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Thüringen im literarischen Spiegel
Joachim Ringelnatz
Mein Leben bis zum Kriege, Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 6, Zürich 1994.
Mit Eichhörnchen traf ich mich in Northeim. Wir genossen freiheitsgoldene Ausflüge und sahen in Hannoversch-Münden Hauptmanns »Fuhrmann Henschel«, von einer Wandertruppe hervorragend gespielt.
Wo Werra sich und Fulda küssen, da gab es einen guten Klang.
Dann fuhr ich nach Eisenach, lernte Timmis tapfere Mutter kennen und hörte sie auch einmal eine Skizze von mir in einem Pensionat vorlesen.
Ich besuchte Frau Dora Kurs. Die leitete ein Pensionat, darin sie junge Mädchen zu Sprachlehrerinnen ausbildete. In gewissen Fächern unterstützte sie ein Professor Schill, der mehrmals in der Woche aus der Salzmannschen Erziehungsanstalt Schnepfenthal herüberkam und mitunter zwei hübsche Töchter mitbrachte.
Das Haus in der Burgstraße, eine kleine Villa, stand auf schrägem Gelände am Fuße der Wartburg. Frau Dora Kurs war eine erfahrene, lebenslustige Dame. Sie besaß organisatorisches Talent, zähe Energie und eine verblüffende Überredungskraft, war etwa von dem Typus der Kathi Kobus. Ihre Weltanschauung war eine freiere, als man sie sonst bei Vorsteherinnen findet. Dadurch hatten die Schülerinnen, die jedes Jahr wechselten, ein ungezwungeneres, modernes Leben. Frau Kurs verlangte dafür – unausgesprochen –, dass die Mädchen alles Erleben mit ihr teilten. Sie wollte sogar über Familienverhältnisse und am liebsten auch über Liebesgeschichten orientiert sein. Da sie das allzu indiskret betrieb, behielten die Schülerinnen doch ihre letzten Geheimnisse für sich.
Mich hatte Frau Kurs einmal als Gast im »Simpl« in München ins Herz geschlossen. Daraus hatte sich ein Briefwechsel ergeben, und nun war ich bei ihr zu Gast. Sie hatte künstlerischen Stil, künstlerischen Schwung, künstlerische Begeisterung und künstlerischen Unternehmungsgeist. Ganz langsam erst merkte ich, dass alles ein literarisches Gebaren von Einbildung, ein unnatürlicher Selbstbetrug, ein Bluff war.
Die Herzen der Mädchen gewann ich im Husarensturm, einfach, weil ich ein Mann, der einzige Mann im Hause, zudem übermütig lustig war und mit meinen Tollheiten die Traditionen und Schranken, die es selbstverständlich auch dort gab, frech durchbrach. Als ich einmal dem Literaturunterricht beiwohnte, warf ich die Frage auf, ob den Damen das ernste schöne Gedicht von Goethe bekannt wäre, worin das Wort Rinderbrust vorkäme.
Füllest wieder Busch und Tal …
…
Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,
Was von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Laby
Rinderbrust
Wandelt in der Nacht.
Damit rief ich Gelächter der Schülerinnen und Empörung der Lehrerin hervor.
Als Frau Kurs einmal verreist war, bestellte ich die ganze Mädchenbande in mein Stammlokal »Zum Rodensteiner«. Ich setzte ihnen Wein vor, und sie sangen zur Gitarre und gaben sich so anspruchslos froh, wie es Eisenacher Pensionskindern verboten war.
Aber Frau Kurs war eine versöhnliche Natur und wirklich großzügig. Da ich zudem für einen Novellenband »Ein jeder lebt’s« von Albert Langen einige hundert Mark Vorschuss erhalten hatte, so jubilierten wir alle. Dort und auf Spaziergängen zur Wartburg und in die weitere Umgebung. Frau Kurs war, soweit sie konnte, sehr gastfrei zu mir. Pekuniär hatte sie selber schwer zu kämpfen.
Ich muss übrigens die Bemerkung über mein Husarenglück bei den Schülerinnen doch einschränken. Da war z.B. ein Mädchen, das mich am meisten interessierte: Daisy, ein schönes, apartes Rehfigürchen mit anscheinend lesbischen Veranlagungen. Die aber mochte mich gar nicht leiden.
Doch mit einem anderen Mädchen kam ich nett zusammen. Sie war sehr kurzsichtig und trug ein schwarzes Sammetkleid. Deshalb taufte ich sie Maulwurf. Wenn sie mir Beethoven vorspielte, musste sie sich tief über die Tasten beugen. Wir verabredeten uns heimlich, gestanden einander im Thüringer Wald unsere Zuneigung und erzählten unsere Schicksale. Maulwurf war die einzige Tochter einer Bäuerin, die einen Lokomotivführer zum Manne hatte, ein Häuschen in Ludwigshafen am Rhein und ein kleines erspartes Vermögen besaß. Die Mutter sollte streng, schlau und praktisch, der Vater lieb und lustig sein.
