Nancy Hünger – Rede zur Verleihung des Literaturstipendiums Harald Gerlach 2015

Person

Nancy Hünger

Ort

Erfurt

Thema

Debatten

Externe Informationen

Thüringer Literaturstipendium »Harald Gerlach« des Freistaats Thüringen

Autor

Nancy Hünger

Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Meine sehr ver­ehr­ten Damen und Her­ren, liebe Fami­lie, liebe Freunde,

ver­zei­hen Sie, denn ich weiß, es ist unüb­lich, dass die Sti­pen­dia­ten eine Rede hal­ten, sich vor­laut zu Wort mel­den, gerne hätte ich Ihnen einige wenige Gedichte aus dem maro­den Berg­werk mei­ner ein­fäl­ti­gen Schreib­pra­xis – Lore um Lore – zutage geför­dert oder einen Aus­zug aus dem aus­ge­preis­ten Pro­jekt vor­ge­tra­gen, aber da ich im Kirs­ten­schen Dunst­kreis, im Wei­ma­rer Odem, mein Hand­werks­zeug sor­tie­ren lernte, habe ich mich dage­gen ent­schie­den, gegen meine Schwei­gena­tur, der es so wun­der­bar zupass käme, nur einen ver­schüch­ter­ten Dank vors Publi­kum zu hau­chen, um mich sogleich hin­ter mei­nen Tex­ten zu ver­ste­cken, wo näm­lich, was gern ver­ges­sen wird – vor lau­ter nir­gendwo – der ange­stammte Platz des Dich­ters ist, aber weil die Gele­gen­hei­ten sel­ten und weil es ein klei­nes Jubi­läum gibt und weil ich Wulf Kirs­ten gerade für seine Kunst der Rede bewun­dere, die alle Gele­gen­hei­ten ins Per­sön­li­che und Über­per­sön­li­che und des­halb gera­den­wegs ins Poli­ti­sche ver­kehrt und weil es so viele wei­tere »weils« gibt, will ich ganz in sei­ner Manier den Anlass nut­zen und Sie müs­sen meine plötz­li­che Rede­laune nicht nur ver­zei­hen, son­dern wohl oder übel aussitzen.
Ich feiere in die­sem Jahr ein klei­nes Jubi­läum, vor zehn Jah­ren hatte ich meine erste Lesung, fand mich ein uner­schro­cke­ner Ver­le­ger, habe ich mit der Arbeit an mei­nem ers­ten Band begon­nen. Ich wusste nicht, was pas­siert, wel­che Wen­dun­gen und Haken­schläge mein Leben neh­men würde. Vor zehn Jah­ren habe ich mich ganz unbe­darft an einen Band gewagt, ohne Fall­tür, ohne Hin­ter­ge­dan­ken und – wich­ti­ger noch – ohne Autor­schaft als schrift­stel­lende Lebens­pra­xis. Wie­wohl das Dasein als Schrift­stel­ler, diese schil­lernde poe­ti­sche Exis­tenz, mir ehe­dem nie eine Ange­le­gen­heit der Berufs­be­ra­tun­gen oder Job­ver­mitt­ler schien, nein, Schrift­stel­ler war ein Prä­di­kat, eine Ver­hei­ßung, Schrift­stel­ler nannte man sich nicht, son­dern wurde man genannt, Schrift­stel­ler, das waren und sind die ande­ren, die Hel­den in mei­nem Bücher­re­gal: Beckett, Nizon, May­rö­cker, Chris­ten­sen oder Hil­big bei­spiels­weise. Schrift­stel­ler waren und sind jene, die Unter­tage krie­chen, in den Dun­kel­grund der Spra­che, um unter wid­ri­gen Bedin­gun­gen, ver­geb­li­che Ker­ben in eine unbe­leuch­tete Ewig­keit zu krat­zen, wäh­rend die Kanari tot in den Käfi­gen wesen und die Gru­ben­lam­pen all­mäh­lich erlö­schen. Schrift­stel­ler waren und sind noch immer jene, die alles set­zen, nicht wäh­len zwi­schen schwarz oder rot, son­dern Null spie­len, weil das Ver­lie­ren-wol­len-kön­nen-und-müs­sen, ange­sichts der Genien not­wen­dige Grund­vor­aus­set­zung ihrer Dich­tung ist, eine Dich­tung, die nichts weni­ger denn Kunst ist, und die, inso­fern sie uns Leser abseits der Wühl­ti­sche und Best­sel­ler-Kleb­chen unver­hofft und uner­war­tet ereilt, unser Lese­le­ben links- und rechts­herum dreht, uns durch die alpi­nen Hänge des Herz­ge­bir­ges scheucht, bis kein Wört­chen, kein Silb­chen mehr selbst­ver­ständ­lich über unsere Lip­pen klap­pert. Und wer sich sonst noch Schrift­stel­ler nannte und unter­hal­tend im gebrauchs­fer­ti­gen Erzähl­ge­schäft die Schmö­ker plot­tete, die Dia­loge