Theodor Storm in Heiligenstadt – Ein literarischer Spaziergang
6 : Auf der Teufelskanzel

Zu den schöns­ten Aus­flugs­zie­len der Hei­li­gen­städ­ter ins süd­li­che Eichsfeld heute wie damals zählt die Teu­fels­kan­zel, die man von Lin­de­werra, wo der 2010 ein­ge­weihte »Storm­weg« hin­auf­führt, oder auch von der Burg Han­stein her erreicht. Ein wun­der­ba­rer Blick ins Wer­ra­tal belohnt den Wan­de­rer für den etwas beschwer­li­chen Auf­stieg, der sich jedoch von der Burg Han­stein aus in 25 Minu­ten durch schat­ti­gen Buchen­wald recht bequem gestal­tet. Eine schöne Gast­stätte auf der Teu­fels­kan­zel sorgt für das leib­li­che Wohl ihrer Gäste.

Theo­dor Storm unter­nahm mit sei­ner Fami­lie und Freun­den den Auf­stieg zur Teu­fels­kan­zel im Früh­ling 1857 von Wahl­hau­sen oder Lin­de­werra her kom­mend. Zu Gast hatte er den jun­gen Husu­mer Maler Nico­lai Sunde (1823–1864), der in Hei­li­gen­stadt die Por­träts von Theo­dor und Con­stanze Storm malte und die bei­den Ölge­mälde dann als Gast­ge­schenke zurück­ließ (Abb. 1 und Abb. 2). Die­ser junge Künst­ler war kör­per­lich behin­dert und konnte des­halb den Auf­stieg nicht zu Fuß machen. Theo­dor Storm beschrieb sei­nen Eltern am 31. Mai 1857 den Aus­flug in Gegen­den, wie sie nicht schö­ner in Thü­rin­gen und im Harz sein sol­len, wie folgt:

Zwei schöne Früh­lings­tou­ren, […], müßt ihr euch von Sunde erzäh­len las­sen, nament­lich die Bestei­gung der Teu­fels­kan­zel; weil er den hohen Berg (in der Mit­tags­hitze) nicht erstei­gen konnte, wurde unten im Dorfe ein alter Hengst für ihn gemie­thet u. so ritt er hin­auf. Als wir uns nun oben im Walde lager­ten zum Früh­stück, da hät­tet ihr den klei­nen präch­ti­gen Kerl neben uns hoch zu Roß hal­ten sehen sol­len, ein Bier­glas rothen Weins in der Hand, wodurch die Sonne schien. Wir haben ihn alle hier sehr lieb gewon­nen; er ist eine tüch­tige und durch­aus reine Natur…

Zehn Jahre spä­ter, 1867, schon wie­der zurück in Husum, ver­ar­bei­tete Theo­dor Storm diese erlebte Sze­ne­rie in einer sei­ner Künst­ler­no­vel­len, in Eine Maler­ar­beit. Der Prot­ago­nist der Novelle, der klein­wüch­sige, ver­krüp­pelte Maler Edde Brun­ken, macht hier auch gemein­sam mit einer Gesell­schaft jun­ger Leute die­sen Aufstieg:

Auf der Mitte des Weges wurde Halt kom­man­diert; die Mäd­chen schenk­ten Wein, Alles trank, und auch dem Maler wurde von Ger­trud ein gro­ßer Hum­pen hin­auf­ge­reicht. – Man mußte es sehen, wie die kleine Gestalt mit dem rauen, mäch­ti­gen Kopf auf der hoch­bei­ni­gen Mähre huckte, wie er das Glas empor­hob, daß die Sonne durch den roten Wein fun­kelte und mit den schar­fen Augen dar­nach hinblinzelte…

Der Blick von der Teu­fels­kan­zel (Abb. 3), die man wenig spä­ter erreicht, wird dann von Storm rea­li­täts­nah geschil­dert und zugleich zum Sinn­bild von Fülle und Schön­heit des Daseins gestal­tet, vor dem sich der behin­derte Maler Edde Brun­ken nur als ewig Zuschau­en­der emp­fin­den muss:

End­lich war die Teu­fels­kan­zel erreicht. Sie war nicht unbe­fugt, die­sen Namen zu füh­ren; lot­recht schoß der Fels über hun­dert Klaf­ter in die Tiefe, wo sich unten im Son­nen­glanz die lachendste Land­schaft aus­brei­tete. Durch grüne Wie­sen, Dör­fern und Wäl­dern vor­bei, floß in vie­len Krüm­mun­gen ein glän­zen­der Strom, des­sen Rau­schen in der Mit­tags­stille zu uns her­auf­klang, und drü­ber her, in glei­cher Höhe mit uns, stan­den die Ler­chen flü­gel­schla­gend in der Luft und misch­ten ihren Gesang in die Musik der Wel­len. Wer des­sen noch fähig war, der mußte hier von Lebens- und Lie­bes­lust bestürmt wer­den. Brun­ken, des­sen Mähre einem der Bau­er­bur­schen zur Obhut über­ge­ben war, stand neben mir und starrte wie ver­zau­bert in die Tiefe.

 Theodor Storm in Heiligenstadt – Ein literarischer Spaziergang:

  1. Ein Storm-Museum und doch nicht das Wohnhaus der Storm-Familie
  2. Im Kreisgericht
  3. Auf dem Iberg
  4. Palmsonntag in Heiligenstadt und Storms Novelle »Veronica«
  5. Am Wasserfall
  6. Auf der Teufelskanzel
Diesen Artikel teilen:

Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio

Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2025 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]

URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/theodor-storm-in-heiligenstadt-ein-literarischer-spaziergang/auf-der-teufelskanzel/]