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Thüringen im literarischen Spiegel
Literarisches Thüringen um 1800
Willibald Alexis
Erinnerungen von Willibald Alexis. Herausgegeben von Max Ewert, Berlin 1897.
Zehn Jahre nach jenem ersten Besuche war ich zum dritten Male in Weimar. Ich kam aus Paris zurück. Viel hatte sich zwischen 1819 und 1829 geändert. Die Zwerge rüttelten am Throne des Giganten; und der Gigant, alt geworden, horchte auf ihr Treiben. Er horchte mehr, als wir annahmen. Seine Tafelrunde zündete Kerzen an und schwenkte Weihkessel und ließ Trompeten, Orgel und Hymnen klingen, um das Nagen und Murmeln, das bald zu einem Sturm werden sollte, zu übertönen. Gewiß ein unrichtiges Verfahren; Goethe nickte auch wohl nur halbwillig zu dieser Liturgie. Aber er sandte denen, die fest an ihm hielten, freundliche Sprüche zu, und denen, die in seinem Dienste laut sprachen, Ehrenmedaillons mit seinem Bildnis.
Auch ich hatte ein solches erhalten, ich meine aber nicht um Akoluthendienst. Denn ich habe nie den Weihkessel geschwenkt, weil es mir unwürdig dünkte der Größe, für die meine Verehrung nie erstorben, und meine Liebe wieder gewachsen war. Weniger um schuldigen Lehndienst, als weil das Heri mich drängte, den Heros noch einmal zu sehen, machte ich den Umweg über Weimar.
Goethe wohnte diesmal in seinem anmutigen Landhause am Park … Wir saßen nicht wie damals auf feierlichen Stühlen einander gegenüber. Er zog mich auf das kleine Kanapee neben sich, und keiner brauchte die Unterhaltung zu machen; sie war von selbst da und ging in anmutigem Flusse fort. Goethe wollte von seinen Pariser Freunden wissen, und was ich ihm mitteilen konnte, war ihm angenehm. Unser gemeinsamer Freund, J. J. Ampere, der Sohn, konnte sich einer Teilnahme des Greises erfreuen, die mir bewies, daß Goethe wärmerer Gefühle fähig sei, als man ihm zugestand. Ganz undiplomatisch ging es freilich auch hier nicht zu. Denn als er mich fragte: »Hat denn unser Freund auch mit Appetit von dem Rentierschinken in Ihrer Lappenhütte gegessen?« so war es Goethen wohl weniger darum zu tun, dies zu erfahren, als mir auf eine artige Weise zu verstehen zu geben, dass er meine Herbstreise nach Skandinavien kenne. Um deshalb bildete ich mir übrigens nicht ein, daß er das Buch gelesen habe, aber es ist schon genug, wenn ein Dichter im achtzigsten Jahre, und ein Goethe, der jüngeren Literatur nicht fremd bleibt und von allen Erscheinungen, sei es auch durch unvollkommene Freundesmitteilungen, Notiz nimmt. Dieselbe milde, anerkennende Tendenz im ganzen Gespräche, das ebendeshalb keine leuchtenden Punkte und keine schroffen Spitzen- bot, die besonders in der Erinnerung geblieben wären. Hindeutungen auf eine allgemeine europäische und Welt-Literatur, eines der Lieblingsthemata in seinem noch von Phantasien umgaukelten Lebenswinter, traten auch hier in der Unterhaltung heraus. Nicht enttäuscht und nicht berauscht, angenehm gesättigt trat ich aus der heitern Stube, aus dem freundlichen Hause. Das Bild des edlen Greises, in dessen Zügen noch volle Erinnerung an die Götterkraft seiner Jugend blitzte, begleitete mich. Alle Bilder, die damals von ihm existierten, und die mir nachher zu Gesicht kamen, drücken das nicht aus, was ich gesehen. Das Bild ist noch jetzt nicht verschwunden, die teure Reliquie von einem Manne, wie ein nächstes Jahrhundert keinen zweiten hervorbringen wird. Es war das letztemal, daß ich Goethen gesehen habe.
Abb.: Stich von Adolf Neumann, 1872.
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