Nach diesen beiden Verrissen entfachte sich eine regelrechte Hetzkampagne gegen den »Parteischädling« Glesel. Im Klima der Bespitzelung und des allgemeinen Mißtrauens, der Angst davor, daß man selbst als nicht wachsam genug denunziert werden könnte, verschärfte die Problematik. 1935 hatte in der Sowjetunion die »große Tschistka«, die große Säuberung, begonnen, in deren Zeichen die Kampagne gegen Glesel stand. Allerorten galt es »Doppelzüngler«, »Volksfeinde«, »Faschisten« und »Spione« zu entlarven. Auf einer geschlossenen Parteiversammlung in Moskau nahm sich die deutsche Kommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes des »Falles Glesel« an, wobei – dem Klima der Angst und des Mißtrauens geschuldet – sich die einzelenen Diskutanten im Vorbringen von Vorwürfen zu überbieten versuchten.
Am 3. November 1936, ein Jahr nach Erscheinen von Otto Borks Kritik, wurde in der Deutschen Zentral-Zeitung unter dem Titel »Der Fall Gles – Ausschluß aus dem Verband der Sowjet-Schriftsteller« Glesels Verbandsausschluß bekanntgegeben.
»S. Gles, Kandidat für die Mitgliedschaft des Verbandes der Sowjet-Schriftsteller, wurde auf einer Sitzung des Sekretariats der Leningrader Abteilung des Verbandes der Sowjet-Schriftsteller aus dem Verband ausgeschlossen. Gründe:
Wie in dem von Wladislaw Hedler und Inge Münz-Koenen 2013 als Begleitband zu einer Ausstellung herausgegebenen Buch »Ich kam als Gast in Euer Land gereist – Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933–1956« nachzulesen ist, wurde Samuel Glesels Antrag, als Mitglied der deutschen KPD in die sowjetische KPDSU(B) übernommen zu werden, aufgrund seines Ausschlusses aus dem Schriftstellerverband abgelehnt.
Elfriede Brüning ist es zu danken, mit ihrem Buch auf die Kampagne gegen Glesel aufmerksam gemacht zu haben. Sie erkannte auch, dass Glesels Erzählungen und Reportagen nicht in jedem Fall literarische Glanzstücke waren. Die Hilfe eines erfahrenen Lektors hätte genügt, Fehler und sprachliche Ungenauigkeiten auszuräumen.
Auf die Notwendigkeit, Glesel bei seiner schriftstellerischen Entwicklung zu begleiten, hatte auch Becher in seiner Stellungnahme zu Glesel hingewiesen. Doch auf eine helfende Hand konnte Glesel im Klima der Angst jener Jahre nicht hoffen. Zu groß war die Angst, als Helfershelfer eines Parteischädlings denunziert zu werden. Nicht auszuschließen ist, daß die verantwortlichen Verlagsmitarbeiter für ihre »Fehlentscheidung« drakonisch bestraft wurden.
Mit dem Ausschluß aus dem Schriftstellerverband wurde Samuel Glesel zur persona non grata in der Sowjetunion. Seine Bemühungen, sich gegen den Ausschluß zur Wehr zu setzen und eine Wiederaufnahme zu erreichen, blieben vergeblich.
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