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Von Goethes Tod bis zur Novemberrevolution
Detlev von Liliencron
Ausgewählte Briefe, Bd. 2, Berlin 1910.
Weimar, »Internationale Pension Rosenkranz«, den 7. März 1900
Na, nun wollen Sie gewiß, hochverehrtes Fräulein und unser liebes Fräulein Rehburg, a bißl hören, wies mir hier geht. Es scheint mir der letzte Augenblick zu sein, Ihnen noch schreiben zu können – mir graut vor der Briefwolke, die Sie mir morgen schicken werden – denn: von morgen an versinke ich gänzlich in den »Hof«, d. h., muß etwa erst dreißig bis vierzig Besuche machen, vom jüngsten Kammerherrn an bis zur ältesten Hofdame. Und dann drei bis vier Wochen hintereinander Gesellschaften; dazwischen in der nächsten Woche meine Vorstellung »bei Hofe«. Ich wundere mich selbst über mich, wie »glatt« ich hier jedes »Parkett nehme«, wie ich ebenso plaudere mit »Ihrer Exzellenz« der Frau Oberhofmeisterin (übrigens eine gar scharmante Dame) wie mit dem hiesigen russischen Gesandten usw.
Ich sehe und sah fast alle Hofdamen und »Damen, die zu Hof gehen«, und Exzellenzen und Kammerherrn, und Grafen und Barone, bei meiner himmlischen, ja himmlischen Frau Dr. E. Förster-Nietzsche in ihrer wundervollen Villa, wo ich täglich einige Stunden das Glück habe, verweilen zu dürfen (dieser letzte Satz eben war schon »Hofsprache« in seiner höfischen und höflichen Ausdrucksweise). Was eigentlich diese herrliche Frau Dr. Förster-Nietzsche an mir »gefressen« hat, weiß ich nicht. … Kurz und gut: sie ist ein Engel für mich.
Himmel, was kostet das alles! Sofort mußte ich mir telegraphisch von meinem Schneider Günther einen Frack kommen lassen, weiße Westen, Hosen, neuen Zylinder, Lackstiefel usw. – 200 Mark mindestens. Dann die ungeheuren Trinkgelder an die Lakaien p.p. Merken Sie jetzt endlich mal, mein hochverehrtes Fräulein Holtorf: was der Fluch der Armut heißt? …
Wie wunderlich doch der »Roman« meines Lebens ist: Jetzt mal wieder in den »allerhöchsten Kreisen«. Und daheim sitzt die Baronin, die Mutter meiner Kinder (das Wort »Frau« und »Mann« möcht ich mir ein für allemal aufs höflichste verbitten, weil es mir so lächerlich vorkommt) und ist so arm, daß sie sich nicht ein Dienstmädchen halten kann. Und dazu meine ewige wütende Sehnsucht nach Einsamkeit, nach meinen Kindern. Denn es bleibt das einzige Glück auf diesem ekelhaften »Aufenthalt«, genannt Erde: das Familienglück.
Natürlich sind hier wie überall, und ohne Ausnahme, die Menschen Kanaillen und Bestien, die nur (ohne Ausnahme) darauf ausgehen, sich zu begaunern (dree Mark tachentig!!!), zu belügen und zu betrügen. Geld: die gekrallte Hand, die wir Menschen alle, ohne Ausnahme, dem geehrten »Schicksal« hinhalten. Scheußlich! Alles nur infamste Neugier, Lieblosigkeit, Geldgier, Verkleinerungssucht usw. usw. »bis ins tausendste Glied«. Allmählich aber, ganz gegen Nietzsche, komme ich dahinter, daß wir Menschen gegeneinander nur das größte Mitleiden haben müßten, denn wir können gar nicht anders leben und denken; wir wären sonst sofort »unten«. Also: betrügen, belügen, begaunern, wo wir nur können.
Na, nur nicht blaß werden: eins gibt’s noch: den Humor! Und den Humor vergesse ich auch nicht in den »allerhöchsten Kreisen«. Und was für einen Humor. Davon werde ich Ihnen später zu Hause erzählen. Die englischen und amerikanischen Ladies hier sind alle enorm »korrekt«, »Ladestock« im Nacken. Aber ich habe sie bald bei Tisch zum Lachen gebracht. Es war köstlich! Nur eins können wir gut von ihnen lernen: wie man Messer, Gabel, Löffel und Glas zu führen hat!!! Unglaublich graziös ist’s!
Wann ich nur irgend ein Viertelstündchen Zeit habe, gehe ich im Park spazieren. Herrlich auch im Schnee. Immer sieht man Goethes Gartenhäuschen. Ach, es ist zu drollig: was man alles hier, natürlich besonders in eroticis, von Goethe erzählt! Die wackeren Teutschen, diese ewigen heuchlerischen (!!!) Tugendwächter, würden vor Entsetzen in die Erde sinken. Mündlich mal!
Sie müssen sich nun nicht »die Hofgesellschaft« als lauter Dummköpfe p.p. vorstellen. Im Gegenteil: es ist da viel »Bildung« und »Interesse für Kunst und Wissenschaft«.
Bei der ersten Begegnung natürlich: Phrasen. Aber das ist überall so! Von jeher sind mir die »Hofmenschen« wie lächelnde Schlangen vorgekommen. Und so bin ich auch jetzt eine – lächelnde Schlange. »Furchtbar« klug muß man da sein. Jedes Wort, jeden Satz blitzschnell überlegen, ehe man spricht oder antwortet. Alles ist bei Hofe auf den äußersten »Takt« dressiert. Also so ganz leicht ist’s nicht, sich da durchzuwinden.
Dies wird für längere Zeit der letzte Brief an Sie sein. Denn jede Minute muß eingeteilt werden.…
Ihr Liliencron, zur Zeit lächelnde Schlange
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