Tiefurt – Ein literarischer Spaziergang durch den Park
9 : Schloss Tiefurt

Personen

Anna Amalia v. Sachsen-Weimar-Eisenach

Johann Wolfgang von Goethe

Friedrich von Schiller

Christoph Martin Wieland

Karl Ludwig von Knebel

Ort

Schloß und Park Tiefurt

Thema

Literarisches Thüringen um 1800

Autor

Gerhard R. Kaiser

Thüringer Literaturrat e.V. / Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Lite­ra­tur und Lebens­welt: Der Tie­fur­ter Park ist auf die viel­fäl­tigste Weise lite­ra­risch geprägt: als Land­schafts­gar­ten, des­sen Gestal­tung durch ima­gi­när auf­ge­la­dene antike Orte wie »Arka­dien«, »Tempe« und »Tibur« inspi­riert wurde und bei des­sen Gestal­tung man sich auch von zeit­ge­nös­si­schen lite­ra­ri­schen Vor­bil­dern wie Rous­seau lei­ten ließ; als frühe Stätte von Anna Ama­lias gesel­li­gem Kreis und des aus ihm her­vor­ge­gan­ge­nen Journal[s] von Tie­furt; als Ort schließ­lich einer schon zur ers­ten Blü­te­zeit ein­set­zen­den, im 19. Jahr­hun­dert fort­ge­führ­ten epi­gra­phi­schen Memo­ri­al­kul­tur wie auch als Sujet retro­spek­ti­ver poe­ti­scher Ver­ge­gen­wär­ti­gun­gen. Unter die­sen ragen die in »Kunst und Alter­tum« abge­druck­ten Stan­zen des Kanz­lers Mül­ler anläss­lich des Wei­mar-Besuchs des bay­ri­schen Königs Lud­wig I. im Jahr 1827 her­aus. Sie beschwö­ren das Drei­ge­stirn Anna Ama­lia (»Olym­pia«) – Wie­land – Her­der und wur­den von Goe­the, dem letz­ten gro­ßen Über­le­ben­den der Tie­fur­ter Blü­te­zeit, in Fort­füh­rung der schon früh ein­set­zen­den His­to­ri­sie­rung sei­ner eige­nen Per­son aus­drück­lich gut­ge­hei­ßen und befördert:

 

TIEFURT

Und still ent­zückt so heh­ren Bund zu schauen,
Erhebt die Muse ihren Zauberstab,
Dem Königs­blick soll frisch sich auferbauen,
Was ihre Huld je die­sen Thä­lern gab.
Wo sie gewal­tet, grü­nen ew’ge Auen,
Sie kennt kein Schei­den, kennt kein düst’res Grab,
Und immer neu im Wech­sel der Gestalten
Will sie das Schöne dau­ernd uns erhalten.
Sie ruft den Chor idyl­lisch heit’rer Stunden
Aus Tie­furts Hain und IHN ver­klärt herauf,
Der um Olym­pien den Kranz gewunden,
Den unver­welk­li­chen im Zeiten-Lauf;
Und JENEN – reins­tem Pries­ter­dienst verbunden –
Ein Mor­gen­stern glänzt er uns ewig auf,
Der hel­len Blicks der Völ­ker Nacht durchdrungen,
Uns ihrer Stim­men Lust und Leid gesungen.

 

