Goethes Abglanz – Weimar in der nachklassischen Zeit
10 : Edwin Redslob – »Ein neues Weimar«

Lud­wig von Hof­mann und Ernst Hardt waren mit dem jun­gen Wei­ma­ra­ner Buch­ge­stal­ter und Illus­tra­tor Mar­kus Beh­mer befreun­det. Beh­mer war eine äußerst eigen­ar­tige, von der Kunst Beards­leys her bestimmte Per­sön­lich­keit, und noch als Schü­ler begriff ich den Wert sei­ner Kunst, der in einer von ihm illus­trier­ten und aus­ge­stat­te­ten Aus­gabe von Oskar Wil­des Salome zum Aus­druck gekom­men war. Ich bewahre noch die Pro­be­dru­cke, die er mir »zum Dank für ein trös­ten­des Ver­ständ­nis«, wie die Wid­mung hieß, geschenkt hat. Sein Schaf­fen habe ich spä­ter auch in Ber­lin beglei­tet und als Juror dafür sor­gen kön­nen, daß er einen Kunst­preis für Gra­phik bekam.

Wei­ma­ra­ner gewor­den war der aus Schle­sien stam­mende Alex­an­der Olbricht, der nahe der Bel­ve­de­rer Allee wohnte. Das war eine abson­der­li­che Welt von Haus und Gar­ten, gefüllt mit Rari­tä­ten, die Spiel­zeug waren oder zu sei­ner Spiel­zeug­samm­lung paß­ten. Olbricht hat, ähn­lich wie Beh­mer, reiz­volle orna­men­tale Sche­ren­schnitte gefer­tigt, aber es ist mir nur in einem Fall geglückt, einen Ver­le­ger zu fin­den, der die lie­bens­werte Eigen­art des ver­son­ne­nen Talen­tes die­ses klei­nen, ein wenig ver­wach­se­nen Malers und Gra­phi­kers begriff. Ich konnte ein Werk mit Blu­men­bil­dern her­aus­ge­ben, dem ich ein Motto des Dich­ters aus Olbrichts schle­si­scher Hei­mat, Ange­lus Sile­sius, gab, das zu der Kunst des mit Unrecht ver­kann­ten Meis­ters paßt:

Die Ros’ ist ohn’ Warum, fragt nicht,
ob man sie siehet,
Sie acht’ nicht ihrer selbst, weiß nicht,
für wen sie blühet.

Noch lebte in Wei­mar Max Lie­ber­manns Freund, der Land­schafts­ma­ler Theo­dor Hagen, der auch Leh­rer von Olbricht gewe­sen war. Mit ihm wirkte an der Kunst­schule der beson­ders auch als Gra­phi­ker geschätzte Wal­ter Klemm. Klemm war und ist noch nach sei­nem Tod als Tier­bild­ner bekannt. Die Illus­tra­tio­nen zu Goe­thes Rei­neke Fuchs, die her­aus­zu­ge­ben ich die Freude hatte, bil­den einen Höhe­punkt sei­ner Kunst. An ihm lernte ich begrei­fen, was das Bild­ge­dächt­nis für den Künst­ler bedeu­ten kann. Klemm hatte ein der­ar­ti­ges Gefühl für Bewe­gung und Form, daß er es nicht nötig hatte, den Sprung einer Katze oder den Lauf eines Pfer­des oder was immer für den Tier­ma­ler in Frage kommt, im Augen­blick der Beob­ach­tung fest­zu­hal­ten. Seine Bega­bung ermög­lichte es ihm, Erschau­tes als blei­ben­den Bild­ein­druck im geis­ti­gen Auge zu bewah­ren, und wohl gerade dar­aus erklärt sich die Ein­präg­sam­keit sei­ner Dar­stel­lun­gen. Der aus Karls­bad Stam­mende war zugleich ein begna­de­ter Gei­ger, den spä­ter­hin, in den zwan­zi­ger Jah­ren, gemein­sam mit Paul Klee spie­len zu hören, ein Genuß war. Das ent­sprach so ganz dem, was zum Wesen Wei­mars gehörte.

