Gelesen von Rebekka Jochem
In ihrem Roman Die Sumpfschwimmerin erzählt Ulrike Gramann vom Leben einer jungen Frau in der DDR. Geboren und aufgewachsen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Jena, verspürt Inge Stein schon früh den Wunsch aus den Träumen anderer, in die sie durch ihre Geburt geraten ist, auszubrechen, verspürt den Wunsch nach mehr. Mehr, das bedeutet für sie Fortgehen. »Fortgehen war die milde Variante von Flucht.« Sie flüchtet zunächst in die Literatur. Als sie alle Bücher der Gemeindebibliothek gelesen hat, liest sie die der Kulturhausbibliothek des Werkes in H. Immer werden es Bücher sein, die sie als Konstante auf ihrem Weg begleiten. Denn Inge Stein ist sich sicher, dass sie keinen Tag länger in dem Dorf bleiben würde, als unbedingt nötig. »Jena war das mindeste. Jena, Weimar, Leipzig und Berlin.« Das Fortgehen gelingt ihr. In Weimar trifft sie auf Hennes, einen wesentlich älteren Mann, der wegen Republikflucht zwei Jahre im Gefängnis verbracht hat und mit dem sie ein Verhältnis beginnt. Er ist es auch, der Inge verstehen lässt, dass ihr Männer nicht reichen. »Männer waren nicht genug, dachte ich, und das hätte ich mir gleich denken können.«
Nach ihrem Abitur zieht die junge Frau nach Berlin. Die Hauptstadt bedeutet für sie Freiheit. Eine Freiheit, gekennzeichnet durch Begrenzung. In Berlin kann sie ihre Sexualität ausleben, mit Männern, wie mit Frauen. In Berlin trifft sie auf Angelika. Durch sie lernt sie politische Oppositionsgruppen wie den Friedenskreis kennen und kommt mit Frauen aus Westdeutschland in Kontakt. Besonders mit Iris, einer Frau, die wie Angelika an Brustkrebs erkrankt ist und eine wichtige Bezugsperson für Inge wird. Inge ist Feministin. Doch sie ist es nicht in erster Linie aus politischen Gründen, oder weil sie einem Programm folgt. In einem Gespräch mit Angelika erklärt Inge: »Es ist ein so schönes Wort. Als ich es zum ersten Mal hörte, dachte ich, das möchte ich sein.« Ulrike Gramann schildert in knappen Sätzen und ohne pathetisch zu sein, die innere Zerrissenheit Inges. Erzählt von der Frauengruppe, der sie sich anschließt, ohne sich sicher zu sein, ob sie überhaupt lesbisch sei »und ob das überhaupt eine Bedeutung hatte.« Es ist die Suche einer jungen Frau nach dem Glück ohne Ersatzbefriedigungen in einer geteilten Stadt. Im Laufe des Romans manifestiert sich immer deutlicher ihr Wunsch, noch weiter zu gehen, noch weiter zu fliehen, die DDR zu verlassen und in den andern Teil Deutschlands zu ziehen. Inge lernt auf ihrer Reise Menschen aus dem Westen kennen und wird begleitet von den Geschichten jener, die schon vor ihr den Schritt gegangen sind, die Ausreise zu beantragen. Dabei geht es der Autorin immer auch um die Frage, wer die eigenen Genossen sein können und welche Konsequenzen das Streben nach Freiheit hat.
Der Autorin schreibt aus weiblicher Perspektive über das Leben in der DDR, ihr persönliches Erinnern verknüpft sie gekonnt mit anderen Schicksalen zu einem überzeugenden Roman. Ihre Protagonistin ist eine Heldin, mit der sich Leserinnen und Leser identifizieren können. Ihre kleinen Probleme gehen Hand in Hand mit solchen, die diejenigen, die nach der Wende geboren sind, höchstens aus Geschichtsbüchern kennen. Es ist kein Roman, der ein einseitiges Bild der DDR zeichnet, sondern ihre Strukturen aus einer ganz subjektiven Sicht beschreibt. Und dennoch ist Gesellschaftskritik enthalten. Thematisiert wird die Rolle der Frau in der Gesellschaft, die heute ebenso aktuell wie in der erzählten Zeit ist. Es ist ein Werk, das seine LeserInnen zum Nachdenken anregt, ohne anklagend zu sein.
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