v. MATTHISON

Die Inschrift, von der erst­mals 1899 die Rede war , soll am frü­he­ren Ein­gang des Parks an der heu­ti­gen Bus­schleife, zu lesen gewe­sen sein.

Der Ver­fas­ser der Verse war lange in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Seine Wie­der­ent­de­ckung, ver­mut­lich erst 1956, dürfte zwi­schen 1957 und 1963 den Anstoß dazu gege­ben haben, den Stein neben dem Schlöss­chen auf­zu­stel­len, wobei man mit der fal­schen Schrei­bung des Autor­na­mens, der metri­schen Ände­rung von »goldne« in »gol­dene« und der Plat­zie­rung weitab von der Ilm recht nach­läs­sig und gedan­ken­los ans Werk ging, ver­wei­sen die Verse doch unmiss­ver­ständ­lich auf das nahe Flüsschen.

Unter den Tie­fur­ter Inschrif­ten kommt Mat­t­his­sons Ver­sen auch inso­fern eine Son­der­stel­lung zu, als sie, mög­li­cher­weise als ein­zige nicht von Anfang an dem Park zuge­dacht, einem grö­ße­ren Text­zu­sam­men­hang ent­nom­men sind. Ursprüng­lich bil­den sie die mitt­lere Stro­phe einer sap­p­hi­schen Ode und kön­nen frü­hes­tens 1792, als Mat­t­his­son Kne­bel besuchte, bzw. 1794, dem Jahr des Erst­drucks, den frü­he­ren Park­ein­gang geschmückt haben. Der voll­stän­dige Text lau­tet in der ursprüng­li­chen Fassung:

 

VAUKLÜSE.
1792.

Ein­sam grü­nen­der Ölbaum, der am wilden
Moos­ge­steine sich trau­rend hin­beugt, athme
Küh­lung über den Fremd­ling; Sommergluten
Sprühte der Maitag.

Hier wohnt Stille des Her­zens; goldne Bilder
Stei­gen aus dem [!] Gewäs­ser kla­rem Dunkel;
Hör­bar wal­tet am Quell der leise Fittig
Seg­nen­der Geister.

Fleuch, des Künf­ti­gen Traum! ver­wallt in Nebel,
Eitle Schat­ten­ge­bilde des Vergangnen!
Einen Trop­fen der Lethe nur, und Psyche
Schau­ert vor Wonne.

­

In einer lan­gen Anmer­kung klärte Mat­t­his­son seine Leser durch ein fran­zö­si­sches Zitat dar­über auf, was es mit dem ers­ten Teil des Titels auf sich hatte.

Dass mit »Vau­klüse« und dem »Quell« zugleich, auch ohne ihre Namen, Petrarca und Laura auf­ge­ru­fen sind, daran ließ er kei­nen Zwei­fel. Immer wie­der hatte er die bei­den in sei­nen Gedich­ten her­auf­be­schwo­ren, etwa in der Ode »Lau­ras Quelle«, der Petrar­cas Verse

Chiare, fre­sche e dolci acque
Ove le belle membra [!]
Pose colei, che sola a me per donna,
Date udienza –
Alle dolenti mie parole estreme!

Wie aber ist zu erklä­ren, dass für den Tie­fur­ter Park­ein­gang noch um 1800 Verse eines so stark der Emp­find­sam­keit ver­pflich­te­ten Autors wie Mat­t­his­son gewählt wurden?

