Erfurt
14 : Von der Landeshauptstadt zur Bezirksstadt zur Landeshauptstadt – Erfurt bis zur Gegenwart

Personen

Reinhard Lettau

Harald Gerlach

Christoph Meckel

Jürgen Becker

Walther Max Haage

Günter Kaltofen

Hildegard Jahn-Reinke

Ort

Erfurt

Thema

Ortsporträts

Autor

Patrick Siebert

Detlef Ignasiak, Das literarische Thüringen, Bucha 2015 / Thüringer Literaturrat e.V.

Nach dem Ende des Zwei­tes Welt­krie­ges, der die Stadt zwar nicht so hart traf wie andere deut­sche Groß­städte, den­noch 1600 Opfer durch Luft­an­griffe for­derte, wurde Erfurt Teil der sowje­ti­schen Besat­zungs­zone. Die preu­ßi­sche Regie­rung stellte ihre Arbeit am 01. Juli 1945 ein. 1948 erhielt die Stadt ihren Sta­tus als Lan­des­haupt­stadt Thü­rin­gens, der 1952 mit der Auf­lö­sung des Lan­des zuguns­ten der Bil­dung von Bezir­ken auf­ge­ho­ben wurde. Die Stadt war nun Haupt­stadt des gleich­na­mi­gen Bezir­kes. Eine lange Tra­di­tion weit über die­sen Zei­ten­wan­del hin­aus konn­ten die Gärt­ne­reien der Fami­lie Haage auf­wei­sen, die bereits sein 1685 in Erfurt betrie­ben wur­den. Wal­ter Haage (1899–1992) konnte sich neben der prak­ti­schen Arbeit auch als Fach­schrift­stel­ler eta­blie­ren. Seine Werke über Kak­teen sind bis heute popu­lär. Einen beson­de­ren Stel­len­wert nimmt dabei »Kak­teen von A‑Z« ein, das so etwas wie das Stan­dard­werk der Kak­te­en­zucht ist. Die ein­fluss­rei­che Ori­en­ta­lis­tin und Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­le­rin Anne­ma­rie Schim­mel (1922–2003) wurde in Erfurt gebo­ren. In ihren mehr als 100 ver­öf­fent­lich­ten Büchern warb sie für ein bes­se­res Ver­ständ­nis des Islam und ein fried­li­ches Neben­ein­an­der von Mus­li­men und Nicht­mus­li­men. Ihre Auf­ent­halte in Lahore/Pakistan, das sie als ihre »zweite Hei­mat« bezeich­nete, ver­tief­ten ein Bild des Islam, das sich von tages­po­li­ti­schen Ereig­nis­sen ent­fernt hatte. Einen hef­ti­gen Dis­put löste die Ver­lei­hung des »Frie­dens­prei­ses des deut­schen Buch­han­dels« an Schim­mel 1995 aus. Ihr wur­den ein schwär­me­risch-roman­ti­sie­ren­des Islam­bild und feh­len­des poli­ti­sches Enga­ge­ment vor­ge­wor­fen. Doch ihre Wir­kung als Dol­met­sche­rin der ver­schie­de­nen Kul­tur­kreise bleibt unbe­strit­ten. Auch der Dreh­buch­au­tor Gün­ter Kalt­ofen (1927–1977) wurde in Erfurt gebo­ren. Seine mehr als 20 Film- und Fern­seh­dreh­bü­cher im Auf­trag der DEFA mach­ten sei­nen Namen Lan­des­weit bekannt. Beson­de­rer Beliebt­heit erfreuen sich dabei bis heute die Mär­chen­ad­ap­tio­nen. Sein Essay »Das Bild, das deine Spra­che spricht« von 1962 ist ein wich­ti­ger Bei­trag auf dem Feld der Fernsehdramatik.

Hil­de­gard Jahn Reinke (1906–1995) kam 1940 durch die Arbeit ihres Man­nes nach Erfurt, wo sie als Sach­be­ar­bei­te­rin wirkte. Sie fand in den 60er-Jah­ren Anschluss an einen christ­lich-lite­ra­ri­schen Kreis, wo ihr die För­de­rung durch Inge Frei­frau von Wan­gen­heim (1912–1993) eine pro­duk­tive lyri­sche Arbeit ermög­lichte. Rein­kes Gedichte, wie in den Bän­den »Spur im Licht« von 1983 oder »Licht­zei­chen« aus dem Jahre 1987 zeich­nen sich durch eine zeit­lose Wort­wahl und ein­gän­gige For­mu­lie­run­gen aus, die sich außer­halb lite­ra­ri­scher Moden bewegen.