Zusam­men­fas­send kann man zu den Tie­fur­ter Inschrif­ten fest­hal­ten: Nach anfäng­li­chem Zögern wandte sich Anna Ama­lia, die zwar nicht als Ver­fas­se­rin her­vor­trat, doch als Her­rin über Schloss und Park das ent­schei­dende Wort zu spre­chen hatte, vom super­la­ti­vi­schen Latein Vil­loi­sons ab; an emp­find­same, gereimte deut­sche Verse, die sie selbst noch für Etters­burg in Über­ein­stim­mung mit Hirsch­felds Vor­schlä­gen gewählt hatte, dachte sie für Tie­furt nicht mehr. Statt des­sen bevor­zugte sie die antik inspi­rier­ten deut­schen Metren des Hexa­me­ters, des Disti­chons und der sap­p­hi­schen Oden­stro­phe sowie einen epi­gra­phi­schen Lako­nis­mus, sowohl bei den per­sön­li­che­ren als auch den auf die all­ge­mei­nen Lebens­mächte und den auf die spe­zi­fi­schen ört­li­chen Gege­ben­hei­ten des Tie­fur­ter Ilm­bo­gens bezo­ge­nen Inschrif­ten. Dabei kam Goe­the als Autor der Verse auf dem Amor- und dem Wie­land-Denk­mal wie auch als Ver­fas­ser der Inschrift auf dem Con­stan­tin-Keno­taph, mög­li­cher­weise auch des Disti­chons im obe­ren Loh­hölz­chen die zen­trale Rolle zu. Es ist nahe­lie­gend, dass der schlichte Nach­name auf dem Her­der- und die zuge­spitzt lako­ni­schen Worte auf dem Mozart-Monu­ment ebenso wie die Mat­t­his­son-Verse nicht ohne seine Bil­li­gung gewählt wur­den, hat er sich doch noch nach dem Abklin­gen sei­ner frü­hen Inschrif­ten-Begeis­te­rung für die Tie­fur­ter Denk­mä­ler inter­es­siert und, wie der Con­stan­tin-Keno­taph zeigt, aktiv in ihre Beschrif­tung ein­ge­grif­fen. Mit den Wor­ten einer von Goe­the selbst so über­schrie­be­nen Werk­gruppe gespro­chen, sind die Tie­fur­ter Inschrif­ten durch­weg »anti­ker Form sich nähernd« gehal­ten. Es fehlt ihnen die ten­den­zi­ell ins Belie­bige füh­rende seri­elle Ten­denz, die durch Hirsch­felds Bei­spiel­liste ebenso wie die infla­tio­näre Sei­fers­dor­fer Pra­xis nahe­ge­legt wor­den war. Sie wur­den nicht »hin­ge­streuet«, son­dern spar­sam und wohl­be­dacht gewählt und plat­ziert. Für jedes Monu­ment und jeden Stein suchte und fand man eine indi­vi­du­elle Lösung, wie etwa an der um einige Nuan­cen per­sön­li­che­ren Note des Con­stan­tin- im Ver­hält­nis zum Leo­pold-Denk­mal oder in der Dif­fe­renz der Verse im obe­ren Loh­hölz­chen und am frü­he­ren unte­ren Park­ein­gang abzu­le­sen ist. Indem die Inschrif­ten noch das schmerz­lichste Gefühl in anti­ki­sie­ren­der Form, gege­be­nen­falls auch durch objek­ti­vie­rende mytho­lo­gi­sche oder zeit­ge­schicht­li­che Bezüge dämp­fen, bil­den sie in ihrer Ge- und Ver­hal­ten­heit ein span­nungs­vol­les Gegen­ge­wicht zu dem fast durch­weg per­sön­li­chen Cha­rak­ter ihrer Anlässe und der beson­de­ren Inti­mi­tät des Tie­fur­ter Ilm­bo­gens, der einer emp­find­sa­men Park­ge­stal­tung Vor­schub leis­tete. Wenn Pet­zold um 1850 die alten Monu­mente und Inschrif­ten beließ, aber kein ein­zi­ges neues Denk­mal, kei­nen ein­zi­gen neuen beschrif­te­ten Stein auf­stellte, so ist das im ers­ten Fall nicht nur Pie­täts­rück­sich­ten und im zwei­ten nicht nur eige­nen ästhe­ti­schen Prä­fe­ren­zen geschul­det. Viel­mehr stellt sich darin seine spe­zi­fi­sche Idee für den Tie­fur­ter Park dar, wonach die durch die natür­li­chen Gege­ben­hei­ten begüns­tigte Inti­mi­tät um den öst­li­chen Ilm­bo­gen, in der auch Worte per­sön­li­cher Wert­schät­zung, Anteil­nahme und Über­zeu­gung Platz haben, bruch­los in Rich­tung der wei­ten, freien Natur geöff­net wird, die alles Geschicht­lich-Beson­dere umgreift und daher frei von je ins Ein­zelne grei­fen­den sprach­li­chen Zeug­nis­sen blei­ben kann und in den Augen Pet­zolds auch blei­ben sollte.

Im Zusam­men­spiel von Inschrift, Stein oder Denk­mal und Park zeigt sich eine beson­dere Form des Text-Bild-Ver­hält­nis­ses, die grö­ßere Auf­merk­sam­keit als bis­her ver­diente. Für Tie­furt lässt sich sagen, dass Geschmack und Dis­kre­tion hier etwas schu­fen, das Maß­stäbe setzte. Der seri­ell-pla­ka­tive Cha­rak­ter der heute auf dem Maria-Paw­lowna-Weg von Tie­furt nach Krom­s­dorf – neu­er­dings auf sehr klo­bi­gen Sockeln – zu lesen­den Goe­the-Worte jeden­falls wider­spricht nicht nur Pet­zolds Par­k­idee, son­dern dem gerade von Goe­the gepräg­ten Ethos der Tie­fur­ter Inschrif­ten. In beson­de­rer Weise gilt für das Disti­chon im obe­ren Loh­hölz­chen und die Mat­t­his­son­sche Oden­stro­phe, was Michel Deguy, ein zeit­ge­nös­si­scher fran­zö­si­scher Dich­ter­phi­lo­soph, so for­mu­lierte: le sens accom­pli, ou beauté du sens, est beauté des cho­ses dans les mots, et réci­pro­que­ment. La réci­pro­cité même.

 Tiefurt – Ein literarischer Spaziergang durch den Park:

  1. Vergilgrotte
  2. Wielands Lieblingsplatz
  3. Denkmal für den Prinzen Leopold von Braunschweig
  4. Kenotaph für den Prinzen Constantin
  5. Denkmal für Wolfgang Amadeus Mozart
  6. Amor als Nachtigallenfütterer
  7. Stein mit Inschrift von Friedrich von Matthisson
  8. Stein mit Goethe- (oder Knebel?)-Inschrift
  9. Schloss Tiefurt
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