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Anna Amalia v. Sachsen-Weimar-Eisenach
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Thüringen im literarischen Spiegel
Literarisches Thüringen um 1800
Charlotte Krackow
Erinnerungen, hg. Eduard Scheidemantel, o.O. 1936, S. 1f., 10f.
Im März 1756 kam die 16jährige Herzogin Anna Amalia von Braunschweig nach Weimar, welches gegen erstere Stadt so klein und vernachlässigt war, daß es eher einem Dorfe glich. Das brachte eine im Gefolge der Herzogin befindliche Kammerfrau zum Ausdruck, indem sie ausrief, als sie über die schlecht gepflasterten Straßen einfuhren: »Hier wird wohl das Tor mit einer Rübe zugesteckt?«
Herzog Constantin und seine Gemahlin Anna Amalia, ein junges lebenslustiges Paar, bewohnten mit Vorliebe Schloß Belvedere, wo sie wie fröhliche Kinder auf dem Platz davor ihr Spiel trieben. Das Schloß, vom Herzog Ernst August erbaut, war fast ganz so eingerichtet, wie es jetzt noch ist. Das »Tischchen deck dich« war in Benutzung, und eine kleine Hauptwache befand sich an der Seite, da wo rechts vom Schloß der Pavillon steht. Die alten Linden in der Allee von Weimar aus sind auch von Ernst August gepflanzt, die Kastanienbäume erst zur Zeit der Herzogin Anna Amalia.
Mit der oben erwähnten Kammerfrau, Mlle. Spormann, war meine Großtante, Charlotte Piper, mit der Herzogin zusammen nach Weimar gekommen, wenig älter als diese; eine Gräfin Gianini war ihre Oberhofmeisterin. Nach der Geburt des Prinzen Carl August wurde zu dessen Pflege Mlle. Kotzebue aus Braunschweig geschickt; sie hat bis an ihre Lebensende, wo sie blind war, in dem kleinen Hofe des Palais (Wittumspalais) gewohnt.
Im Mai 1758 starb Herzog Constantin im 21. Jahre seines Lebens; seine Gemahlin, 18 Jahre alt, war von ihm zur Vormünderin des Sohnes und Regentin des Landes ernannt worden. Mit großem Eifer und Verständnis trat die Herzogin die Regierung an, sie studierte die Geschichte des Landes, die Gesetze, die Gefahren und Leiden, welche der Krieg brachte, und schrieb darüber lange Briefe an ihren Vater. Mit ihren Räten verhandelte sie sehr eingehend mündlich und schriftlich. An ihren Oheim, Friedrich den Großen, wendete sie sich verschiedene Male, um Schonung für ihre Untertanen zu erbitten, und mit Erfolg, denn der König liebte und ehrte sie.
Kleine Züge können auch beweisen, mit welcher Sachkenntnis sie an alles herantrat. Als sie einst mit ihren beiden kleinen Prinzen in Belvedere zusah, wie für die Wasserröhren Fichtenstämme gebohrt wurden, erkundigte sie sich, wo das Holz herkäme. Als man ihr eine entfernte Gegend nennt, fragt sie erstaunt, warum diese Stämme nicht in der Nähe zu bekommen wären. »Die Sorte wächst nicht hier«, ist die Antwort. Sofort ordnet sie an, daß im Ettersberg Anpflanzungen von »der Sorte« gemacht werden.
