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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2015. / Thüringer Literaturrat e.V.
Nachdem bereits der Dreißigjährige Krieg den wirtschaftlichen Niedergang der Stadt beschleunigte, gelang es dem Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn 1664 die »treue Tochter des Mainzer Stuhles« wieder dem Erzbistum untertan zu machen. Der Name Ludolf steht in der Geschichte Erfurts nicht für einen Schrottplatz, sondern durch eine Forscherfamilie. Hiob Ludolf (1624–1704) begründete als Diplomat in Diensten des Herzogs Ernst des Frommen die Äthiopistik. Dabei holte er nicht nur den schwarzafrikanischen Theologen Abba Gorgoryos (1595–1658) nach Gotha, wo ihn der vom sagenhaften Priesterkönig besessene Herzog Ernst empfing. Ludolf machte sich vor allem durch seine linguistischen Werke zur Sprache der Ge’ez, Altäthiopisch von sich reden. Auch seine Studien zur Geschichte Äthiopiens, veröffentlicht in seinen vier Bänden der »Historica Aethiopica« von 1681–1694 machten den im Haus »Zur hohen Lilie« zu einem Pionier auf seinem Gebiet. Von Heinrich Wilhelm Ludolf (1655–1712), dem Neffen Hiobs, wird die Tradition der Familie fortgesetzt. Er spezialisierte sich als Missionsreisender vorrangig auf dem osteuropäischen Raum. Mit seiner epochalen »Grammatica Russica« erschafft er nicht nur eine sprachwissenschaftliche Analyse der Sprache, sondern gibt eine praktische Einführung für den Kontakt mit russischen Handlungsreisenden. Seine Grammatik ist quasi ein Sprachführer, der neben einer ausführlichen Analyse von Syntax und Semantik auch eine Einführung in Schrift und Aussprache des Russischen liefert. Auch Kaspar Stieler (1632–1707) trat als Sprachwissenschaftler hervor. Ihn interessierte allerdings die eigene Muttersprache. In »Der teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs« erstellte er ein Wörterbuch, das neue systematische Maßstäbe setzte. So erfasst er bei jedem Eintrag sowohl grammatische Angaben, wie auch Möglichkeiten der Wortbildung für das jeweilige Lemma. Seine »Geharnischte Venus« von 1660 kann als eine der wichtigsten Gedichtsammlung des Barock gesehen werden. Auch seine umfangreichen Stil- und Lehrbücher für den geschäftlichen Briefverkehr, wie die »Teutsche Secretariat-Kunst«, die bis 1726 mehrfach aufgelegt wurde, trug zum Ruhm des »Spaten«, wie sein Beiname in der Fruchtbringenden Gesellschaft lautete, bei. Obwohl er in Erfurt, in der heutigen Schlösserstraße 8, geboren, einen Großteil seines Lebens hier wirkte und verstarb, wird Stieler in der Gegenwart keinerlei öffentliches Gedenken zuteil. Für die kulturelle Entwicklung der Stadt sehr wirkungsvoll war die Regierungszeit von Philipp Wilhelm Reichsgraf von Boineburg (1656–1717). Nicht nur wurden in den Jahren 1702–1717 die Statthalterei und das heute Angermuseum, damals als Waagehaus, erbaut, auch die Stiftung der ersten Geschichtsprofessur an der Universität geht auf Boineburg zurück. Ein Besuch von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) bei Johann Christian von Boineburg ist für 1709–1710 dokumentiert. Der Aufklärer und Philosoph hat in dieser Zeit die vielfältige Bibliothek der Boineburgs katalogisiert und für eine spätere Übertragung an die Universität vorbereitet. Der Musiktheoretiker Johann Gottfried Walther (1684–1748), von 1702–1707 Organist an der Thomaskirche, schuf in seinem »Musicalisches Lexicon« von 1732 ein überaus wichtiges Quellenwerk für die Musikgeschichte. Es war das erste enzyklopädische Nachschlagewerk im Bereich der Musik Deutschlands, in dem Begriffe, Personen und Schriften zusammengefasst wurden. In Erfurt geboren wurde der Drucker und Verleger Johann Heinrich Hartung (1699–1756). Nach seiner Ausbildung in Erfurt und Leipzig wechselt er nach Königsberg, wo er mit die Steltersche Druckerei übernahm und diese in Ostpreußen zu einer monopolartigen Stellung führte. Besonders die Königsberger Hartungsche Zeitung war erfolgreich, sie erschien bis 1933. Der Botaniker Johann Hieronymus Kniphof (1704–1763) verwendete in seiner »Botanica in origniali« aus dem Jahre 1733 als erster die Nomenklatur Linnés. Durch eine bis dahin noch ungekannte Detailtreue der Pflanzendarstellungen im Druck konnte das Buch auch formal zur Aufsehen sorgen. 