Dicht am Fenster vor dem kleinen Tische
Sitzt am Farbentopfe, Pinseltauchend,
Schwer bewältigend der Hände Zittern,
Urgroßmutterähnlich die Matrone …
Mit diesen Zeilen beginnt ein längeres Gedicht, das dem Leser suggeriert, der ortsfremde Verfasser käme in Begleitung eines Einheimischen an Christohine Reinwalds letzter Wohnung vorbei. Betroffen schildert dabei sein Cicerone die erbarmungswürdige Lage einer einsamen, greisen Frau, die sich mit Malerei den Lebensunterhalt verdienen muss. Ihren prominenten Mädchennamen habe sie einst geopfert, »Jung den alten Ehemann erwählend, / Um dem Bruder Stätte zu bereiten …« – Alles Unsinn! Als Christophine Schiller gut sechzig Jahre zuvor Reinwald das Jawort gegeben hatte, brauchte ihr Bruder keine Stätte in Meiningen mehr. Friedrich von Schiller war zu jener Zeit schon als Theaterdichter in Mannheim untergekommen. Und für das Auskommen Christophines sorgten neben einer herzoglichen Witwenrente die Jahr für Jahr steigenden Einnahmen aus Schillers gedruckten Werken. Auch an Einsamkeit litt die Meininger Schwester des Dichters nicht. Sie war in der Werrastadt angesehen, hatte hier einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, der für sie sorgte. Außerdem war ihre letzte Wohnung zu einer Pilgerstatt des aufgekommenen Schiller-Kultes geworden, so dass Christophine Reinwald häufig Besuch von auswärts erhielt. Und eine zittrige, greise Frau war sie auch nicht, sondern erfreute sich einer für ihr Alter erstaunlichen Gesundheit. So antwortete Christophine Reinwald dem Erfinder ihres Abbildes:
Daß es mir bis jetzt noch nicht ähnlich ist, habe ich Gottes Gnade zu danken und erkenne darin eine Belohnung für mein früheres Leben, das ich der Pflicht gewidmet habe.
Verfasser des oben zitierten Porträtgedichtes war übrigens der Stuttgarter Pfarrer und Schriftsteller Gustav Schwab, der Jahre zuvor den Deutschen die antike Sagenwelt in zeitgenössischer deutscher Sprache aufbereitet hatte. Schwab war nie in Meiningen gewesen, hatte also auch »Schillers neunundachtzigjähr’ ge Schwester« nie zu Gesicht bekommen.
Abb. 1-2: Meininger Museen, Fotos: Manfred Koch. Mit freundlicher Genehmigung der Meininger Museen.
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