Am wunderbarsten sorgte sie bei der großen Thüringer Hungersnot (1771). Mit vieler Mühe, vielen Kosten und Zeitaufwand läßt sie Getreide aus Polen kommen. Als es verteilt wird, fallen die ausgehungerten Menschen so gierig darüber her, daß sie, anstatt es zur Aussaat zu verwenden, Brot davon backen. Deshalb wird eine zweite Sendung Korn verschrieben. Als dieses ankommt, soll klüger verfahren werden. Man wendet sich an die beiden Brüder Kirms, bekannte und geschätzte Beamte, Besitzer des Hauses mit Hof und Torfahrt in der Jakobstraße. Hier soll die Verteilung für die Stadt geschehen. Sie führen es mit großer Umsicht aus, Mutter und Schwester stehen dabei und geben jedem Empfänger ein Stück selbstgebackenes Brot mit der ernsten Mahnung, das Getreide ja zur Aussaat zu verwenden. […]
Als Frau von Staël 1803 sich in Weimar aufhielt, sah man sie öfters in ihrem Corinna-Kostüm, welches der damaligen Mode entgegen war, wobei Goethe äußerte: »Die Kleidung einer Frau ist viel auffallender, wenn sie die herrschende Mode vernachlässigt, als wenn sie sucht, sich dieser anzupassen.«
So tat es die Herzogin Anna Amalia, die allerdings schöner war, ehe sie, der Mode entsprechend, Schminke und gemalte Augenbrauen aufgelegt und ihr braunes Haar gepudert hatte. Die dunkle Haarfarbe behielt sie bis an ihren Tod. Die lange seidene Strähne, die ich ins Palais gebracht habe, bestätigt es. Ihr Anzug war immer elegant modern, wenn auch niemals übertrieben. Sie hatte eine zarte Gestalt, nicht groß, aber jedermann sah ihr die Fürstin an und erwies ihr Ehrfurcht.
Die Herzogin liebte Herders Predigten über alles; nicht nur der Inhalt fesselte sie, sondern auch die Ruhe und Natürlichkeit des Vortrages. Er machte wenig Bewegungen, und Erhebung der Stimme war bei ihm selten.
Anna Amalias letzte Krankheit war schmerzlos. Sie hatte sich eine Erkältung zugezogen, als sie an einem feuchten Abend ihrer früheren Hofdame von Wolffskeel, damals Frau v. Fritsch, einen Besuch machte. Sie ging durch ihren Garten bis an die Geleitstraße, wo jene in dem Hause wohnte, das jetzt Hotel »Chemnitius« ist. Die Herzogin mußte zwar zu Bett liegen, aber weder sie selbst noch andere hielten es für einen ängstlichen Zustand. Sie ließ sich von Charlotte Krackow vorlesen und sprach noch am Vorabend über ein französisches Buch. Ohne Todeskampf entschlief sie am 10. April 1807.
Es gab wohl kein Haus in der Stadt, wo nicht über ihren Tod getrauert wurde. Die arme Piper, die länger als 50 Jahre ihr zur Seite gestanden hatte, war von dem Verluste so erschüttert, daß sie eine heftige Gesichtsrose bekam und Charlotte alles Geschäftliche überlassen mußte. Diese hatte eine Hilfe an ihrer Schwester Karoline, die ohne Pflichten im Schlosse wohnte, denn die Großfürstin war nicht in Weimar. Bei der aufgebahrten Leiche im Sterbezimmer der Herzogin hielten beide Schwestern abwechselnd mit der Hofdame Wache. Fräulein v. Göchhausen machte auf das zu Häupten der Herzogin hängende Porträts Friedrichs des Großen aufmerksam. Die Ähnlichkeit war auffallender denn je. Sie sagte dabei: »Liebe Krackow, wir haben eine große Zeit miterlebt; wir wollen uns glücklich preisen, daß wir die Fürstin gekannt haben.«
Herzog Carl August ordnete an, daß die Herzogin in der Stadtkirche in dem Gewölbe unter dem Altar beigesetzt werde, und ging selbst hin, die dazu nötigen Arbeiten anzusehen, wobei der Maurer die Räumlichkeiten mit den Worten zeigte: »Hier ist auch noch ein hübsches Plätzchen für Durchlaucht«! »Esel!« war die Antwort. Bei der Ordnung der Hinterlassenschaft der Herzogin brachte die Piper alle Schmucksachen zum Herzog, welcher ein Perlenarmband vermißte. Eine Quittung bewies, daß die Herzogin das Armband verkauft hatte, um das Geld dafür Herder zu seiner letzten Badereise zu geben. Weimar war jetzt ganz verändert. Herder, Schiller, die Herzogin Anna Amalia fehlten. Kriegskontributionen an Menschen und Geld, Verluste aller Art, Geldmangel, alles übte einen schweren Druck aus. Lazarettfieber hatte viele Verwundete hinweggerafft und war auch in die Bürgerhäuser gedrungen. Viele Verwundete waren Krüppel geworden.
Abb. 1: Porträt von Georg Melchior Kraus, 1775 / Abb. 2: Gemälde von Otto Rasch, um 1900.
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