1711 wurde in Erfurt eine der interessantesten literarischen Frauenfiguren des 18. Jahrhunderts geboren. Sidonia Hedwig Zäunemann war bereits in früher Kindheit sehr unabhängig und versuche Bildung zu erwerben, wo es nur möglich war. Mit einem Gedicht über den Erfurter Stadtbrand »Das… unter Gluth und Flammen ächzende Erfurt« erreicht sie einige Bekanntheit. Ihr Gedicht »Das Ilmenauische Bergwerk« beschreibt die Einfahrt in den Berg. Sie findet die Literatur über Bergbau »öfters rauh und hart und nicht nach Dichter-Art geschrieben; das sind die Berg- und Bergmanns-Reden; die machten mir die größte Müh.« Beredt nutzt sie Fachvokabular aus dem Bergbau um die Schilderungen der Gefahren bei der Gewinnung von Bodenschätzen zu untermauern. Dabei vergisst sie aber auch nicht die Gemeinschaft der Bergleute hervorzuheben:
Glück auf die Knapschaft leb; die Schmelzer insgesamt./Auf! feyret diesen Tag mit Andacht und mit Freuden. das Berg-Fest will jetzt nicht die Grillenfänger leider./ Ich schweige denn die Feder bricht, Ja heut ist Fest; ich mache Schicht!
Auch diese besondere lebensweltliche Nähe zu ihren Motiven sorgte für ihre Krönung zur Kaiserlichen Poetin an der Göttinger Universität 1738. Nach ihren beiden Bänden »Poetische Rosen in Knospen« von 1738 und »Die von denen Faunen gepeitschte Laster« von 1739 verstummte die junge Lyrikerin auf tragische Weise. Die zeitlebens für ihre unkonventionelle Lebensführung als Außenseiterin gescholtene Dichterin stürzte 1740 bei einem ihrer Ausritte bei Angelroda in die Gera und ertrank. Ein ganz anderes Ende nahm die Wirkungszeit von Jordan Simon (1719–1776) in Erfurt. Der Aufklärungstheologe war seit 1749 Universitätslehrer in der Stadt und verfasste dabei seine »Kurze Anweisung zur Italiänischen Sprache«. Zwar erfreute sich dank seiner hervorragenden Reden von der Kanzel als Pfarrer der Wigbertikirche einiger Beliebtheit, dennoch musste er die Stadt 1769 verlassen, nachdem er der Betrügerei bezichtigt wurde. 1749 immatrikuliert sich ein 16 Jähriger an der Universität, der für die kulturelle Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten eine nicht überschätzbare Bedeutung haben sollte. Christoph Martin Wieland (1733–1813), Dichter und Übersetzer, begab sich nach Thüringen um bei einem Vetter zu studieren. 1754 wurde er in die Erfurter Akademie der Nützlichen Wissenschaften aufgenommen. 1769 kehrte er nach Erfurt zurück, nahm hier, bereits als etablierter Dichter, eine Lehrtätigkeit auf, die seiner schriftstellerischen Produktivität kaum entgegen wirkte. Er wohnte in den Jahren bis 1772 im »Haus zum Alten Schwan« hinter der Krämerbrücke. Später wird er diese Jahre als »eine seiner glücklichsten Lebensperioden« bezeichnen. Weniger positiv dürfte Karl Phillip Moritz (1756–1793) seine Erfurter Zeit bewerten. In der Hoffnung auf eine Stelle als Schauspieler folgte er Conrad Ekhof (1720–1778) nach Erfurt, wo er sich 1776 als Theologiestudent einschreibt. Weil er sich die Miete nicht leisten konnte, zog der spätere Autor des Anton Reiser Anfang 1777 mit einer Theatertruppe nach Leipzig. Mit der Amtszeit des letzten Statthalters von Mainz in Erfurt in den Jahren 1772–1802 sollte eine Epoche vorübergehen. Aber gerade der letzte der Mainzer Verwalter Karl Theodor von Dalberg sollte für Erfurt noch einmal einen kulturellen Höhepunkt markieren.
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