Ort
Thema
Externe Informationen
Patrick Siebert
Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2018.
Die Landeshauptstadt Thüringens ist mit über 200.000 Einwohnern die größte Stadt des Freistaates und dessen politisches Zentrum. Beim Blick auf die Landkarte fällt Erfurts Lage in der Mitte Deutschlands auf, was bis heute ein wichtiger Standortfaktor für viele Branchen ist und Erfurt zu einem beliebten Logistikstandort macht. Bereits im Mittelalter war dieser Aspekt zentral für den Aufstieg der Stadt zu einem der wichtigsten Handelsplätze im Deutschen Reich des 13. und 14. Jahrhunderts.
Schon die erste urkundliche Erwähnung 742 durch Bonifatius legte den Grundstein für eine Besonderheit der Stadt. Sein Brief an Papst Zacharias mit der Bitte »Erphesfurt« zu einem Bistum zu erheben und die 755 vollzogene Vereinigung mit dem Bistum Mainz bestimmte die nächsten 1000 Jahre der Erfurter Geschichte maßgeblich und ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Erfurt keine Residenzstadt wurde. Stattdessen ging auch die weltliche Herrschaft über die Stadt von den Bischöfen in Mainz aus. Die Repräsentationslust der stolzen Bürger gab den Impuls für das heutige Aussehen des mittelalterlich geprägten Stadtkerns, der sich auf drei Quadratkilometern ausdehnt. Erfurt ist reich an architektonischen Besonderheiten, wie dem Ensemble aus Mariendom – Vorläuferbauten gehen bis auf Bonifatius zurück, seit 1994 ist er die Kathedrale des wieder geschaffenen Bistums Erfurt – Severikirche und den zugehörigen Domstufen, auf denen jährlich die Domstufenfestspiele stattfinden. In der unteren Glockenstube des mittleren Turmes, findet sich im Dom die 1497 gegossene »Gloriosa«, der mit 11.450 kg größten freischwingenden mittelalterlichen Kirchenglocke der Welt. In unmittelbarer Nachbarschaft steht die Zitadelle Petersberg, eine der am besten erhaltenen innerstädtischen Befestigungsanlagen Europas. Die nahe dem Fischmarkt gelegene Krämerbrücke über die Gera gilt mit einer Länge von 120 Metern als die längste bebaute Brücke Europas. Nach ihr ist das größte Volksfest der Stadt, das Krämerbrückenfest, benannt. Weniger durch ihre exponierte Gestaltung, als durch ihre wechselvolle Geschichte gerät die Alte Synagoge in den Blick des Besuchers. Bereits 1094 wurde mit ihrem Bau begonnen – sie ist die wahrscheinlich älteste erhaltene Synagoge Europas. Als Museum beherbergt sie den »Erfurter Schatz«, eine Sammlung jüdischer Kunst- und Alltagsgegenstände.
Anders als die Residenzstädte Gotha und Weimar hatte Erfurt keinen Fürstenhof, der mit Mäzenatentum oder persönlicher Patronage für die Förderung der Wissenschaft und Kultur sorgen konnte. In erster Linie übernahmen hier erst die Kollegiatskirchen St. Marien und St. Severi auf dem Domhügel diese Funktion. Aus ihren Schulen entstand im 13. Jahrhundert das Erfurter »Studium generale«, eine weithin bekannte Bildungseinrichtung, aus der 1392 die Erfurter Universität hervorging, die die Stadt zu einem Zentrum der humanistischen Gelehrsamkeit werden ließ. Die ausgeprägte Klosterlandschaft, allen voran das Dominikaner- und später das Augustinerkloster, zog Geistesgrößen nach Erfurt. Dietrich von Apolda (1220/30–1302/3) und Meister Eckhart kamen als Dominikaner in die Stadt. Martin Luther (1483–1546) hielt sich von 1505 bis 1511 im Augustinerkloster auf. Die Engelsburg wurde zu einem Zentrum des Humanismus in Deutschland. Im heute so genannten Humanistenerker begegneten sich der Dichter Helius Eobanus Hessus (1488–1540), der Epigrammatiker Euricius Cordus (1486–1535), der Theologe Crotus Rubeanus (um 1480 – um 1545) und Ulrich von Hutten (1488–1523). Der Mathematiker Adam Ries (1492/93–1559) wirkte als Leiter einer Rechenschule in Erfurt. Er nutzte den in der Stadt stark ausgeprägten Buchdruck, um seine Rechenbücher zu verbreiten.