Natür­lich leb­ten auch einige Dich­ter in Wei­mar. Aber wäh­rend die Maler, sofern sie ver­schie­dene Domä­nen haben, unter­ein­an­der ver­träg­lich sind, pfle­gen die Dich­ter ihren Kol­le­gen gegen­über oft sehr viel mehr ableh­nend zu sein. So stand Wil­den­bruch, der sich hoch über dem Park seine Villa »Ithaka« erbaut hatte und sich als ein preu­ßi­scher Shake­speare fühlte, den von der Sage ver­klär­ten Dich­tun­gen des wenig Schritte von ihm ent­fernt wohnen­den Ernst Hardt – dem Dich­ter des Tan­tris und der Gud­run – völ­lig fremd gegen­über. Wil­helm Scholz, der 1905 sein wohl bekann­tes­tes Drama, den »Juden von Kon­stanz«, in Wei­mar auf die Bühne gebracht hatte, erklärte wie­derum das mys­ti­sche Motiv als den wah­ren Urgrund aller Poe­sie. Bei ihm, der selbst einen aus­ge­präg­ten Sinn für das Anek­do­ti­sche hatte, erlebte ich eine köst­li­che Szene: Ich war gemein­sam mit dem kurz vor­her nach Wei­mar gezo­ge­nen Johan­nes Schlaf – dem bis zur Agres­si­vi­tät den unbe­ding­ten Natu­ra­lis­mus in der Dich­tung ver­tre­ten­den Freund des bekann­te­ren Ber­li­ners Arno Holz – und mit dem aus dem Bal­ti­kum stam­men­den Otto von Taube am Abend in das Prel­l­er­haus in der Bel­ve­de­rer Allee ein­ge­la­den, wo Schol­zens ihre Woh­nung hat­ten. Kurz ehe der erwar­tete Johan­nes Schlaf ein­tref­fen mußte, sagte Scholz, nicht ohne spür­ba­res Ver­gnü­gen über die zu erwar­tende schwie­rige Situa­tion, eben noch habe sich vom Bahn­hof aus Arthur Holit­scher, der Ver­tre­ter des Sym­bo­lis­mus, gemel­det, und er hätte es nicht ver­mei­den kön­nen, auch ihn zu die­sem Abend zu bit­ten, obwohl er und Schlaf lite­ra­ri­sche Geg­ner seien. Und nun kamen die bei­den, die schon auf der Treppe zusam­men­ge­prallt waren, in spür­bar feind­se­li­ger Stim­mung her­ein. Da es ein schö­ner Som­mer­abend war, gin­gen wir erst auf die Log­gia, von der aus man über die Allee hin­über in den Park zu der tem­pel­ar­ti­gen Fas­sade des Römi­schen Hau­ses blickte. Der ita­lie­ni­schen Bau­art des Prel­l­er­hau­ses ent­spre­chend, flan­kier­ten die Balus­trade des Bal­kons zwei große Vasen anti­ki­schen Sti­les, aus denen schwert­ar­tige Aga­ven­blät­ter her­aus­rag­ten. Schlaf, neben Holit­scher ste­hend, fragte mit sei­ner har­ten Stimme: »Ist das Natur?« Holit­scher, ein Blatt befüh­lend, sagte mit der ihm eige­nen Zart­heit: »Nein, Kunst.« »Also Blech«, lau­tete des Natu­ra­lis­ten Ant­wort. Und Scholz, der Anek­do­ten­jä­ger, schlug sich vor Begeis­te­rung auf die Schen­kel und freute sich so sehr, daß die Gereizt­heit sich in eine fröh­li­che Stim­mung wan­delte. Das ist nur ein klei­nes Bei­spiel für den Aus­trag lite­ra­ri­scher Gegen­sätze, wie sie nun ein­mal zu Wei­mar gehörten.

 Goethes Abglanz – Weimar in der nachklassischen Zeit:

  1. Fritz Daum – »Aus der Musenphilisterstadt«
  2. Angela Böcklin – »Böcklin bei Hofe«
  3. Hermann Schlittgen – »Diogenes in der Tonne«
  4. Konrad Guenther – »Gerhard Rohlfs in der Villa Meinheim«
  5. Gabriele Reuter – »Ibsen in Weimar«
  6. Lily Braun – »Zaubernetz und Schatten der Vergangenheit«
  7. Richard Voß – »Schwankende Gestalten«
  8. Detlev von Liliencron: Brief an Alma Holtdorf
  9. Harry Graf Kessler – »Reinkulturen menschlichen Schimmelpilzes«
  10. Edwin Redslob – »Ein neues Weimar«
  11. Rainer Maria Rilke – »Brief an Helene von Nostitz«
  12. Otto von Taube – »Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Weimarer Goethe-Institut«
  13. Hermann Bahr – »Eine neue Menschenart: Die Goethe-Philologen«
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