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Jens Kirsten
Nennen Sie mich einfach Prinz. Das Lebensabenteuer des Harry Domela, Weimar 2010.
Im Oktober 1926 hielt sich Harry Domela lediglich für einen denkwürdigen Tag in Weimar auf. Als vermeintlicher Prinz Wilhelm von Preußen hatte er in Erfurt und Gotha die adelige Gesellschaft zum Besten gehabt. Als die überregionale Presse vom »hohen Besuch« Wind bekam, machte sich Domela schleunigst aus dem Staube. Nicht ohne jedoch einen letzten geselligen Abend mit zwei Reichswehroffizieren in Lokalen der Weimarer Altstadt zu verbringen. Das alles wäre recht harmlos verlaufen, wäre da nicht der Hofbäckermeister Arno Schmidt ins Spiel getreten. Erst sein Auftritt, dem Domela in seinen Erinnerungen »Der falsche Prinz« ein urkomisches Andenken bereitete, brachte die Stadt und seine Bewohner nolens volens in ganz Deutschland ins Gespräch. Wer war dieser Harry Domela, der sich 1926 für Prinz Wilhelm von Preußen ausgab? Was hatte ihn zu diesem Schritt getrieben?
Der Deutschbalte Domela wurde 1904 oder 1905 in dem Dörfchen Grusche in Livland als Sohn eines Müllers geboren, der kurz darauf starb. Als Halbwaise verlebte er seine früheste Kindheit in der kleinen Landstadt Bauske im Kurländischen. Einen weiteren Einschnitt in die sonst glücklichen Kinderjahre erfuhr er 1915, als er seinen Bruder in Riga besuchte. Durch die überraschende deutsche Besetzung der Heimatstadt Bauske wurde er für zweieinhalb Jahre von seiner Mutter getrennt. Als der Bruder in Riga zum russischen Heeresdienst einberufen wurde, stand der zehnjährige Harry allein. Man wies ihn in ein städtisches Asyl ein. Die Jugendhölle, die der Knabe durchleiden mußte, legte eine Lebensspur. Die grausamen Erziehungsmethoden passen in das Bild des klassischen Pícaro, des »Verschlagenen«, dem das »Gesetz des Stärkeren« auf die kindliche Haut gebrannt wird. Doch durchlief Domela zunächst keineswegs den klassischen Weg des Schelms. Er verkam nicht zu einem hinterhältigen Duckmäuser, sondern erhielt sich ein offenes Wesen und richtete seinen Charakter aus Protest am Erlebten auf.
In den politischen Wirren des Jahres 1917 fand er zwar nach Bauske zur Mutter zurück, hatte sich aber ihr und den Brüdern entfremdet. Im öffentlichen Leben schlug den Deutschbalten die offene Feindschaft der nun herrschenden Bolschewiki entgegen. Mit einem Freund schloß sich der 14-jährige dem »Freikorps Brandis«[1] an, um gegen die Besatzer zu kämpfen. Das abenteuerliche Feld- und Lagerleben förderte seine zunehmende Entwurzelung. Die umhergetriebenen Truppen wurden schließlich nach Deutschland abgeschoben, jeder Korpsteilnehmer in Lettland zum Hochverräter abgestempelt. Da erhielt Domela die Nachricht, daß seine Mutter getötet worden sei. Wenngleich er später auch erfuhr, daß sie noch am Leben war, kam kein Kontakt mehr zustande. Der Bruch mit der Heimat war endgültig vollzogen. Nach Auflösung des Korps blieb er völlig auf sich allein gestellt. Hier nahm seine fast zehn Jahre dauernde Vagabondage durch Deutschland ihren Anfang. Die deutschen Behörden verweigerten ihm einen Paß, den er aber benötigte, um Arbeit zu bekommen. Er arbeitete als Gärtnerbursche, 1920 nimmt er in Erinnerung an seinKorps-Leben am Kapp-Putsch teil – auf Seiten der Reichswehr.