Maulwurf und ich trieben Geheimnisse und verliebten Ulk. Sie stickte ein Band für meine Mandoline, ein blaues Band mit einem Maulwurf darauf. Am 15. Mai 1913 vormittags verlobten wir uns am Fuße der Wartburg. Ich wollte nach Ludwigshafen fahren, um bei den Eltern um ihre Hand anzuhalten. Das war etwas ganz Neues und schon deshalb Lockendes für mich. Wir meinten, Frau Kurs würde sich sehr über unser Bündnis freuen und wollten sie und die Mädchen mittags bei Tisch damit überraschen, dass wir auf ein Stichwort hin uns plötzlich per »Du« anredeten. Als das nun geschah und wir uns danach als verlobt vorstellten, geriet Frau Kurs zunächst außer sich vor Empörung. Sie nahm es sehr übel, dass wir ohne ihr Wissen und Zutun einander gefunden hatten. Es gab keine größere Freude für sie, als zwei Menschen zusammenzubringen, aber es musste durch ihre Vermittlung geschehen. Dennoch war Frau Kurs bald wieder versöhnt und unterstützte nun sogar eifrig und teilnahmsvoll unser Vorhaben. Maulwurf schrieb einen Geständnisbrief an die Eltern, und ich reiste einen Tag hinter dem Brief nach Ludwigshafen mit den rosigen Gefühlen eines Brautwerbers, außerdem mit unternehmungslustiger Neugier.
Ich stellte mich dem Lokomotivführer und seiner Frau vor und hielt um Maulwurfs Hand an. Ich sagte, dass ich keinerlei Geld besäße, noch zu erben oder zu erwarten hätte; dass ich nicht einmal versprechen könnte, in absehbarer Zeit Geld zu verdienen, dass ich aber die Tochter liebte. Die Antwort war zwischen den Eltern schon vor meiner Ankunft ausgewogen und ausgestritten. Nein! Das ginge unter solchen Umständen leider nicht.
Ich nahm Abschied von der sachlichen Bäuerin. Der Vater gab mir das Geleit. Wir kehrten in einem Wirtshaus ein, tranken neuen Pfälzer Wein und redeten über Lokomotiven, Kesselexplosionen usw. Dann sprachen wir wieder von Maulwürfchen, und der Vater bedauerte außerordentlich, dass er mir einen Korb geben müsste. Wir schüttelten einander immer wieder die Hände, tranken weiter neuen Pfälzer Wein und weinten zuletzt beide in einer simplen Harmonie und in Liebe zu Maulwürfchen. Vom Zug aus winkte ich dann dem braven, schlichten Manne noch lange zu.
War nun auch zwischen Maulwurf und mir keine Verlobung zustande gekommen, so blieben uns doch Erinnerungen an ein trauliches Verliebtsein und eine Photographie, die uns beide zeigt, wie wir hoch zu Esel zur Wartburg emporreiten. Außerdem wurden wir fürs ganze Leben Freunde.
Ich lernte den Burgkommandanten der Wartburg kennen, einen Herrn von Cranach, ferner einen Arzt in Eisenach, Dr. Höpfner. Der war Psychotherapeut in einer berühmten Heilanstalt. Aber mir schien, als befasse er sich lieber mit Kunst und Literatur. In einer burschikosen, schwärmenden Freundschaft saßen wir manche Stunde beisammen, aßen Herobohnen und tranken Doornkaat dazu. Mit künstlerischen Gesprächen. Dazwischen lud ich wieder einmal Maulwurf oder Frau Kurs oder andere Mädchen in die »Süße Ecke« ein oder in andere Konditoreien, bis mein Honorar für »Ein jeder lebt’s« dahin war. Auch nach Waltershausen war ich gekommen und hatte den Thüringer Wanderdichter Trinius besucht. Der kannte meinen Vater, besaß ein blondes Teufelchen von Tochter und einen tauben Wachhund.
Nun kam eine Verabredung zustande, dass ich einige Monate lang auf der Burg Lauenstein bei freier Station verbringen durfte, dafür die Bibliothek des Burgherrn Dr. Meßmer ordnen und den Fremdenführer Höde gelegentlich bei Rundführungen unterstützen sollte. Es war wohl mehr auf diese Führungen abgesehen, denn in der Bibliothek fand ich höchstens fünf Bücher vor. Ehe ich von Eisenach abreiste, hatte ich noch die Flinte von Schönaich-Carolath versetzt.
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