Erfurt
12 : Erfurt und die Preußen im 19. Jahrhundert

Nach der fran­zö­si­schen Zwi­schen­epi­sode wird die Stadt auf dem Wie­ner Kon­gress 1815 wie­der den Preu­ßen zuge­schla­gen, die sie als Haupt­stadt des Bezir­kes Erfurt zur Gar­ni­son aus­bauen. Die Uni­ver­si­tät, kaum noch ein Schat­ten ihrer selbst, musste 1816 geschlos­sen wer­den. Einer der letz­ten Pro­fes­so­ren war Johann Bar­tho­lo­mäus Tromms­dorff (1770–1837). Als er 1811 sei­nen Lehr­stuhl antritt, ist er bereits als Her­aus­ge­ber des »Journal[s] der Phar­macie«, erschie­nen von 1793–1834 und Autor des »Handbuch[es] der gesamm­ten Che­mie« von 1800 eine Kory­phäe auf sei­nem Gebiet. Mit der Grün­dung der »Che­misch-phy­si­ka­lisch-phar­maceu­ti­schen Pen­si­ons­an­stalt für Jüng­linge« 1795 kann er aus einer der Weg­be­rei­ter des aka­de­mi­schen Phar­ma­zi­e­stu­di­ums gel­ten. Mit der Über­nahme des Peters­ber­gers kamen auch eine Menge preu­ßi­scher Offi­ziere in die Stadt. Einer von ihnen, Carl von Müff­ling (1775–1851), berich­tet in »Aus mei­nen Leben« über die Vor­gänge im Haupt­quar­tier Blü­chers, wäh­rend der Feld­züge gegen Napo­leon. Sein Grab­mal im Brüh­ler Gar­ten, mit einer von Fried­rich August Stü­ler (1800–1865) gestal­te­ten Büste, wird seit mehr­fa­chen Beschä­di­gun­gen heute durch ein Schutz­git­ter gesi­chert. Aus der lan­gen Reihe der Erfur­ter Mund­art­dich­ter, ist Lebe­recht Fischer (1814–1890) als der bedeu­tendste her­vor­zu­he­ben. Seine »Erfur­ter Schno­zeln«, in vier Bän­den von 1861–67 erschie­nen, ver­bin­den frühe Mund­art­dich­tung mit einem ganz eige­nen Humor: »Siehste, su warsch frie­her, da war doch noch a Spaß on a Ver­gnie­gen on anne Lost – abber alle­wäile häit­zu­dage da äs gar nischt mih«.

Theo­dor Fon­tane (1819–1898) nutzte einen Besuch am 26.8.1867 zu einer »Besich­ti­gung des sehr inter­es­san­ten Domes«, wie er in sei­nem Tage­buch ver­merkt. Als Jour­na­list kam Pau­lus Ste­pha­nus Cas­sel (1821–1892) nach Erfurt, wo er für die »Erfur­ter Zei­tung« und spä­ter für die Erfur­ter Aka­de­mie arbei­tete. Sein sehr viel­fäl­ti­ges Oeu­vre umfasst neben his­to­ri­schen, geo­gra­phi­schen, und theo­lo­gi­schen Schrif­ten, vor allem Werke die sich dem Kampf gegen den Anti­se­mi­tis­mus wid­men. Dabei geht er offen­siv gegen Hetze vor, wie die Schrift »Wider Hein­rich von Treit­schke« von 1880 unter Beweis stellt. Von Treit­schke sollte spä­ter mit dem Satz »Die Juden sind unser Unglück« ein maß­geb­li­ches Motiv für das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Hetz­blatt »Der Stür­mer« liefern.

Julius Wal­de­mar Grosse (1828–1902), in Erfurt gebo­ren und in Mün­chen berühmt gewor­den, war dort Mit­glied des Dich­ter­krei­ses die »Kro­ko­dile«, zu dem auch Ema­nuel Gei­bel (1815–1884) und der spä­tere Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger Paul Heyse (1830–1914) gehör­ten. Seine unge­meine Pro­duk­ti­vi­tät ging zuwei­len auf Kos­ten der Qua­li­tät. So berich­tet »Mey­ers Kon­ver­sa­ti­ons­le­xi­kon« über seine Motiv­su­che, dass der »Dich­ter Stoffe in sich auf­nimmt, zu denen ihm das nähere Ver­hält­nis fehlt, und die er daher nur äußer­lich zu behan­deln ver­mag«. Dass er den­noch einer der meist­ge­le­se­nen Poe­ten sei­ner Zeit war hat sicher sei­nen Grund in der »lebendige[n] Phan­ta­sie, farbige[n] Schil­de­rung und sprachliche[n] Gewandt­heit«, wie wie­derum das »Meyer« fest­hält«. An seine Erfur­ter Kind­heit denkt in »Ursa­chen und Wir­kun­gen« von 1896 zurück: » Mär­chen­haft war gleich nebenan der stets ver­schlos­sene Gar­ten … mär­chen­haft das graue Klos­ter auf dem Anger, wohin ich mit der Magd ging, um von den Non­nen grüne Erb­sen und Boh­nen zu holen«. Sein Wohn­haus in der heu­ti­gen Bahn­hof­straße 3, weißt mit einem Schild auf den nahezu ver­ges­se­nen Dich­ter hin.

