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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak, Das literarische Thüringen, Bucha 2015 / Thüringer Literaturrat e.V.
Wie wenig fortschrittlich die Universität zu Beginn seiner Statthalterschaft war, zeigt der Fall Karl Friedrich Bahrdt (1741–1792). Als extremster Aufklärer unter den Hochschullehrern, hatte er von Beginn an einen Sonderstatus. Seine »Briefe über die systematische Theologie zur Beförderung der Toleranz« von 1771 machten ihn vollends zum Außenseiter, so dass er die Stadt bereits im gleichen verlassen musste. Seine Übersetzung des »Neuen Testaments« findet bei Lessing großen Anklang. Goethe hingegen verspottet Bahrdt wegen seines Rationalismus, sein Faust resümiert nach einem Gespräch mit seinem Famulus Wagner: »Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,/der immerfort an schalem Zeuge klebt,/Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,/und froh ist wenn er Regenwürmer findet.« Ein enger Vertrauter Wielands war Friedrich Justus Riedel (1742–1785). Er setzte die Berufung Wielands nach Erfurt durch, wo er selber aktiv Anteil an der Reform der Universität nahm. Allerdings wurden viele seiner Vorschläge durch die katholische Geistlichkeit blockiert. Seine »Theorie der schönen Künste und Wissenschaften« von 1767 ist ein wichtiger Markstein in der Entwicklung der Ästhetik. Rieder verteidigt einen Begriff der Schönheit, der von der Wahrnehmung ausgeht, sich damit von dem abhebt, was Autoritäten als klassisch schön definieren. Der geistige Mittelpunkt Erfurts befand sich in dieser Phase im »Haus Dacheröden«. Karl Friedrich von Dacheröden (1732–1809), Präsident der Erfurter Akademie gemeinnütziger Wissenschaften, nutzte sein Haus um die Mitglieder zu versammeln. Dacheröden trug als Zensor der eingehenden historischen und staatswissenschaftlichen Schriften zur Neu-Belebung der Akademie-Zeitschrift bei. Die enge Anbindung des Kreises an die Familie sollte sich auszahlen. Wilhelm von Humboldt (1767–1835) fand besonderes Interesse an der Tochter des Hauses. Caroline von Dacheröden (1766–1829), die er 1788 kennenlernte und 1791 ehelichte, gilt als eine der unkonventionellsten Frauenfiguren ihrer Zeit. Sie nutzte die gebotenen Freiheiten der ungewöhnlichen Ehe mit Humboldt um ihrerseits einen literarischen Salon in Berlin zu betreiben. Durch Dank ihrer weitverzweigten Korrespondenz beteiligte sie sich an den Diskursen ihrer Zeit und begleitete kritisch die Arbeit ihres Mannes. Vor der Hochzeit mit Humboldt war auch Schiller nicht uninteressiert an Caroline, doch ihre Mutter hatte sie »dem Einfluss dieses zwar charmanten, aber doch so unstandesgemäßen, armen Poeten« entzogen. Der von Dalberg unterstützte Friedrich Schiller (1759–1805) besuchte Erfurt erstmals am 2.2.1787, wo er das Ursulinenkloster besuchte. Zusammen mit seiner Verlobten Charlotte von Lengefeld (1766–1826) verbrachte Schiller vom 18–21.2.1790 »drei angenehme Tage«, wo besonders Dalberg »einen innigen Anteil an unserem Verhältnisse nahm«. Schon am Tag darauf wird das Paar in Jena getraut. Seine Aufnahme in die Erfurter Akademie während des Besuches zum Jahreswechsel 1790–1791 wurde von einer schweren Erkrankung Schillers überschattet. Seinem Freund Dalberg widmet er 1802 das Gedicht »Antritt des neuen Jahrhunderts«: »Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden/Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort?/Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden/Und das neu öffnet sich mit Mord.«. Die nicht weniger als 53 Besuche Goethes in Erfurt hatten meist einen halboffiziellen Charakter. Der Dichter begleitete seinen Dienstherren Karl August (1757–1828) wenn dieser zu politischen Gesprächen in Erfurt weilte. Bei seiner ersten Durchfahrt 1765 sah er sich noch als »eingewickelter, seltsamer Knabe». Ein Zustand, der sich bis 1768 nicht grundlegend geändert zu haben scheint, wenn sich der Dichterfürst jetzt als »Kränkling und Schiffbrüchiger« bezeichnet. In den Jahren 1776–1814 kam er mehrfach in die »Blumenstadt« für deren Umgebung er im »Divan«-Gedicht »Liebliches« nur freundliche Worte findet: »Ja es sind die bunten Mohne,/Die um Erfurt sich erstrecken,/Und dem Kriegsgott zum Hohne,/Felder streifweis freundlich decken.