Personen
Johann Bartholomäus Trommsdorff
Philipp Friedrich Carl Ferdinand Freiherr von Müffling
Arthur Ernst Wilhelm Victor Moeller van den Bruck
Wilhelm Heinrich Sebastian Bucholz
Thema
Patrick Siebert
Detlef Ignasiak, Das literarische Thüringen, Bucha 2015 / Thüringer Literaturrat e.V.
Nach der französischen Zwischenepisode wird die Stadt auf dem Wiener Kongress 1815 wieder den Preußen zugeschlagen, die sie als Hauptstadt des Bezirkes Erfurt zur Garnison ausbauen. Die Universität, kaum noch ein Schatten ihrer selbst, musste 1816 geschlossen werden. Einer der letzten Professoren war Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770–1837). Als er 1811 seinen Lehrstuhl antritt, ist er bereits als Herausgeber des »Journal[s] der Pharmacie«, erschienen von 1793–1834 und Autor des »Handbuch[es] der gesammten Chemie« von 1800 eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Mit der Gründung der »Chemisch-physikalisch-pharmaceutischen Pensionsanstalt für Jünglinge« 1795 kann er aus einer der Wegbereiter des akademischen Pharmaziestudiums gelten. Mit der Übernahme des Petersbergers kamen auch eine Menge preußischer Offiziere in die Stadt. Einer von ihnen, Carl von Müffling (1775–1851), berichtet in »Aus meinen Leben« über die Vorgänge im Hauptquartier Blüchers, während der Feldzüge gegen Napoleon. Sein Grabmal im Brühler Garten, mit einer von Friedrich August Stüler (1800–1865) gestalteten Büste, wird seit mehrfachen Beschädigungen heute durch ein Schutzgitter gesichert. Aus der langen Reihe der Erfurter Mundartdichter, ist Leberecht Fischer (1814–1890) als der bedeutendste hervorzuheben. Seine »Erfurter Schnozeln«, in vier Bänden von 1861–67 erschienen, verbinden frühe Mundartdichtung mit einem ganz eigenen Humor: »Siehste, su warsch frieher, da war doch noch a Spaß on a Vergniegen on anne Lost – abber allewäile häitzudage da äs gar nischt mih«.
Theodor Fontane (1819–1898) nutzte einen Besuch am 26.8.1867 zu einer »Besichtigung des sehr interessanten Domes«, wie er in seinem Tagebuch vermerkt. Als Journalist kam Paulus Stephanus Cassel (1821–1892) nach Erfurt, wo er für die »Erfurter Zeitung« und später für die Erfurter Akademie arbeitete. Sein sehr vielfältiges Oeuvre umfasst neben historischen, geographischen, und theologischen Schriften, vor allem Werke die sich dem Kampf gegen den Antisemitismus widmen. Dabei geht er offensiv gegen Hetze vor, wie die Schrift »Wider Heinrich von Treitschke« von 1880 unter Beweis stellt. Von Treitschke sollte später mit dem Satz »Die Juden sind unser Unglück« ein maßgebliches Motiv für das nationalsozialistische Hetzblatt »Der Stürmer« liefern.
Julius Waldemar Grosse (1828–1902), in Erfurt geboren und in München berühmt geworden, war dort Mitglied des Dichterkreises die »Krokodile«, zu dem auch Emanuel Geibel (1815–1884) und der spätere Literaturnobelpreisträger Paul Heyse (1830–1914) gehörten. Seine ungemeine Produktivität ging zuweilen auf Kosten der Qualität. So berichtet »Meyers Konversationslexikon« über seine Motivsuche, dass der »Dichter Stoffe in sich aufnimmt, zu denen ihm das nähere Verhältnis fehlt, und die er daher nur äußerlich zu behandeln vermag«. Dass er dennoch einer der meistgelesenen Poeten seiner Zeit war hat sicher seinen Grund in der »lebendige[n] Phantasie, farbige[n] Schilderung und sprachliche[n] Gewandtheit«, wie wiederum das »Meyer« festhält«. An seine Erfurter Kindheit denkt in »Ursachen und Wirkungen« von 1896 zurück: » Märchenhaft war gleich nebenan der stets verschlossene Garten … märchenhaft das graue Kloster auf dem Anger, wohin ich mit der Magd ging, um von den Nonnen grüne Erbsen und Bohnen zu holen«. Sein Wohnhaus in der heutigen Bahnhofstraße 3, weißt mit einem Schild auf den nahezu vergessenen Dichter hin.
Als bedeutender Sprachwissenschaftler konnte sich Heinrich Hübschmann (1848–1908) etablieren. Ihm gelang der Nachweis einer eigenständigen armenmischen Sprache, woraus sich die wissenschaftliche Aramenistik entwickelte. Das evangelische Ratsgymnasium Erfurt empfand Arthur Moeller van den Bruck (1876–1925) als sehr muffig. Nachdem er diesen Muff ein 1894/95 ein Jahr ertragen konnte, zog es ihn weiter nach Berlin und Paris, wo er ein maßgeblicher Verfechter einer konservativen Kulturwissenschaft wurde. Mit seinem Kompendium »Moderne Literatur in Gruppen- und Einzeldarstellungen« machte er um die Jahrhundertwende auf eine neue Generation junger deutscher Literatur aufmerksam. Heute wird van den Bruck vor allem im Zusammenhang mit seinem Werk »Das Dritte Reich« von 1923 genannt. In der Tat wurde das Buch von den Nationalsozialisten vereinnahmt, enthielt jedoch keinerlei rassistische oder antisemitische Haltungen. Gegenüber Adolf Hitler zeigte sich van den Bruck dann auch sehr reserviert: Hitler ist an seiner proletarischen Primitivität gescheitert. Er verstand nicht, seinen Nationalsozialismus geistig zu unterbauen. Er war verkörperte Leidenschaft, aber ganz ohne Abstand und Augenmaß.
Mehr Durchhaltevermögen am Ratsgymnasium bewies Kurt Pinthus (1886–1975), der hier von 1896–1905 sein Abitur erwarb. Als Lektor für den Kurt-Wolff-Verlag in Leipzig sollte er Kontakte zu den zentralen Dichtern des Expressionismus knöpfen. Ergebnis war die bis heute prägende Anthologie dieser Stilrichtung: Die »Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung«, mit der er 1920 ein Stück Literaturgeschichte schrieb. Keine andere Sammlung des Expressionismus wurde annähernd so stark rezipiert.
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