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Thüringen im Nationalsozialismus
Peter Braun und Martin Straub
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Im Jahr 1947 erhielt Otto Ihlenfeld die Stelle des kaufmännischen Leiters des »Hermann-Hedrich-Heims«, eines Kindersanatoriums, das in späteren Jahren der DDR in »Helmut Just-Sanatorium« umbenannt wurde. Der neoklassizistische Bau aus der Weimarer Republik liegt etwas oberhalb der Stadt; die heiße Sole wurde dorthin gepumpt. Zu dem Sanatorium gehörte auch eine kleine Villa mit der Adresse Thomas Münzer Str. 9. Hier wohnte die Familie und hier hatte Christa Ihlenfeld ein eigenes Zimmer im Souterrain mit Blick auf den schiefen Kirchturm von Bad Frankenhausen, dem Wahrzeichen der Stadt.
Eine Zeitlang schien ihre die christliche Religion diesen Halt zu versprechen; schließlich jedoch überzeugten sie die Schriften des Marxismus, mit denen sie, vermittelt über einen Lehrer, in dieser Zeit in Berührung kam.
In dem Essay Zu einem Datum aus dem Jahr 1971 bringt Christa Wolf die Erfahrungen sehr pointiert zum Ausdruck und bezieht dabei ihren Lebensort und ihr Zimmer mit ein. Sie schildert jenen Tag, als sie ihre erste marxistische Schrift las. Sie wurde ihr von ihrem Mathematik- und Physiklehrer Dieter Dewald vermittelt, der bei ihrem Eintritt in die SED für sie bürgte und dessen Fürsprache Christa Wolf auch ihren Studienplatz in Jena verdankte.
Es war ein schöner Herbsttag, pfundweis aß ich die kleinen säuerlichen Äpfel, die meine Großmutter mir ins Fenster reichte, nachts notierte ich mir – falsch, wie man sehen wird – den Titel der Schrift in mein Tagebuch: Feuerbach und die ausgehende klassische Philosophie. […] Ich will versuchen, genau zu sein. Ich lief damals hinaus. Es war eine kühle Nacht, herbstlich, mit dünner, klarer Luft. Wir wohnten an einem Berg. Die Sterne oben und die Stadtlichter unten schienen wie immer einander zu spiegeln. Ich ging die Thomas-Müntzer-Straße hinauf, bis zur Blutrinne, einer Mulde, in der nach jenem Gemetzel vom 15. Mai 1525 das Blut der aufständischen Bauern zu geflossen sein soll. Die Schönheit der Nacht war mir zuwider. Die gleichmäßige Mondsichel, diese raffinierte Täuschung, stieß mich ab. Der schiefe Kirchturm, das romantische Wahrzeichen der Stadt, hätte seine Beharrlichkeit aufgeben und endlich einstürzen sollen. Alles hätte auf uns Bezug nehmen sollen, auf uns, deren Gleichgültigkeit nun ein Ende hatte.
Das ist nicht ohne Pathos geschrieben und folgt dem Muster einer Konversionserzählung. Dennoch ist interessant, wie Christa Wolf im Rückblick die Stadt Bad Frankenhausen, symbolisiert in dem schiefen Kirchturm, als romantisch beschreibt. Freilich tragen dazu auch die Motive der Nacht, des Sternenhimmels und des Mondes bei – allesamt Insignien des Romantischen. Ausdrücklich bricht sie nun mit allem Romantischen, zum dem eben auch die »Nachtseite der Vernunft« gehört, die sich bis in den Nationalsozialismus erstreckt hat.
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