Als bedeu­ten­der Sprach­wis­sen­schaft­ler konnte sich Hein­rich Hüb­sch­mann (1848–1908) eta­blie­ren. Ihm gelang der Nach­weis einer eigen­stän­di­gen armen­mi­schen Spra­che, wor­aus sich die wis­sen­schaft­li­che Ara­menis­tik ent­wi­ckelte. Das evan­ge­li­sche Rats­gym­na­sium Erfurt emp­fand Arthur Moel­ler van den Bruck (1876–1925) als sehr muf­fig. Nach­dem er die­sen Muff ein 1894/95 ein Jahr ertra­gen konnte, zog es ihn wei­ter nach Ber­lin und Paris, wo er ein maß­geb­li­cher Ver­fech­ter einer kon­ser­va­ti­ven Kul­tur­wis­sen­schaft wurde. Mit sei­nem Kom­pen­dium »Moderne Lite­ra­tur in Grup­pen- und Ein­zel­dar­stel­lun­gen« machte er um die Jahr­hun­dert­wende auf eine neue Genera­tion jun­ger deut­scher Lite­ra­tur auf­merk­sam. Heute wird van den Bruck vor allem im Zusam­men­hang mit sei­nem Werk »Das Dritte Reich« von 1923 genannt. In der Tat wurde das Buch von den Natio­nal­so­zia­lis­ten ver­ein­nahmt, ent­hielt jedoch kei­ner­lei ras­sis­ti­sche oder anti­se­mi­ti­sche Hal­tun­gen. Gegen­über Adolf Hit­ler zeigte sich van den Bruck dann auch sehr reser­viert: Hit­ler ist an sei­ner pro­le­ta­ri­schen Pri­mi­ti­vi­tät geschei­tert. Er ver­stand nicht, sei­nen Natio­nal­so­zia­lis­mus geis­tig zu unter­bauen. Er war ver­kör­perte Lei­den­schaft, aber ganz ohne Abstand und Augenmaß. 

Mehr Durch­hal­te­ver­mö­gen am Rats­gym­na­sium bewies Kurt Pin­thus (1886–1975), der hier von 1896–1905 sein Abitur erwarb. Als Lek­tor für den Kurt-Wolff-Ver­lag in Leip­zig sollte er Kon­takte zu den zen­tra­len Dich­tern des Expres­sio­nis­mus knöp­fen. Ergeb­nis war die bis heute prä­gende Antho­lo­gie die­ser Stil­rich­tung: Die »Mensch­heits­däm­me­rung. Sym­pho­nie jüngs­ter Dich­tung«, mit der er 1920 ein Stück Lite­ra­tur­ge­schichte schrieb. Keine andere Samm­lung des Expres­sio­nis­mus wurde annä­hernd so stark rezipiert.

 Erfurt:

  1. Erfurt im Mittelalter - Klöster als Zentren des literarischen Lebens
  2. Das Erfurter Mittelalter II
  3. Theater im Mittelalter
  4. Die Anfänge der Erfurter Universität
  5. Erfurt als ein Zentrum des Humanismus (1460-1570)
  6. Der Reformator
  7. Die Stadt bis zum Verlust der Unabhängigkeit (1571-1664)
  8. Unter Mainzer Statthalterschaft bis Dalberg (1665-1772)
  9. Karl Theodor von Dalberg – Der letzte Statthalter
  10. Erfurt unter Dalberg und der Kreis im Haus Dacheröden (1772-1802)
  11. Die Franzosen in der Stadt – Fürstenkongress, Napoleon und Goethe (1806-1814)
  12. Erfurt und die Preußen im 19. Jahrhundert
  13. Erfurt von 1900 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
  14. Von der Landeshauptstadt zur Bezirksstadt zur Landeshauptstadt – Erfurt bis zur Gegenwart
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