Wer sich mit der Geschichte Erfurts aus­ein­an­der­setzt kommt an Erich Klein­ei­dam (1905–2005) nicht vor­bei. Nach­dem er kurz­zei­tig die DDR ver­las­sen musste, kehrte er im Juli 1952 zurück und wurde in Erfurt Grün­dungs­rek­tor des »Phi­lo­so­phisch-Theo­lo­gi­schen Stu­di­ums«, wo er bis 1970 Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie blieb. Sein Haupt­werk »Uni­ver­si­tas Stu­dii Erffor­den­sis – Über­blick über die Geschichte der Uni­ver­si­tät Erfurt«, in 4 Bän­den erschie­nen, ist in sei­ner kennt­nis- und mate­ri­al­rei­chen Gestal­tung das zen­trale Nach­schla­ge­werk für sämt­li­che his­to­ri­schen Beschäf­ti­gun­gen mit der Erfur­ter Alma Mater. Klein­ei­dam wurde 2005, zu sei­nem 100. Geburts­tag, durch den Vor­sit­zen­den der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, Karl Kar­di­nal Leh­mann, als »Gestalt der Hoff­nung« geehrt.

Ein wich­ti­ger Ver­fech­ter der Idee einer Uni­ver­si­tät in Erfurt war Horst Rudolf Abe (1927–2006). Nach einem Stu­dium in Jena mit Pro­mo­tion zum Erfur­ter Huma­nis­mus war er Mit­ar­bei­ter und ab 1977 Pro­fes­sor an der medi­zi­ni­schen Aka­de­mie. Er wirkte bei der Errich­tung einer Huma­nis­ten­ge­denk­stätte genauso mit, wie beim Auf­bau der Abtei­lung für Geschichte der Medi­zin an der Aka­de­mie, deren Lei­tung er auch über­nahm. Seine zen­tra­len The­men waren neben dem Huma­nis­mus und der Medi­zin­ge­schichte im All­ge­mei­nen, vor allem die aka­de­mi­sche Geschichte Erfurts und hier im spe­zi­el­len die medi­zi­ni­sche Fakultät.

Der in Erfurt gebo­rene Autor Rein­hard Lettau (1929–1996) gehört zu einer Reihe von Autoren, die über­wie­gend in West­deutsch­land schrie­ben, aber von ihrer Kind­heit in Erfurt tief geprägt wur­den. Nach­dem Lettau die Stadt auf­grund der Ver­fol­gung sei­nes Vaters durch radi­kale kom­mu­nis­ti­sche Kreise 1947 ver­las­sen musste, prägte er als Mit­glied der »Gruppe 47« die lite­ra­ri­sche Land­schaft der jun­gen Bun­des­re­pu­blik mit. Mit flam­men­den Reden gegen die Sprin­ger Presse wurde er zu einer Ikone der 68er Bewe­gung, aller­dings auch aus der BRD aus­ge­wie­sen. Seine ers­ten Werke zeich­nen sich durch die Beschrei­bung kur­zer, meist all­täg­li­cher Sze­nen aus. In »Gruppe 47 – Bericht, Kri­tik, Pole­mik« von 1967 setzte er sich kri­tisch mit den Sit­zun­gen der Lite­ra­ten­gruppe aus­ein­an­der. In sei­nem Essay »Täg­li­cher Faschis­mus« von 1971 ana­ly­siert er faschis­ti­sche Ten­den­zen in sei­ner Wahl­hei­mat USA. Dabei legt er den Fin­ger auch in Wun­den, wie Mani­pu­la­tion der Presse und Ras­sis­mus. The­men sie zu die­ser Zeit noch tief in Bewusst­sein der US-Bevöl­ke­rung saßen. In »Zur Frage von Him­mels­rich­tun­gen« setzt sich Lettau 1988 mit der Situa­tion der Men­schen in Erfurt aus­ein­an­der, die, egal in wel­che Rich­tung sie schauen, immer in den Osten bli­cken. Noch mehr­fach besuchte er 1980 und in den Jah­ren 1990–93 Lettau die Stadt sei­ner Kindheit.

