H. W. Katz in Gera
6 : Als Schriftsteller im Exil

Person

H. W. Katz

Ort

Gera

Themen

Weimarer Republik

Thüringen im Nationalsozialismus

Autor

Annerose Kirchner

Thüringer Literaturrat e.V.

In einer kal­ten Dach­kam­mer begann er im Februar 1934 sei­nen Roman »Die Fisch­manns« zu schreiben.

Ich schrieb, auf deutsch, einen deut­schen Roman, und Deutsch­land war für mich ver­schlos­sen. Ich hatte – frü­her ein­mal – Kurz­ge­schich­ten und Repor­ta­gen für Zei­tuan­gen geschrie­ben, aber nie ein Buch. […] Warum schrieb ich eigent­lich? Und für wen? Diese Fra­gen stellte ich mir nie. Ich schrieb.

H. W. Katz erzählt in »Die Fisch­manns« die Geschichte einer ost­jü­di­schen Fami­lie aus Strody am Fluss Stryj. Auf der Flucht vor Pogro­men, Ver­fol­gung und den Aus­wir­kun­gen des begon­ne­nen Ers­ten Welt­krie­ges gelan­gen sie bis nach Deutsch­land, in eine kleine säch­si­sche Stadt, für die teil­weise Gera als Vor­bild fun­gie­ren könnte. Der Ich-Erzäh­ler Jakob berich­tet vom jüdi­schen Schank­wirt Leib Fisch­mann und sei­ner Frau Malke, vom Sohn Jos­sel mit Ehe Frau Lea. Das Schick­sal dreier Genera­tio­nen, ihr geleb­tes Ost­ju­den­tum, ihre Erfah­run­gen mit dem Anti­se­mi­tis­mus, der nicht nur Osten statt­fin­det und die Sehn­sucht nach einem ruhi­gen, siche­ren Leben ver­bin­den sich ein­drucks­volle Weise mit gelun­ge­nen plas­ti­schen Beschrei­bun­gen der gali­zi­schen Land­schaft. In Deutsch­land ange­kom­men, fin­den sie eine Woh­nung in enem Miets­haus, in dem nur Deut­sche leben. Die­ses Haus durch den Kon­trast und die Kon­flikte sei­ner Bewoh­ner wird zum prä­zi­sen Spie­gel­bild der Gesell­schaft in der Wei­ma­rer Republik.

Der Schrift­stel­ler Bruno Frank lobte die­sen Fami­li­en­ro­man als »ein auf­re­gen­des und unver­gess­li­ches Doku­ment. Jede kleine Ein­zel­heit hat den Wert eines ewi­gen Sym­bols, jede der han­deln­den Figu­ren ist ein­zig­ar­tig und unverwechselbar«.

H. W. Katz betei­ligte sich 1937 mit dem noch unver­öf­fent­lich­ten Manu­skript an einem lite­ra­ri­schen Preis­aus­schrei­ben des »Schutz­ver­ban­des Deut­scher Schrift­stel­ler im Exil«. Unter 80 ein­ge­sand­ten Tex­ten wählte die Pari­ser Jury, der auch Anna Seg­hers ange­hörte, »Die Fisch­manns« zur Aus­zeich­nung mit dem Hein­rich-Heine-Preis aus. 1938 erschien der Roman im bedeu­ten­den Exil­ver­lag Allert de Lange in Ams­ter­dam. »Die Fisch­manns« erhiel­ten posi­tive Kri­tik und der Debü­t­au­tor wurde von Lion Feucht­wan­ger zum Wei­ter­schrei­ben ermun­tert. Es folg­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen der »Fisch­manns« bei Viking Press in New York, außer­dem Über­set­zun­gen in Polen und England.

Wäh­rend der Exil­jahre 1933 bis 1937 schrieb H. W. Katz eben­falls die Fort­set­zung der »Fisch­manns«: »Schloß­gasse 21. In einer klei­nen deut­schen Stadt«. Zeit­ge­schicht­lich ange­sie­delt ist die­ser Roman zwi­schen Kai­ser­reich und Beginn der Nazi­zeit. Beschrie­ben wird der All­tag der Fami­lie mit­ten unter den Deut­schen. Der Vater muss als öster­rei­chi­scher Sol­dat in den Krieg. Die Mut­ter hat mit ihren bei­den Söh­nen die Flucht bis nach Deutsch­land geschafft.

Die Fisch­manns sind keine ›assi­mi­lier­ten‹ Juden, son­dern neu Zuge­wan­derte aus dem euroäi­schen Osten. Sie gehö­ren also nicht nur zu einer Min­der­heit, son­dern zu einer Min­der­heit in ihr, äußerte Hans Schwab-Felisch in sei­ner Rezen­sion in der »Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung vom 6. 5. 1987.

»Schloß­gasse 21« konnte 1940 nur in eng­li­scher Spra­che bei Viking Press in New York erschei­nen. Eben­falls gab es eine Aus­gabe in Blin­den­schrift. Die Exil­ver­lage in Ams­ter­dam exis­tier­ten nicht mehr. Erst 1986 wurde die deut­sche Aus­gabe im Fischer Taschen­buch Ver­lag Frank­furt am Main, in der wich­ti­gen Reihe »Ver­bo­ten und verbrannt/Exil« ver­öf­fent­licht. Ein Jahr zuvor waren »Die Fisch­manns« im glei­chen Ver­lag und in der­sel­ben Reihe erschie­nen. Eine Taschen­buch­aus­gabe von »Schloß­gasse 21« erschien 2000 im List Taschen­buch Ver­lag München.

 H. W. Katz in Gera:

  1. Eine ostjüdische Familie in Thüringen – Ankunft in Gera 1914
  2. Kindheit und Jugend, Schule und Bildung
  3. Hinwendung zur sozialistischen Arbeiterjugend
  4. Journalist und Redaktionsmitglied der »Welt am Montag« in Berlin
  5. Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin und Flucht vor den Nazis nach Frankreich
  6. Als Schriftsteller im Exil
  7. Das Schicksal der Familie Katz
  8. Gera 1991 – ein Besuch nach 58 Jahren
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