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Jens Kirsten
Nennen Sie mich einfach Prinz. Das Lebensabenteuer des Harry Domela, Weimar 2010.
Am 11. Januar 1927 veröffentlichte Carl von Ossietzky in der »Weltbühne« einen Brief an Domela: An Herrn Harry Domela. Lieber und verehrter Meister! Erlauben Sie einem bescheidnen Bewundrer Ihres allzu kurzen Auftretens als Prinz Wilhelm, Ihnen ein aufrichtiges Bedauern zum Ausdruck zu bringen, daß es der Polizei gelungen ist, Sie der Rache der düpierten Thüringer Ehrenbürger auszuliefern. […]
Wenn die Republik etwas mehr Humor hätte – denn Humor ist auch Geselligkeit – : sie würde Sie jetzt nicht dem Staatsanwalt überantworten, sondern Sie lebenslänglich im Prytaneion speisen und überhaupt als einen Mann behandeln, der sich ums Vaterland verdient gemacht hat. Sie haben da, wo der Verstand des Staates sanft entschlief, als Liktor einer bessern Vernunft die Rutenbündel lustig tanzen lassen. Sie haben die Dummheit gezüchtigt. Sie haben unseren Herzen eine Freude bereitet. Wir danken Ihnen.
Am 12. Juli 1927 kam das Gericht in Köln zu folgendem Beschluß: Das Urteil ergeht dahin: Der Angeklagte wird wegen Rückfallbetrugs in vier Fällen zu einer Gesamt-Gefängnisstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die Untersuchungshaft wird angerechnet. In drei Fällen konnte eine Schuld nicht als erwiesen angesehen werden. Schuldig ist der Angeklagte in den Fällen: Dr. Pape, Zechprellereien im Europäischen Hof, Schädigung des Schloßhotels und Betrug des Baron von Herzfeld (Saxo-Borussen). Ein Antrag des Verteidigers auf Haftentlassung gegen Stellung einer Kaution wurde abgelehnt.
Domela nahm das Urteil nicht an. Während er aber die Strafe absaß, schrieb er seinen Lebensbericht. »Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer. Im Gefängnis von ihm selbst geschrieben« erschien in einer von Domela und Herzfelde wiederhergestellten Urfassung 1927 im Berliner Malik-Verlag. Sechs Auflagen mit insgesamt 122.000 Exemplaren verkauften sich innerhalb eines Jahres.
Domela war durch sein »Prinzengastspiel« plötzlich in ganz Deutschland berühmt. Über Nacht war er mit seinem Buch ein reicher Mann geworden. Mit dem Buch, das auch verfilmt wurde, verdiente Domela seinerzeit 250.000 Mark, die ihm zwischen den Fingern zerrannen. Er war einer der ersten, wenn nicht der erste deutsche Medienstar und gleichzeitig ein Opfer der Medien. Vor den Nationalsozialisten aus Deutschland geflohen, kämpfte er auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg. Die Jahre des Exils verschlugen ihn schließlich wie so viele andere nach Südamerika.
Domelas Weg als Staatenloser, der bis an sein Lebensende beständig der Angst vor seiner Entdeckung ausgesetzt war, seine Aufenthalte in Gefängnissen, in Internierungslagern und schließlich im ewigen Exil, heben ihn aus der Masse heraus. Seine Figur steht pars pro toto für ein Jahrhundert der fehlgeleiteten Ideologien, der Verfolgung und des Behördenstaats, dem das Individuum ausgeliefert ist. Im Vergleich mit seinem »Prinzengastspiel« 1926 in Deutschland ist sein weiteres Leben weitaus spannender und birgt ein literarisches Potential, das es auszuloten gilt. Aber das ist schon eine andere Geschichte.
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