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Von Goethes Tod bis zur Novemberrevolution
Annette Seemann
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
So heißt diese Straße seit kurzem wieder, und unter der Nr. 1 wohnte dort ein Künstler, dem Gabriele Reuter im Alter von 20 Jahren – immer noch war sie ein regelmäßiger Gast Weimars – geradezu verfiel: Der sehr verfeinerte Friedrich von Schennis (1852–1918) aus dem Rheinland, seines Zeichens Maler, studierte zwischen 1871–1887 bei Theodor Hagen an der Weimarer Kunstschule und stellte ab 1872 auch in Weimar aus. Der Naturalist, von dem sich zahlreiche Bilder und zeichnungen in der Weimarer Sammlung finden, war ein Bohemien, der von Großherzog Carl Alexander protegiert wurde. Er gehörte auch dem illustren Kreis um Franz Liszt an. Reuter besuchte in Gesellschaft von Onkel und Tante 1879 im April sein Atelier:
Noch nie hatte ich ein elegantes Studio gesehen und ahnte nicht, dass dieses hier berühmt war für den Geschmack und die Verschwendungssucht seines Besitzers. […] auf Staffeleien standen Landschaftsbilder – bräunliche Parks mit verfallenen Tempelchen, mit stillen Gewässern, auf denen welke Blätter schwammen, an deren Ufern weiße Nymphen träumten. Und Bilder aus der römischen Campagna – mit hellen Himmeln und rötlich belichteten Ruinen. […] Der Maler ging mit schnellen leichten Bewegungen hin und her, uns seine Schätze zeigend, unaufhörlich plaudernd […] Ich hatte den Eindruck: hier ist ein Mann, der in der Schönheit lebt und dem von der Schönheit aller Jahrhunderte nur das Erlesenste zum Genusse genug dünkt.
Die Züge seines Gesichts waren von seltener Vollendung, die Nase, das Kinn, die schmalen Wangen, die Umgebung der grauen Augen, alles war unendlich edel und vornehm gebildet, das Haar, von dem er das kleine schwarze Hütchen abgenommen, war von einem Blond, das beinahe silbern schimmerte, ebenso das kleine Bärtchen auf der Oberlippe des beweglichen Mundes. Und eben diese geistige Beweglichkeit, der fortwährend wechselnde Ausdruck bewahrten den schönen Jünglingskopf und die zarte Gestalt vor der Süßlichkeit, die hübschen blonden Männern so leicht anhaftet. Er hatte keine Ähnlichkeit mit irgendeinem Menschen, den ich früher gesehen. […] Der Besuch dauerte im Ganzen nicht länger als eine Viertelstunde. Der Künstler war im Begriff gewesen, auszugehen, und wir wollten ihn nicht länger zurückhalten.
Aber trotz ihrer Verliebtheit vermag Reuter auf die real erfolgten Avancen des Künstlers in keiner Weise einzugehen. Zu schüchtern, zu sehr in den Moralvorstellungen der bigotten Verwandtschaft verfangen zieht sie sich in fast hysterische Ohnmachten und Nervenzusammenbrüche zurück, flüchtet in eine ausschließlich von Leseerfahrungen gespeiste Traumwelt. Nach einer kurzen Rückkehr nach Neuhaldensleben beschließt dann die Mutter, dem isolierten Leben in der Börde ein Ende zu bereiten, nicht zuletzt, um sowohl Gabriele Anregungen zu bieten wie dem Sohn Martin ein Gymnasium. Weimar heißt der neue stabile Wohnort.
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