Wieland, Sophie Brentano und Kleist in Oßmannstedt
9 : Schloss und Park Belvedere (1807–1813)

Person

Christoph Martin Wieland

Ort

Schloß und Park Belvedere

Thema

Literarisches Thüringen um 1800

Autor

Jürgen M. Paasch

Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.

1807 wer­den zwei wich­tige Frauen aus sei­nem Leben ver­schwin­den. Sophie von La Roche, zu der immer noch Brief­kon­takt bestand, stirbt am 18. Februar und knapp zwei Monate spä­ter, am 10. April, ver­liert Wie­land auch Anna Ama­lia, die Her­zo­gin, Gön­ne­rin, Freun­din. Das Wit­tums­pa­lais in unmit­tel­ba­rer Nähe sei­nes Wohn­hau­ses kann ihn nun nicht mehr inter­es­sie­ren und die Som­mer­mo­nate, einst mit der Her­zo­gin­mut­ter in Etters­burg oder Tie­furt ver­bracht, ver­lebt er von nun an allein im Park des Schlos­ses Bel­ve­dere. Ich bestimmte mich für Bel­ve­dere, weil es nur eine ¾ Stunde von Wei­mar ent­fernt ist, und durch eine herr­li­che schat­ten­ge­bende Allee von Lin­den- und Kas­ta­ni­en­bäu­men mit Wei­mar zusam­men­hängt. Es beginnt für Wie­land die gol­de­nen Zeit des seli­gen far­ni­ente zu Bel­ve­dere.

Der All­tag eines geal­ter­ten Autors: Schla­fen, träu­men, essen und trin­ken, höchs­tens in einem von Witz oder Phan­ta­sie und Narr­heit kurz­wei­li­gen Buche oder Jour­nale stück­weise lesen und in weni­gen Minu­ten dar­über ein­schlum­mern nach Stadt­neu­ig­kei­ten fra­gen, abends von 7 bis halb 9 Uhr mit mei­nen Mäd­chen Bos­ton spie­len und sie, wie bil­lig, gewin­nen las­sen, sodann mit echt ani­ma­li­schem schwä­bi­schen Appe­tit zu Nacht spei­sen mir von mei­ner Enke­lin Ama­lie ein paar Sona­ten vor­spie­len las­sen. War­ten in der Idylle auf das Ende, lesend und vor allem schrei­bend nicht was er muss, son­dern nur was er will. So wer­den Sie mich auf der Lisiere des Fich­ten­wal­des in der Gesell­schaft eines Cicero, Horaz, Luki­ans oder Shaf­tes­bury, auf einer Bank, die ich mir dahin habe tra­gen las­sen, sit­zen fin­den. Geis­tes­ge­sell­schaft ist die ein­zige, die hier vor­ge­las­sen wird.

Maria Paw­lowna, die mit Erb­prinz Carl Fried­rich ver­hei­ra­tete Groß­fürs­tin, wird 1811 Schloss Bel­ve­dere unter ihr Kura­tel neh­men und mit der Restau­ra­tion des Schlos­ses, der Neu­ge­stal­tung des Parks und der Eta­blie­rung eines Musen­ho­fes vor den Toren Wei­mars die Nach­folge Anna Ama­lias antre­ten – dem Vor­bild auch in der Ehrung der Wei­ma­rer Dich­ter fol­gend. Seit 1818 steht eine Wie­land­büste auf dem von der Paw­lowna initi­ier­ten Gelehr­ten­platz in Nach­bar­schaft – nicht Cice­ros, Hora­zens und Luki­ans, son­dern Goe­thes, Schil­lers und Her­ders. Wie­land hätte sich wohl gefühlt auch in die­sem Kreis.

Die Gesell­schaft aller­dings, die er sich 1806 wählt, ist eine andere und sie wird ihn beglei­ten in den nächs­ten Jah­ren: Cicero wird seine Lek­türe und Arbeit, sein Part­ner und sein Wahl­ver­wand­ter. Die Freunde lässt er wis­sen, er fühle sich, beschäf­tigt mit den Epis­tu­lae ad Atti­cum, im 705. Jahr der Stadt Rom unter den Men­schen am Tiber und was deren Schick­sal angehe, so nehme er leb­haf­ten Anteil daran über tau­sende von Sei­ten – und nie­mals Fron­dienst und Abge­zwun­ge­nes. Im Gegen­teil: Wenn irgendwo, dann kann Wie­land hier als Über­set­zer zei­gen, was in ihm steckt, und sich in der Per­so­nal­union von Dich­ter, Phi­lo­loge und Poly­his­tor prä­sen­tie­ren. Durch Wie­land lesen wir Cice­ros Briefe von vor zwei­tau­send Jah­ren mit der Fri­sche einer römi­schen Zei­tung von heute; schwer erar­bei­tete Leich­tig­keit als Ide­al­ziel eines Man­nes, der sich Über­set­zun­gen erträumte als zweite Ori­gi­nale, Goe­thes Dik­tum bestä­ti­gend: Nie­mand hat viel­leicht so innig emp­fun­den, welch ver­wi­ckel­tes Geschäft eine Über­set­zung sei, als er. Mit Cicero ver­brachte er die letz­ten Jahre sei­nes Lebens, er kann und will ihn wohl auch nicht vom letz­ten Nacht­tisch räu­men. In sie­ben Bän­den wer­den die Brief­über­set­zun­gen 1808 bis 1821 erschei­nen, voll­endet von einem ande­ren. M. Tul­lius Cicero’s Sämmt­li­che Briefe. über­setzt und erläu­tert von C. M. Wie­land. Voll­endet und zum Druck beför­dert von Fried­rich David Gräter.

 Wieland, Sophie Brentano und Kleist in Oßmannstedt:

  1. Wieland der Gärtner oder Unser Thema und wie wir es umgehen
  2. Exkurs: Augenschein eines Erotikers
  3. Gut Oßmannstedt (1797-1803)
  4. Exkurs: Selbstportrait als Schreckensbild oder Medizin für den Sohn
  5. Gutshaus Oßmannstedt und seine Gäste: Sophie von La Roche und Sophie Brentano
  6. Gutshaus Oßmannstedt und seine Gäste: Der zauberische Kleist
  7. Grabmal in Oßmannstedt
  8. Schloss und Park Tiefurt
  9. Schloss und Park Belvedere (1807-1813)
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