Erfurt
2 : Das Erfurter Mittelalter II

Orte

Erfurt

Lutherstätte Augustinerkloster

Bibliotheca Amploniana

Predigerkirche

Thema

Ortsporträts

Autor

Patrick Siebert

Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2018.

Nico­laus von Bibras Stel­len­wert als Grün­der­va­ter der latei­ni­schen Dich­ter­schule in Erfurt kann man nicht hoch genug ein­schät­zen. Aller­dings ist auch sein Den­ken nicht frei von Juden­hetze. Er bezeich­net die jüdi­sche Bevöl­ke­rung der Stadt als »Men­schen aus einem schlim­men Volks­stamm«, »die durch Wucher schäd­li­che Dinge ins Werk set­zen«. Den ab dem 21.03.1349 in der Stadt gras­sie­ren­den Pogro­men wer­den hun­derte Juden zum Opfer fal­len. Ihnen wurde das Über­grei­fen der Pest auf die Stadt zur Last gelegt. Als Domi­ni­ka­ner ein Ordens­bru­der des Nico­laus war Eck­hart von Hoch­heim, bekannt als Meis­ter Eck­hart, der ab 1294 als Prior und Pro­vin­zial im Erfur­ter Domi­ni­ka­ner­klos­ter wirkte. Seine Pre­dig­ten und deut­schen Schrif­ten rich­te­ten sich direkt an die »unge­lehr­ten Leute«. Neben sei­ner »rede der under­schei­dunge«, einer lebens­prak­ti­schen Unter­wei­sung für Ordens­brü­der in Form von Lehr­ge­sprä­chen, ist es die direkte Anspra­che an das Volk, das sich zahl­reich in der Erfur­ter Pre­di­ger­kir­che ver­sam­melt hat, um sei­nen Pre­di­gen zu lau­schen, die bis heute sei­nen Rang ausmacht.

Die breite Über­lie­fe­rung vor allem sei­ner mit­tel­hoch­deut­schen Texte ist mehr als ein Indiz sei­ner gro­ßen Beliebt­heit. Die Pre­digt­samm­lung »Para­di­sus anime intel­li­gen­tis« aus dem 14. Jahr­hun­dert ver­sam­melt 64 Pre­dig­ten, von denen die Hälfte Eck­hart zuge­schrie­ben wird. Zen­trum sei­ner Lehre bil­den die Pole Gott und mensch­li­che Seele, wobei das Ziel eine indi­vi­du­elle Got­tes­er­fah­rung, je nach Beschaf­fen­heit der eige­nen Seele ist. Die Frage nach Gott ver­bin­det sich mit der Frage nach dem Sein der Men­schen: Der Mensch soll sich daran gewöh­nen, nicht das Seine in den Din­gen zu suchen oder zu neh­men, son­dern in allen Din­gen Gott zu suchen und zu nehmen.«.

»Para­di­sus anime intel­li­gen­tis« stellt den Pre­dig­ten des Meis­ters sol­che des Schü­lers Albrecht von Tref­furt an die Seite. Für ihn stand fest, dass zur » mensch­li­chen Natur­aus­stat­tung nicht unbe­dingt ein gött­li­ches Licht gehört«. Auch Hart­wig von Erfurt, der in der Mitte des 14. Jahr­hun­derts mys­ti­sche Pre­dig­ten ver­fasste, ori­en­tierte sich an der Dik­tion Eck­harts. Mit Johan­nes von Erfurt (um 1250-um1320) wirkte um 1300 ein Fran­zis­ka­ner in der Stadt, des­sen Lehr­werke bis in die Zeit Mar­tin Luthers zu den Stan­dards gehör­ten. Sein Kom­men­tar zu den Sen­ten­zen des Petrus Lom­bar­dus ist da ebenso zu nen­nen, wie die »Summa Con­fes­sorum«, ein Leit­fa­den für Beicht­vä­ter, der sich nicht nur mit den Tod­sün­den beschäf­tigt, son­dern auch den Ablass theo­lo­gisch untermauert.

Mit den »Modi signi­fi­candi« stellte Tho­mas von Erfurt (um 1245–1340) die Gram­ma­tik auf eine wis­sen­schaft­li­che Basis. Was bis heute Genera­tio­nen von Schü­lern ärgert, för­derte damals das hohe Anse­hen der Erfur­ter Schu­len. Tho­mas lehrte an den Schu­len von St. Severi und am Schot­ten­klos­ter und kann mit Recht als Sprach­ge­lehr­ter von Euro­päi­scher Bedeu­tung bezeich­net wer­den. Mit Johan­nes Zacha­riä lehrte seit 1400 einer der wirk­mäch­tigs­ten Theo­lo­gen sei­ner Zeit an der noch jun­gen Erfur­ter Uni­ver­si­tät. Als deren Ver­tre­ter auf dem Kon­stan­zer Kon­zil trat der Domi­ni­ka­ne­rere­mit als aus­ge­zeich­ne­ter Dis­pu­tant her­vor. Ein Auf­trag von Kai­ser Sigis­mund trug ihm den Namen »Hus­so­ma­trix« ein: Er sollte den böh­mi­schen Refor­ma­tor Jan Hus (1369–1415) der ket­ze­ri­schen Irr­lehre über­füh­ren. Die Grab­ta­fel Zacha­riäs befin­det sich vor dem Hoch­al­tar der Augus­ti­ner­kir­che. So ist es eine Iro­nie der Geschichte, dass Mar­tin Luther stun­den­lang diese Platte vor Augen hatte, wenn man ihm das Gelübde abnahm. Ob auch der Flam­men­tod von Hus auf das Betrei­ben des Erfur­ter Theo­lo­gen zurück­geht, muss aller­dings offen bleiben.

