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Literarisches Thüringen um 1800
Jürgen M. Paasch
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Wieland schuf Figuren von wunderbarer Schönheit (Agathon), staffierte die körperlichen Vorzüge eines Idris etwa, als ob er Amor wäre und ließ die Frauen (Diana zum Beispiel) schon beim Anblick der schlafenden Helden (Endymion) bezaubert dahin schmelzen. Seine erotischen Fiktionen waren zur bevorzugten Bettlektüre geworden. Zwar: Sein ist immer besser als Nichtsein, aber schon der Gedanke, dass ihm die Erektionen, die seine Erzählungen machen, als Ursache mancher Vaterschaft vorgeworfen werden könnten, habe eine ganze Reihe Embryonen gewisser Ideen in seinem Kopfe abgetrieben.
Im Lichte dieser Popularität besorgt ihn der erste Eindruck, den er persönlich als Autor gern gelesener wollüstiger Szenen auf das derart präparierte Publikum machen wird. So schickt er verbale Portraits voraus, die die Erwartungen dämpfen sollen. Mein äußerliches Aussehen verspricht wenig oder gar nichts – und wer nicht von mir praeokkupirt, ist sehr erstaunt, nach und nach zu finden, daß mehr hinter mir steckt, als man mir a prima vista zutrauet. Auch beim zweiten Hinsehen bleibt Wieland doch ein schwarzer hagerer Mann mit langen Manschetten, einer noch längeren Nase, und einem etwas steifen Anstande, wie Lucius, Sekretär des niederländischen Gesandten in Mainz, seinem Dienstherrn berichtet.
Wieland ist eine Koryphäe; wer ihn zu Gesicht bekommt, beschreibt ihn für andere, denen dieses zweifelhafte Vergnügen nicht vergönnt ist. Für Pfarrer Johann Heinrich Waser, der ihn in Zürich sah, ist Wieland so dünn wie ein Rebstock, während Friedrich Heinrich Jacobi eher einen zarten hageren Mann von mittelmäßiger Größe ausmacht. Seine Augen sind klein und etwas trübe, und die Menge von Blatternarben, womit seine Haut überdeckt ist, machen, dass seine Züge nicht genug hervorstechen, um sich gehörig auszeichnen zu können.
Seinen Körper empfindet Wieland selbst als von zarter Maschinerie und er illustriert dieses Gefühl gern mit einer Episode: Einst hat man mir bei mangelnder Bewegung das Sägen empfohlen, allein nur einmal habe ich es versucht; und dann lange Zeit nicht einmal hören können, daß man säge, ohne zu schaudern – er bleibe eine Treibhauspflanze, durch Stubenluft und Frauenpflege verzärtelt. Auch Frauen können in ihm nicht den Adonis seiner Dichtung erkennen. Er ist im ersten Anblick nicht einnehmend, mager, Blatternarbig, kein Geist und Leben im Gesicht, kurz, die Natur hat an seinem Körper nichts für ihn getan, befindet Caroline Flachsland, Herders spätere Ehefrau.
Abb. 1: Foto: Jens Kirsten.
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