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Literarisches Thüringen um 1800
Jürgen M. Paasch
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
1807 werden zwei wichtige Frauen aus seinem Leben verschwinden. Sophie von La Roche, zu der immer noch Briefkontakt bestand, stirbt am 18. Februar und knapp zwei Monate später, am 10. April, verliert Wieland auch Anna Amalia, die Herzogin, Gönnerin, Freundin. Das Wittumspalais in unmittelbarer Nähe seines Wohnhauses kann ihn nun nicht mehr interessieren und die Sommermonate, einst mit der Herzoginmutter in Ettersburg oder Tiefurt verbracht, verlebt er von nun an allein im Park des Schlosses Belvedere. Ich bestimmte mich für Belvedere…, weil es nur eine ¾ Stunde von Weimar entfernt ist, und durch eine herrliche schattengebende Allee von Linden- und Kastanienbäumen… mit Weimar zusammenhängt. Es beginnt für Wieland die goldenen Zeit des seligen farniente zu Belvedere.
Der Alltag eines gealterten Autors: Schlafen, träumen, essen und trinken, höchstens in einem von Witz oder Phantasie und Narrheit kurzweiligen Buche oder Journale stückweise lesen und in wenigen Minuten darüber einschlummern… nach Stadtneuigkeiten fragen, abends von 7 bis halb 9 Uhr mit meinen Mädchen Boston spielen und sie, wie billig, gewinnen lassen, sodann mit echt animalischem schwäbischen Appetit zu Nacht speisen… mir von meiner Enkelin Amalie ein paar Sonaten… vorspielen lassen. Warten in der Idylle auf das Ende, lesend und vor allem schreibend nicht was er muss, sondern nur was er will. So werden Sie mich auf der Lisiere des… Fichtenwaldes… in der Gesellschaft eines Cicero, Horaz, Lukians oder Shaftesbury, auf einer Bank, die ich mir dahin habe tragen lassen, sitzen finden. Geistesgesellschaft ist die einzige, die hier vorgelassen wird.
Maria Pawlowna, die mit Erbprinz Carl Friedrich verheiratete Großfürstin, wird 1811 Schloss Belvedere unter ihr Kuratel nehmen und mit der Restauration des Schlosses, der Neugestaltung des Parks und der Etablierung eines Musenhofes vor den Toren Weimars die Nachfolge Anna Amalias antreten – dem Vorbild auch in der Ehrung der Weimarer Dichter folgend. Seit 1818 steht eine Wielandbüste auf dem von der Pawlowna initiierten Gelehrtenplatz in Nachbarschaft – nicht Ciceros, Horazens und Lukians, sondern Goethes, Schillers und Herders. Wieland hätte sich wohl gefühlt auch in diesem Kreis.
Die Gesellschaft allerdings, die er sich 1806 wählt, ist eine andere und sie wird ihn begleiten in den nächsten Jahren: Cicero wird seine Lektüre und Arbeit, sein Partner und sein Wahlverwandter. Die Freunde lässt er wissen, er fühle sich, beschäftigt mit den Epistulae ad Atticum, im 705. Jahr der Stadt Rom unter den Menschen am Tiber und was deren Schicksal angehe, so nehme er lebhaften Anteil daran über tausende von Seiten – und niemals Frondienst und Abgezwungenes. Im Gegenteil: Wenn irgendwo, dann kann Wieland hier als Übersetzer zeigen, was in ihm steckt, und sich in der Personalunion von Dichter, Philologe und Polyhistor präsentieren. Durch Wieland lesen wir Ciceros Briefe von vor zweitausend Jahren mit der Frische einer römischen Zeitung von heute; schwer erarbeitete Leichtigkeit als Idealziel eines Mannes, der sich Übersetzungen erträumte als zweite Originale, Goethes Diktum bestätigend: Niemand hat vielleicht so innig empfunden, welch verwickeltes Geschäft eine Übersetzung sei, als er. Mit Cicero verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens, er kann und will ihn wohl auch nicht vom letzten Nachttisch räumen. In sieben Bänden werden die Briefübersetzungen 1808 bis 1821 erscheinen, vollendet von einem anderen. M. Tullius Cicero’s Sämmtliche Briefe. übersetzt und erläutert von C. M. Wieland. Vollendet und zum Druck befördert von Friedrich David Gräter.
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