fri­sierte, Kos­ten-Nut­zen-kal­ku­liert die neus­ten For­sa­er­geb­nisse ins Tag­werk hin­ein­krampfte, um das dumpfe Nar­ko­ti­kum reins­ter Unter­hal­tung um ein klei­nes wei­te­res But­zen­werk zu berei­chern, wer also schlicht sein Wör­ter­un­we­sen trieb, den bannte ich ein extra Fach, das Fach der Autoren. Denn Autor wer­den und Autor sein, schien mir immer eine Frage für Job­ver­mitt­ler und Berufs­be­ra­tun­gen, Rat­ge­ber und Arbeits­amt. Und ich, ich war weder das eine, noch wollte ich das andere, ich war 10 Jahre jün­ger und pfuschte gerade mei­nen Erst­ling zusam­men, der durch­aus mein Letzt­ling hätte sein kön­nen, denn es war ein­fa­ches, schlich­tes Glück, das Glück von Ort und Stelle, ein mär­chen­haf­ter Stoff also, an dem andere – Mar­tin Straub, Gisela Kraft oder Helge Pfan­nen­schmidt – flei­ßig zu weben schie­nen, wäh­rend in mei­nen Hän­den trotz sozia­lis­ti­scher Hand­ar­beits­kurse noch immer kein Faden durchs Nadel­öhr will.
Was mit die­ser Fügung, die­ser glück­li­chen Leich­tig­keit begann, die mir zugleich auch anma­ßend und unver­schämt schien, weil man nun für einen Hün­ger zah­len sollte, weil mein Geschreib­sel, das mir selbst schnell, schnell in die Höl­len des Unwerts hin­ab­rast, nun plötz­lich zwi­schen zwei Buch­de­ckeln kon­ser­viert wurde, webte sich unauf­halt­sam wei­ter, fuh­ren die Schiff­chen durch mein Leben hin­durch und ver­strick­ten mich zuse­hends in etwas, das mir Lese­stoff aus einer ande­ren Welt, mir dilet­tan­ti­schem Nach- und Lei­se­tre­ter, unbe­greif­lich war: die poe­ti­sche Exis­tenz, die eine Sprach­exis­tenz, eine reine Wort­exis­tenz ist, unduld­sam gegen alle äuße­ren Stö­run­gen, sogar gegen die Liebs­ten, die Freunde, die Fami­lie sich rich­tet, gegen runde Geburts­tage, Tau­fen oder Erst­kom­mu­nion, ein lau­tes Arbeits­veto ein­legt, rück­sichts­los, unein­sich­tig gegen alle lebens­ver­län­gern­den und lebens­prak­ti­schen Maß­nah­men. Wo nur hin mit die­sem bio­gra­phi­schen Hokus­po­kus, wer­den sie sich nun fra­gen, genau auf dies, die poe­ti­sche Exis­tenz, die bis­wei­len gna­den­los und vor allem eines, mit­leid­los mit all jenen ver­fährt, die sich an ihr ver­su­chen. Diese Exis­tenz ver­streicht gerne im Wach­schlaf vier Uhr mor­gens, wenn man sich allein in der Trost­lo­sig­keit zer­wühl­ter Hotel­bet­ten, im Muff einer deut­schen Pro­vinz­stadt wie­der­fin­det, deren wahr­haf­ti­ges Vor­han­den­sein man zuvor nicht ein­mal ahnte, diese Exis­tenz ist eine Erfin­dung der deut­schen Bahn und der Kof­fer­in­dus­trie, eine Kara­wan­se­rei, Lebens­form eines fah­ren­des Vol­kes, das Bücher, illu­mi­nierte Schau­bu­den der täg­li­chen Ver­zwei­fe­lungs­kunst, von einem Ort zum ande­ren schleppt, schlep­pen muss, um gegen ein paar läp­pi­sche Gro­schen das Unglück des ver­geb­li­chen Anschrei­bens aus­zu­stel­len, dabei soll die­ses Völk­chen, das an chro­ni­scher Ver­häus­li­chung und Men­schen­scheu, einer Schreib­tisch­exis­tenz krankt, oben­drein bere­det, aus­kunfts­freu­dig wie die Aus­kunft selbst, char­mant und doch cha­rak­ter­voll, zurück­ge­zo­gen, aber welt­of­fen, hand­zahm, aber doch wild sein, Sie ahnen, diese Exis­tenz ist ein unent­wirr­ba­res Knäul aus inne­ren Uner­träg­lich- bis­wei­len Unmög­lich­kei­ten und äuße­ren Unver­schämt­hei­ten. Die Schiff­chen rasen hin­durch und weben flei­ßig am Stoff, der plötz­li­che Lebens­stoff Lebens­form wird, bevor man sich ver­sieht, führt man eine Nadel, liegt man ver­näht mit zer­sto­che­nen Hän­den und auf­ge­fä­cher­ten Augen im zer­wühl­ten Hotel­bett, vier Uhr mor­gens, am Rande der Welt oder in Zwi­ckau und hat schon wie­der die Zahn­bürste ver­ges­sen, weil sie noch in der