Für eine unge­wöhn­li­che Blü­te­zeit des Erfur­ter Kart­häu­ser­klos­te­res ste­hen die Namen Jakob von Para­dies (1381–1465) und Johan­nes Hagen. Jakob, dem die Rolle des Lehr­meis­ters zukam, benannte sich nach dem Zis­ter­zi­en­ser­klos­ter Para­dies bei Mese­ritz und war ab 1442/43 Vikar der Kart­häu­ser in Erfurt. Johan­nes kam 1436 als Stu­dent nach Erfurt. In ihrer uner­hör­ten Pro­duk­ti­vi­tät hin­ter­lie­ßen sie mehr als 100 Werke. Viele der kir­chen­kri­ti­sche Trak­tate und Predikt­zy­klen wur­den spä­ter gedruckt wei­ter­ver­brei­tet. Gerade die theo­lo­gi­schen Werke geiz­ten nicht mit Reform­ideen für das geist­li­che Leben der Zeit.

Die Kri­tik am päpst­li­chen Pri­mat machte die Schrif­ten für die Refor­mer des 16. Jahr­hun­derts anzie­hend. Es ist bezeich­nend für die ori­gi­näre Strahl­kraft die­ser bei­den Mön­che, dass es nach ihnen dem Erfur­ter Kart­häu­ser­klos­ter an ver­gleich­ba­ren Figu­ren man­gelte. In ihre Wir­kungs­zeit fal­len auch die Besu­che zweier zen­tra­ler Figu­ren der römi­schen Kurie in der Zeit um 1450.

Wäh­rend Niko­laus von Kues (1401–1464), Bischof von Bri­xen und Uni­ver­sal­ge­lehr­ter, bei sei­nem Auf­ent­halt vom 29.05.1451–09.06.1451 mit sei­nen Reform­ideen für die Kir­che in Erfurt auf viele offene Ohren stieß; wurde Johan­nes Kapis­tran offe­ner Wider­spruch, nament­lich durch Jakob von Para­dies, zuteil. Seine offen juden­feind­li­chen Pre­dig­ten sorg­ten 1452 dafür, dass der jüdi­schen Bevöl­ke­rung in Erfurt ein Sied­lungs­ver­bot erteilt wurde. Ein Auf­ent­halt von Hart­mann Sche­del (1440–1514), dem gro­ßen Nürn­ber­ger Chro­nis­ten, ist nicht ver­bürgt, aber sehr wahr­schein­lich. Seine Dar­stel­lung Erfurts in der »Sche­del­schen Welt­chro­nik« von 1493 stellte beson­ders die große Anzahl der Türme der Stadt her­aus, was wenig spä­ter Mar­tin Luther vom »Erfor­dia tur­rita«, dem tür­me­rei­chen Erfurt, spre­chen las­sen wird. Ein Bei­name, den sich die Stadt bis heute gerne gibt.

Auf einem ganz ande­ren Feld, aber in die­sem nicht weni­ger bedeut­sam, bewegte sich Kon­rad Stolle, der große Erfur­ter Chro­nist der Sat­tel­zeit zwi­schen Mit­tel­al­ter und frü­her Neu­zeit. 1436 in Nie­der­zim­mern gebo­ren, wirkte er nach einer lan­gen Ita­li­en­reise ab 1464 als Vikar an St. Severi. Sein Haupt­werk, die »Memo­riale« von 1477, ori­en­tiert sich an den Chro­ni­ken des Johan­nes Rothe, erlangt aller­dings, gerade im Blick auf Thü­rin­gi­sche und Erfur­ter Bege­ben­hei­ten, einen eigen­stän­di­gen Cha­rak­ter. Stolle gibt All­tags­be­ob­ach­tun­gen einen brei­ten Raum in sei­nen Dar­stel­lun­gen, ver­gisst dabei aller­dings nicht die welt­his­to­ri­schen Hintergründe.

Zwar ist seine Chro­nik keine streng sys­te­ma­tisch ange­legte Arbeit, mit ihrer leben­di­gen Erfas­sung der All­tags­welt gehört sie aber zwei­fel­los zu den ein­drucks­volls­ten zeit­ge­schicht­li­chen Schrif­ten ihrer Zeit. Die ein­zige erhal­tende Hand­schrift befin­det sich heute in der Thü­rin­ger Uni­ver­si­täts- und Lan­des­bi­blio­thek in Jena.

 Erfurt:

  1. Erfurt im Mittelalter - Klöster als Zentren des literarischen Lebens
  2. Das Erfurter Mittelalter II
  3. Theater im Mittelalter
  4. Die Anfänge der Erfurter Universität
  5. Erfurt als ein Zentrum des Humanismus (1460-1570)
  6. Der Reformator
  7. Die Stadt bis zum Verlust der Unabhängigkeit (1571-1664)
  8. Unter Mainzer Statthalterschaft bis Dalberg (1665-1772)
  9. Karl Theodor von Dalberg – Der letzte Statthalter
  10. Erfurt unter Dalberg und der Kreis im Haus Dacheröden (1772-1802)
  11. Die Franzosen in der Stadt – Fürstenkongress, Napoleon und Goethe (1806-1814)
  12. Erfurt und die Preußen im 19. Jahrhundert
  13. Erfurt von 1900 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
  14. Von der Landeshauptstadt zur Bezirksstadt zur Landeshauptstadt – Erfurt bis zur Gegenwart
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