Aus der Reichswehr entlassen, verschlug es ihn nach Berlin. Ohne Geld und Arbeit begann er durch die Straßen und Häuserschluchten der Metropole zu streunen. Die Nächte verbrachte er in Obdachlosenasylen oder in den Wartehallen der Bahnhöfe.
Domela schlug sich durch als Tagelöhner, wurde Ziegeleiarbeiter; Arbeiter in einer Zuckerfabrik im Harz. Nach dem Saisonende fuhr er auf gut Glück los. In Erfurt fand er eine Stelle als Aushilfskaft in einer Fabrik, arbeitete sich aber schnell zum Zeichner empor. Obwohl ihm der Betriebsdirektor sehr zugetan war, mußte er ihn als sogenannten Reichsfremden bald wieder entlassen. Wieder streifte Domela umher, als Tagelöhner, Ziegeleiarbeiter, Handlanger. Die Not trieb ihn bald wieder nach Berlin zurück, wo er wieder durch die Straßen und Asyle zog. Bagatelldelikte – wie das Sitzen im geheizten Bahnhofsaal ohne Fahrkarte – hatten erneute Verhaftungen zur Folge.
Über Hamburg gelangt er nach Heidelberg.
Es war mir klar, daß ich als harmloser Harry Domela nicht die Gastfreundschaft eines so vornehmen Korps finden würde. Ich hatte mir daher meinen Hamburger Namen zugelegt. Als ich mich jetzt der Tante Sonne als ›Prinz Lieven‹, Leutnant im 4. Reichswehr-Reiterregiment, Potsdam vorstellte, strahlte sie vor Freude, einen leibhaftigen Prinzen als Verkehrsgast ihres Korps vor sich zu sehen.
Am Nachmittag trifft er die Clique in ihrem Stammlokal an, die sich ihm hackenknallend präsentiert. Man lädt ihn ein, am nächsten Tag mit dem Korps zu speisen. Was ihm am Mittagstisch der Herren Studenten saxo-borussiae vorgeführt wird, spricht seiner Träumerei vom kultivierten Studentenleben Hohn. Vor allem aber widmen sich die Studenten dem Studium des Gerstensaftes und seiner Auswirkungen auf den menschlichen Körper und Geist. Wenn sie nicht gerade auf dem Mensurboden ihren zernarbten Visagen ein paar neue Schmisse hinzufügen. Man trifft sich also zur Kneipe. Standesgemäß in die Studentenpekesche gekleidet, wird das Besäufnis zur eigentlichen Berufung. Erst als ihm, peinlich nach seinem Regiment befragt, der Boden in Heidelberg zu heiß unter den Füßen wird, reist er Hals über Kopf nach Frankfurt am Main ab.
Als vermeintlicher Prinz Wilhelm von Preußen hielt er anschließend in Erfurt und Gotha die adelige Gesellschaft zum Besten. Als die überregionale Presse vom »hohen Besuch« Wind bekam, machte sich Domela schleunigst aus dem Staube. Nicht ohne jedoch einen letzten geselligen Abend mit zwei Reichswehroffizieren in Lokalen der Weimarer Altstadt zu verbringen. Das alles wäre recht harmlos verlaufen, wäre da nicht der Hofbäckermeister Arno Schmidt ins Spiel getreten. Erst sein Auftritt, dem Domela in seinen Erinnerungen »Der falsche Prinz«, die 1927 im Malik-Verlag erschienen, ein urkomisches Andenken bereitete, brachte die Stadt und seine Bewohner in ganz Deutschland ins Gespräch. Domela wurde über Nacht berühmt, von seinem Buch erschienen in einem Jahr sechs Auflagen. »Der falsche Prinz« wurde in mehrere Sprachen übersetzt.
Abb. 1: Umschlagfoto »Der falsche Prinz«, Malik Verlag, Berlin 1927 / Abb. 2: unbek. Fotograf, Aufnahme um 1933 / Abb. 3: Foto: Annerose Kirchner, 2016.
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