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Ulrich Kaufmann
Erstdruck: Palmbaum 2/2018 / Thüringer Literaturrat e.V.
Gelesen von Ulrich Kaufmann
Fallada als Lyriker
Im In- und Ausland erlebt das Werk Hans Falladas seit Jahren eine erstaunliche Renaissance. Nun kommt er erstmals als Lyriker zu Wort: Von den ca. 70 existierenden Gedichten sind 42 zu lesen. Das Heft der Lyrikreihe erinnert rein äußerlich an die »Poesiealben«, die zu DDR-Zeiten begründet und nach dem Umbruch 1989 weitergeführt wurden. Diese Alben stellen mehrheitlich gestandene Lyriker vor.
»VERSENSPORN«, die »Hefte für lyrische Reize«, gehen einen anderen Weg. Der Herausgeber der Jenaer Edition »POESIE SCHMECKT GUT« Tom Riebe und seine Mitstreiter spüren Lyriker auf, die auch Literaturliebhabern kaum bekannt sind. [Bei Toni Schwabe (Heft 26) ist dies anders. Sie ist uns vor Jahren von Erwin Strittmatter als seine »Freundin Tina Babe« nahe gebracht worden.] Der Titel »Versensporn« lässt aufhorchen: Mancher Patient hat es mit einem schmerzhaften Fersensporn zu tun. Beim Reiten spornt der am Stiefel befestigte, gezackte, kaum angenehme Fersensporn das Pferd an, mehr Tempo aufzunehmen,
Dass auf dem Umschlag der weniger bekannte Autorenname Rudolf Ditzen steht, ist korrekt, da die Gedichte zwischen 1912 und 1917 entstanden sind, im expressionistischen Jahrzehnt. Der Name Ditzen steht für das »Vorwerk«, für erste poetische Gehversuche. Erst mit seinem Romanerstling »Der junge Goedeschal« hat sich Ditzen 1919 den Künstlernamen Hans Fallada zugelegt.
Ditzens Gedichte weisen einen einfachen Bau auf. In der Mehrheit bestehen die Strophen aus vier Versen. Durchgehend werden gekreuzte Endreime genutzt. Auch Binnen- und Stabreime fallen auf. Immer wieder begegnen uns interessante Wortneuschöpfungen.
Bereits das auf dem Cover zu sehende Aquarell »Sterne II, Mord« (1922) von Otto Dix führt den Leser in die Texte ein. Dix zeigt eine ermordete Prostituierte. In seinen Versen spricht der Lyriker Themen an, die verständlicherweise mit seiner Situation in jenen Jahren zu tun haben: Von Liebe, Eifersucht, Selbstfindung, geistiger Verwirrung, von Mord- und Selbstmordgelüsten, Prostitution und Depression ist die Rede. Die ersten Gedichte entstanden in der Vorkriegszeit, andere während des Ersten Weltkrieges. Die politischen Dimensionen dieses Epochenumbruchs setzte Ditzen nicht in lyrische Bilder. Dass die Welt aus den Fugen geraten war, spürte er, die Konflikte trug er im Privaten aus.
In dem Gedicht mit dem »harmlosen» Titel »Abendspaziergang« erfährt der Leser am Ende, dass sich der vereinsamte und zurückgewiesene lyrische Sprecher durch das »sehnende Gebrüll« eines Kuhstalls angezogen fühlt: »Er hat sich dort von einer Kuh genommen, / was ihm das Mädchen nicht gewähren will.«
Manche der mit mitunter grausam-gruseligen Texten bleiben im Verständnis dunkel. Eines dieser Gedichte hat Ditzen völlig zutreffend mit »Rätselhaft“ überschrieben. Auch wenn Ditzens lyrische Gebilde formal konventionell daherkommen, sind sie stofflich-thematisch immer wieder durch den expressionistischen Zeitgeist geprägt. In dem Gedicht »Taumel im Bordell“ heißt es: »Licht hängt wie Eiterschleim in einem Zimmer, / Die Decke drückt zum Boden ihre Last, «
Möglicherweise wäre Ditzens weiterer künstlerischer Weg anders verlaufen, wenn sich einer der Verleger (Paul Cassirer, Kurt Wolff oder Georg Müller) für seine lyrische Sammlung »Gestalten und Bilder« interessiert hätte. Nicht einmal dem Cheflektor und Fallada-Editor Günter Caspar war es Jahrzehnte später gelungen, Falladas frühe Lyrik in »seinem« Aufbau-Verlag zu publizieren.
Den Hauptanteil bei der Kärrnerarbeit für dieses gelungene Lyrikheft leistete Daniel Börner. Spätestens durch seine gediegene Ausstellung »Das Duell«, die Rudolstädter Ereignisse von 1911 aufarbeitete, hat er sich als Fallada-Kenner ausgewiesen. Sauber präsentiert er die Quellen und stellt jene biographischen Fakten bereit, die einen Zugang zu den Gedichten ermöglichen. Die Texte hat der Jenaer Editor, Ditzens Absicht folgend, so zusammengestellt, dass sie miteinander kommunizieren.
Ursula Fallada, die zweite Ehefrau des Dichters, war wohl die erste Leserin dieser Texte. Ihre Meinung war dem Lyriker wichtig. Später schenkte er die Gedichte seiner Frau, die die unbekannten Blätter über Jahrzehnte wie ihren Augapfel hütete. Nach seinem Tode solle sie, so wollte es Fallada, entscheiden, was mit dem Manuskript geschieht. Über verschiedene Umwege gelangten die Gedichte nun, 71 Jahre nach seinem frühen Tod 1947, auch in unsere Hände …
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