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Thüringen im Nationalsozialismus
Peter Braun und Martin Straub
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Doch bevor Christa Wolf durch die Lektüre marxistischer Schriften zum Sozialismus fand, übte eine Zeitlang der christliche Glaube eine gewisse Anziehung auf sie aus. Schließlich liegen hier die humanistischen Werte Europas begründet. In ihrem späten Buch Stadt der Engel, ihrem großen Rückblick auf ein Leben und ein Jahrhundert, schreibt Christa Wolf darüber:
Ihr hattet in der Kleinstadt, in die es dich nach euer Flucht aus dem Osten verschlagen hatte, einen tüchtigen Pfarrer, der war klug und anziehend für euch Oberschüler, er lud euch ein, euch unter seiner Anleitung auf neue Art und Weise dem christlichen Glauben zu nähern: einer Kampfreligion. Stark griff er in die Tasten: So müsse man »Eine feste Burg ist unser Gott“ spielen und singen, so habe Luther es gemeint, in fröhlichem Streit das Leben als Christenmensch bestehen. Eine Zeitlang gingst du sonntags in die Kirche, saßest auf der Empore und hörtest ihn predigen, fröhlich und streitbar und klug, warum eigentlich nicht, dachtest du. Aber dann, nach einigen Monaten, mußtest du doch zu ihm gehen und ihm sagen, daß du nicht mehr kommen würdest, zu vieles an seiner Religion könntest du nicht glauben, weder die unbefleckte Empfängnis, noch die Auferstehung von den Toten, noch das Weiterleben nach dem Tod. Schade, sagte er. Aber du solltest Geduld mit dir haben, auch er habe spät zu seinem Glauben gefunden, auch du könntest noch nicht wissen, was Gott mit dir vorhabe.
Wir haben in der evangelischen Pfarrei von Bad Frankenhausen nachgefragt und erhielten zunächst folgende schriftliche Antwort von der Pfarrerin Magdalena Seifert:
Zu welchem Pfarrer Christa Wolf in ihren Bad Frankenhäuser Jahren Zugang gefunden hatte, kann noch nicht sicher beantwortet werden. Es gab zu dieser Zeit hier in der Kirchgemeinde einen Pfarrer Grawley und Superintendent Dr. Deter. Beide haben Konfirmationsunterricht gegeben und somit mit Jugendlichen zu tun gehabt. Im Kirchgemeinderat […] konnten wir noch nicht zu einer Antwort kommen. Wir sind dabei, noch Zeitzeugen zu befragen.
Einige Zeit später erhielten wir einen zweiten Brief von Pfarrerin Magdalena Seifert. Darin schrieb sie:
Nach Auskunft der Zeitzeugen hatte Pfarrer Grawley einen herzlichen und engagierten Kontakt zur Kirchgemeinde gehabt. So daß er am ehesten derjenige ist, der das Gespräch mit den jungen Leuten gesucht haben dürfte.
Für Gerhard Wolf indes wirkte die evangelische Kirche zu keiner Zeit anziehend. Er hat erlebt, wie angepasst die Kirche in den Jahren des Nationalsozialismus war. In unserem Gespräch erinnert er sich an die aufwändig gefeierten Geburtstage von Luther. Der Pastor, sagt Gerhard Wolf, habe unter seinem Talar den Dolch der SA getragen. Er habe es deutlich gesehen. Und zum Konfirmationsunterricht äußert er sich lapidar: »Der war fürchterlich.«
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