« Ein weiteres »Divan«-Gedicht greift die Besuche Goethes direkt auf: »Sollt‘ einmal durch Erfurt fahren,/Das ich sonst so oft durchschritten,/Und ich schien, nach vielen Jahren,/Wohlempfangen, wohlgelitten.« Über die historisch bedeutsame Begegnung Goethes mit Napoleon 1808 wird das folgende Kapitel näher berichten. Ein wesentliches Element der Zusammentreffen im Haus Dacheröden war der Hofmeister Rudolph Zacharias Becker (1752–1822). Ihm verdankt Caroline von Dacheröden ihre außergewöhnliche Bildung. Nachdem er eine Preisaufgabe der Berliner Akademie – »Ob es nützlich sein könne, das Volk zu täuschen?« – 1780 gewann wurde Becker in die Erfurter Akademie aufgenommen. Nach der Zeit als Hofmeister machte er ab 1782 als Herausgeber der »Deutsche[n] Zeitung für die Jugend und ihre Freunde« von sich reden, die 1796 zur »Nationalzeitung der Deutschen« erhoben wird und gründete die Becker’sche Buchhandlung in Gotha. Sophie Albrecht (1757–1840), in Erfurt als Sophie Baumer geboren, konnte nicht nur als Schauspielerin – sie war die erste »Eboli« in Schillers Don Carlos – brillieren. Auch literarisch konnte sie ihre Verbindung zu Schiller fruchtbar machen, so erschien eine Reihe ihrer epischen und lyrischen Werke in dessen »Thalia«. Johann Christian Lossius (1743–1813) kam 1770 als Professor der Philosophie nach Erfurt, wo er die englischen und französischen Denker wie Hume, Locke oder Montaigne präsentierte. Wie Wieland oder Bahrdt gehörte er zu der Gruppe von Hochschullehrern, die versuchten mit zeitgemäßen Inhalten die katholische Dominanz der Universität zu durchbrechen und ihr damit ein moderneres Profil zu ermöglichen. Vom dem Gedanken ausgehend, dass Philosophie nur relevant ist, wenn sie die Gegenwart im Auge behält, weist er auf eine Art der Auseinandersetzung mit der Welt hin, die das körperliche als Grundlage der Vernunft wahrnimmt. In seiner Schrift »Physische Ursachen des Wahren« von 1775 legt er dar, wie Empfindung und Gegenwart von Dingen zusammenhängen: »Das Gefühl […] legt uns eine gewisse Nothwendigkeit auf, daß wir nicht anders können, als das für wahr zu halten, was wir empfinden.«. Mit der Abwicklung der Universität und dem Entzug der Pension durch Napoleon, den er dennoch überschwänglich huldigte, kam Lossius in eine miserable Lage. Er ist »in einem Zustande gestorben, den man in den Hütten des ärmsten Tagelöhners nur selten findet.«. Kaspar Friedrich Lossius (1753–1817) war begeisterter Zuhörer Wielands. Bekanntheit erlangte er mit dem Jugendbuch »Gumal und Lina« von 1798. Der unerhörte Erfolg seines Werkes basiert auf der Verknüpfung eines erzieherischen Anliegens und einem exotischen Schauplatz. Dass die Liebesgeschichte vorrangig einem religiösen Auftrag dient, zeigt bereits der Untertitel: »Eine Geschichte für Kinder, Zum Unterricht und Vergnügen, Besonders um ihnen die ersten Religionsbergriffe beizubringen.«. Ein lebendiges Bild seiner Zeit vermittelt Constantin Beyer (1761–1829). Neben einer ganzen Reihe von Tagebüchern, ist es vor allem die 1821 auf Druck gelegte »Neue Chronik von Erfurt oder Erzählung alles dessen, was ich vom Jahr 1736 bis zum Jahr 1815 in Erfurt Denkwürdiges ereignete«. Außer berichten über offizielle Vorgänge, die Assembleen in Hause Dalbergs und historischer Fakten überliefert er auch pikante Ausschnitte aus dem Alltag im 18 Jahrhundert. Das Jahr 1741 leitet er so mit folgender Begebenheit ein:
Der Sohn des hiesigen sehr geschickten Scharfrichters Hirschfeld, der die Jägerei lernte, saß mit einem Kurmainzischen Tambour in einem Bierhause, zur Gabel genannt, am Fallloche. Sie geriethen wegen eines Mädchens mit einander in Streit, forderten sich auf den nahegelegenen Severihof wo der Tambour den Säbel zog. Hirschfeld aber schoß ihn mit der bei sich habenden Flinte auf der Stelle tod und machte sich aus dem Staube.
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