Hans Chris­toph Buch hat die von ihm aus einer Werk­aus­gabe von 1912 mit dem Titel »Vau­klüse« wie­der­ge­ge­bene Ode auf Grund des Ent­ste­hungs­jah­res 1792 und des Ver­ses »Am Strand der Seine tobt Gewit­ter­sturm« in dem 1792 ver­öf­fent­lich­ten Gedicht Der Gen­fer­see ein »dop­pel­bö­di­ges Idyll« genannt; der fried­lich-stille Raum, den es evo­ziert, zeuge indi­rekt von den poli­ti­schen Lei­den­schaf­ten, deren der Dich­ter in Lyon auf der Reise zu Petrar­cas Refu­gium ansich­tig gewor­den sein musste. »Hin­ter der Natur­idylle« lau­er­ten »Tod und Ver­gäng­lich­keit«, »der har­mo­ni­sche Wohl­klang der Poe­sie« diene als »Ver­ges­sens­droge, um die Schre­cken der Ver­gan­gen­heit und die Angst vor der Zukunft aus dem Gedächt­nis zu til­gen«. »Viel­leicht« sei dies der Grund gewe­sen, »warum Gott­fried Benn das Gedicht beson­ders schätzte« und sei­nem Freund Oelze fast über­schwäng­lich dankte für die Mit­tei­lung der schö­nen Verse Mat­t­his­sons mitt­lere Stro­phe, die heute in Tie­furt zu lesen ist, ver­schweigt mit dem Titel ihren ursprüng­li­chen ört­li­chen und zeit­li­chen Bezug. Gleich­wohl dürfte sie dem zeit­ge­nös­si­schen Leser durch das ein­gangs betonte deik­ti­sche »Hier«, in der die »Stille des Her­zens«, die den Besu­cher ergreift, mit dem »leise[n] Fit­tig / Seg­nen­der Geis­ter«, dem Aus­zeich­nen­den des Ortes, kor­re­spon­diert, des­sen idyl­lisch-idea­li­schen Gegen­cha­rak­ter und das Epi­pha­nisch-Augen­blicks­hafte sei­ner Erfah­rung bewusst gemacht haben: Im »Hier« schwingt das »Dort«, die Welt jen­seits Tie­furts, mit, die in den 1790er Jah­ren und den fol­gen­den andert­halb Jahr­zehn­ten durch lei­den­schaft­li­che Erre­gung und Schre­ckens­bil­der geprägt war. Unüber­seh­bar zeugte davon in Tie­furt selbst, nur einige Hun­dert Meter wei­ter, die Inschrift auf dem Con­stan­tin-Keno­taph. 1806, nach Jena und Auer­stedt, wurde auch Tie­furt geplündert.

Zwei Jahre nach Ent­ste­hung der Ode hat Schil­ler Mat­t­his­son, der ein zeit­ge­nös­si­scher Lieb­lings­dich­ter war, posi­tiv rezen­siert, dabei frei­lich ein­schrän­kend von den »beschei­de­ne­ren Krei­sen« gespro­chen, in denen er bis­lang »seine Schwin­gen ver­sucht« habe, und emp­foh­len, »einen küh­ne­ren Flug zu neh­men« und zu sei­nen Land­schaf­ten nun auch Figu­ren zu erfin­den und auf die­sen rei­zen­den Grund han­delnde Mensch­heit auf­zu­tra­gen. In die­sem Vor­be­halt trifft er sich mit Goe­thes kri­ti­schem Blick auf die Emp­find­sam­keit all­ge­mein und spe­zi­ell auch auf Mat­t­his­son. In sei­nem Brief vom 31. 8. 1798 kommt Schil­ler ihm darin ent­ge­gen, indem er ihm zuge­steht, dass die »Her­ren Conz, Mat­t­his­son und andern« »gewisse Stim­mun­gen« Goe­the­scher Gedichte auf­näh­men, dabei aber als »mora­li­sche[]  Gemü­ter« die »Mitte« sel­ten trä­fen – und wenn sie mensch­lich wer­den, so wird gleich etwas Plat­tes dar­aus. Trotz die­ser kri­ti­schen Ein­schrän­kun­gen ist es kei­nes­wegs aus­ge­schlos­sen, dass – soll­ten die Mat­t­his­son-Verse tat­säch­lich schon zur Zeit Anna Ama­lias am Park­ein­gang zu lesen gewe­sen sein – Goe­the, der sich schon 1782 bei der Gestal­tung der Entree im Gar­ten und noch in den neun­zi­ger Jah­ren bei der Beschrif­tung des Con­stan­tin-Keno­taphs enga­gierte, dazu die Anre­gung oder wenigs­tens seine Bil­li­gung gege­ben hat:
Die an die Antike ange­lehnte sap­p­hi­sche Oden­form, der im »Hier« mit­ge­dachte refle­xive Vor­be­halt und die bis ins Rhyth­mi­sche rei­chende beson­dere Ange­mes­sen­heit an den Ort könn­ten dabei bestim­mend gewe­sen sein. Im Übri­gen schätzte der Goe­the-Freund Kne­bel Mat­t­his­son durch­aus als Rat­ge­ber in metri­schen Dingen.

 Tiefurt – Ein literarischer Spaziergang durch den Park:

  1. Vergilgrotte
  2. Wielands Lieblingsplatz
  3. Denkmal für den Prinzen Leopold von Braunschweig
  4. Kenotaph für den Prinzen Constantin
  5. Denkmal für Wolfgang Amadeus Mozart
  6. Amor als Nachtigallenfütterer
  7. Stein mit Inschrift von Friedrich von Matthisson
  8. Stein mit Goethe- (oder Knebel?)-Inschrift
  9. Schloss Tiefurt
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