Mit dem Strukturwandel im ausgehenden 16. Jahrhundert und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust des Färbestoffes Waid, dem bis dato wichtigsten Handelsgut der Stadt, ging diese erste kulturelle Blüte zu Ende. Mit der Eroberung der Stadt durch Truppen des Mainzer Erzbistums im Jahre 1664 regierte ein Mainzer Statthalter in Erfurt. In den Pestjahren 1682/83 sank die Bevölkerungszahl rapide. Mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft erlag der Krankheit. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1802 fiel die Stadt an Preußen und erlebte in den folgenden Jahren eine sehr wechselreiche Phase. 1806 nach der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt kampflos an die Franzosen gefallen, wurde die Stadt 1807 kaiserliche Domäne unter direkter Kontrolle Napoleons. 1808, im Rahmen des Erfurter Fürstenkongresses, der ein Bündnis zwischen Frankreich und Russland besiegelte, traf der Kaiser der Franzosen auf Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), überreichte diesem das Kreuz der Ehrenlegion und bedachte ihn mit den heute sprichwörtlichen Worten »Voilà un homme!«. Ohnehin ist die Zeit um 1800 in Erfurt gefüllt mit Besuchen und Aufenthalten namhafter Persönlichkeiten. Karl Theodor von Dalberg (1744–1817) war der letzte Mainzer Statthalter, der zu Christoph Martin Wieland (1733–1813), Friedrich Schiller (1759–1805), Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm von Humboldt (1767–1835) und Johann Gottfried Herder (1744–1803) eine freundschaftliche Beziehung pflegte. Im Haus Dacheröden, einem Renaissancebau am Ende des Angers, der heute als Kulturforum genutzt wird, entwickelte sich ein reges Kulturleben. Carl Friedrich von Dacheröden (1732–1809), der es 1774 anmietete, machte es zu einem Ort geselligen Austausches und akademischer Sitzungen. Caroline von Dacheröden (1766–1829), seine Tochter, spätere Ehefrau von Wilhelm von Humboldt und eine Jugendfreundin Caroline Schillers (1766–1826), setzte die kulturelle Tradition ihres Elternhauses fort.
Mit dem Ende der Napoleonischen Ära wurde die Stadt 1815 auf dem Wiener Kongress Preußen zugeschlagen, unter dessen Herrschaft sie bis zum Ende des 2. Weltkrieges bleiben sollte. Mit der Ansiedlung des Unternehmens »N.L.Chrestensen« im Jahre 1867 wurden Gartenbau und Saatzucht zu den führenden Wirtschaftszweigen der Stadt, was ihren Bewohnern alsbald den spöttischen Beinahmen »Puffbohnen« einbrachte. Um 1900 hatte sich Erfurt als »Blumenstadt« eine weltweit klingenden Namen erwirtschaftet. Doch auch im Maschinenbau konnten die Erfurter Unternehmen, allen voran die »Maschinenfabrik Christian Hagans« oder die »Berlin-Erfurter Maschinenfabrik« von Henry Pels (1865–1931), große Erfolge für sich verbuchen. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg wurden die Vorstädte, wie die Krämpfer- oder die Johannesvorstadt angelegt. Erfurt wurde Großstadt.
1850 tagte in der Stadt das »Erfurter Unionsparlament« im Augustinerkloster mit dem Ziel zusammen, eine Einigung des Deutschen Reiches per Beschluss zu erreichenm was jedoch scheiterte. 1864 wurde Max Weber (1864–1920), einer der Väter der modernen Soziologie und wichtiger Vertreter der Nationalökonomie, in Erfurt geboren. In den 1870er Jahren begann der Abbau der ausgeprägten Fortifikationen der Stadt, so dass der Ausdehnung der Stadt keine engen Grenzen mehr gesetzt waren.
In den Jahren des NS-Regimes wurde Erfurt nicht nur als Industriestandort gestärkt – es kam zu weiteren wichtigen Unternehmensgründungen wie der Feinmechanische Werke GmbH Erfurt (FEIMA) oder der Bau eines Telefunkenwerkes – die Stadt wurde auch zu einer der größten Garnisonen des Deutschen Reiches ausgebaut. Die Firma Topf und Söhne lieferte Krematorien und gasdichte Türen für die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Auschwitz. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Erfurt 1948 erst Hauptstadt Thüringens und nach dessen Einteilung in Bezirke 1952 Sitz des Bezirkes Erfurt. 1970 fand in Erfurt das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen zwischen Bundeskanzler Willi Brandt und dem Vorsitzenden des DDR-Ministerrates, Willi Stoph, statt. Heute erinnert der Schriftzug »Willy Brandt ans Fenster« auf dem Dach des Gebäudes an diesen Moment deutsch-deutscher Annäherung. Bereits kurz vor der politischen Wende verhindern aktive Erfurter Bürger den Abriss des historischen Andreasviertels. 1991 wurde Erfurt Hauptstadt des neu gegründeten Freistaates Thüringen. Mit der Neugründung der Universität 1994, trug die Stadt dem Wunsch Rechnung, wieder an ihre akademische Tradition anknüpfen.
›Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio
Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2024 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]
URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/erfurt/]