Harald Ger­lach (1940–2001) hin­ge­gen kam erst 1962 nach Erfurt, wo er am Thea­ter arbei­tete, seit 1970 als Dra­ma­turg. In sei­nem viel­fäl­ti­gen Werk spie­geln sich seine Erfah­run­gen dort wie­der, so ist sein Roman »Geh­ver­su­che« aus dem Jahr 1985 eine direkte Aus­ein­an­der­set­zung mit den Erleb­nis­sen an den städ­ti­schen Büh­nen. Der Lyrik­band »Mau­er­stü­cke« ver­bin­det Erfur­ter Loka­li­tä­ten, sowie Figu­ren des Mit­tel­al­ters und der Renais­sance mit den poli­ti­schen Gege­ben­hei­ten, wobei die schon im Titel ange­deu­tete Mauer immer wie­der durch­scheint. Als Gast des Kunst­hau­ses Erfurt 1995 lebte Ger­lach bereits im pfäl­zi­schen Lei­men, nicht mehr in sei­ner vor­he­ri­gen Erfur­ter Woh­nung in der heu­ti­gen Hoch­hei­mer Straße 58.

Seit 2009 wird vom Thü­rin­ger Minis­te­rium für Bil­dung, Wis­sen­schaft und Kul­tur auf Anra­ten von Ingo Schulze das Harald Ger­lach Sti­pen­dium ver­ge­ben, zu des­sen Preis­trä­gern Lutz Sei­ler und Daniela Danz gehören.

Auch die Autoren Chris­toph Meckel (*1935) und Jür­gen Becker (*1932) ver­leb­ten wäh­rend des zwei­ten Welt­krie­ges Jahre ihrer Kind­heit in Erfurt, was sich in ihren Wer­ken wie­der­spie­gelt. Sie beide machen auto­bio­gra­fi­sche Daten zu wich­ti­gen Tei­len ihres künst­le­ri­schen Wer­kes. Meckels Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Krieg drehte sich in »Such­bild. Über mei­nen Vater« von 1980 noch pri­mär um die Figur des Vaters und des­sen Genera­tion und ihren Umgang mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus. In »Rus­si­sche Zone. Erin­ne­rung an den Nach­krieg« rückte er 2011 den Wech­sel der Besat­zung der Stadt Erfurt im Juli 1945 in das Zen­trum der Auf­merk­sam­keit. Die ein­mar­schie­ren­den Rus­sen waren für die in der Arn­städ­ter Straße lebende Fami­lie ein Schreck­ge­spenst. Auch Jür­gen Becker ver­ließ mit sei­nem Vater die Stadt, da die­ser Repres­sio­nen durch die rus­si­schen Besat­zer fürch­tete. Im Spät­som­mer 1947 ging es mit dem Fahr­rad zurück ins Ber­gi­sche Land. Als die Fami­lie im August 1939 in der Zep­pe­lin­straße 4, direkt an der heu­ti­gen Löb­er­feld­ka­serne gele­gen, ankam, konnte sich kei­ner vor­stel­len, dass sie hier für die Zeit eines kom­plet­ten Welt­krie­ges ver­blei­ben müsste. In »Aus der Geschichte der Tren­nun­gen« ver­ar­bei­tet Becker nicht nur die Erleb­nisse aus die­ser Zeit, son­dern auch die Ein­drü­cke eines Besu­ches in der Stadt 1990. Die Erfur­ter Kind­heit spielt in sei­nem lyri­schen Werk immer wie­der eine Rolle. Beson­ders greif­bar wird die Suche nach der Umge­bung der Kind­heit in den Bän­den »Gedicht von der wie­der­ver­ei­nig­ten Land­schaft« aus dem Jahr 1988 und »Fox­trott im Erfur­ter Sta­dion« (1993) zieht der Lyri­ker aus tat­säch­li­chen und erin­ner­ten Wahr­neh­mun­gen die Bil­der der Erfur­ter Jahre.

 Erfurt:

  1. Erfurt im Mittelalter - Klöster als Zentren des literarischen Lebens
  2. Das Erfurter Mittelalter II
  3. Theater im Mittelalter
  4. Die Anfänge der Erfurter Universität
  5. Erfurt als ein Zentrum des Humanismus (1460-1570)
  6. Der Reformator
  7. Die Stadt bis zum Verlust der Unabhängigkeit (1571-1664)
  8. Unter Mainzer Statthalterschaft bis Dalberg (1665-1772)
  9. Karl Theodor von Dalberg – Der letzte Statthalter
  10. Erfurt unter Dalberg und der Kreis im Haus Dacheröden (1772-1802)
  11. Die Franzosen in der Stadt – Fürstenkongress, Napoleon und Goethe (1806-1814)
  12. Erfurt und die Preußen im 19. Jahrhundert
  13. Erfurt von 1900 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
  14. Von der Landeshauptstadt zur Bezirksstadt zur Landeshauptstadt – Erfurt bis zur Gegenwart
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