Wasch­ta­sche für mit­tel­große Lese­rei­sen steckt und man ver­gaß, sich mit einer vier­ten aus­zu­rüs­ten. Man hofft, dass man um sechs Uhr mor­gens ein schlech­tes Früh­stück bekommt, kurz nach Haus darf, um Wäsche zu waschen, Bücher zu packen, eine Zahn­bürste zu kau­fen, die Katze zu füt­tern, damit die Kara­wan­se­rei von vorn begin­nen kann. Dass diese Arbeit, die tat­säch­lich Arbeit im empha­ti­schen Sinne loh­nens­wert ist, steht außer Frage, aber sie lohnt lei­der nicht. Also legt man sich einen Zweit‑, Dritt- und manch­mal auch Viert­job zu, um den Not­stand, das lebens­not­wen­dige Mini­mum auf­recht zu erhal­ten, für die Milch­mäd­chen unter uns, ein Job pro Zahn­bürste, und unmerk­lich beginnt der Stoff zu rei­ßen, lösen sich all­mäh­lich die Fäden, wer­den brü­chig und mürbe, fei­ert die poe­ti­sche Exis­tenz einen Auf­stand, streikt, legt die Arbeit, die Wör­ter – alle und ein­zeln – lahm. Was tut man, man kün­digt den Not­stand, Zweit‑, Dritt- und Viert­job auf und kriecht, wenn es gut geht mit staat­li­cher Schüt­zen­hilfe und ein paar Kanari unter Tage, in den Dun­kel­grund der Spra­che, da die Gru­ben­lich­ter fla­ckern und die Luft so wun­der­bar knapp ist, dass man für ein gelun­ge­nes, gefun­de­nes Ein­zel­wort im Wortgan­zen, im Tau­mel der Tie­fen­sucht, gern den gan­zen Atem ver­schwen­det, und alle geüb­ten Kri­mi­le­ser ahnen es bereits, die Kanari wer­den ster­ben, die Gru­ben­lich­ter erlö­schen und die Geschichte beginnt von vorn, solange unser fast schon rühr­se­lig nai­ver Dich­ter, der im Namen eines empha­ti­schen und unmo­di­schen Lite­ra­tur­be­griffs, die Kraft erwirt­schaf­ten kann, in diese Tie­fen ohne Sauer­stoff­ge­rät hin­ab­zu­stei­gen, um allen lebens­er­hal­ten­den Not­wen­dig­kei­ten der Ober­welt sein bit­ter­fröh­li­ches Adieu zuzu­ru­fen. Gut, gut wer­den Sie ein­wen­den, aber auch schwarz, schwarz gese­hen, schlecht geblickt, denn noch nie waren ja so viele Schrift­stel­ler grund­ver­sorgt, noch nie usw., die Lesun­gen, diese ganze gut dotierte Schau­stel­le­rei. Gut, gut, wende ich ein, aber auch rot, rot gese­hen, schlecht geblickt, denn meine Berg­leute, die Schrift­stel­ler und Dich­ter sind auf wenige Aus­nah­men unter­ver­sorgt, ver­sorgt sind nur die Plot­ter und Fri­sie­rer, die Gebrauchs­künst­ler des »Er-Sie-Es-sagte«, ja, ja die Fern- und Funk­ar­tis­ten, deren Däum­chen so hübsch in die media­kon­for­men Schraub­zwin­gen der Betrieb­lich­keit pas­sen, die aus­kunf­st­freu­di­ger sind als die Aus­kunft selbst, denen der Dun­kel­grund der Spra­che nur Mythos und der Kunst­be­griff ein ana­chro­nis­ti­sches Glau­bens­zeug­nis einer bour­dieu­schen Bour­geoi­sie ist. Erin­nern wir uns an mei­nen bio­gra­phi­schen Buden­zau­ber: Wir fei­ern also zehn Jahre und mit­hin auch so manch abge­bro­chene, geschei­terte, zer­bors­tene Dich­ter­bio­gra­phie lie­ber Kol­le­gen und – viel wich­ti­ger noch – Freunde, die nicht allein am eige­nen Anspruch schei­ter­ten, das ist unser frei gewähl­tes Los, gewiss – son­dern schlim­mer – an den bil­li­gen, pro­fa­nen lebens­prak­ti­schen Not­wen­dig­kei­ten der Ober­welt, die summa sum­ma­rum nur ein paar Gro­schen zäh­len, weit­aus weni­ger als der Min­dest­lohn, aber genug, um im Berg­werk nicht zugrunde zu gehen. Kom­men wir also, liebe geschun­dene Aus­sit­zer, zum Ende, ich danke herz­lich für die­ses Sti­pen­dium, das mir einen so lie­ben Namen trägt, das ich Leise- und Nach­tre­ter nicht ein­mal in Gänze ver­dient habe, da ich dem eige­nen Anspruch so maß­los unter­le­gen bin, dass mir schon beim Abstieg ins Dun­kel einst­wei­len die Luft aus­geht, und weil es so viele »weils« gibt und die Gele­gen­hei­ten so sel­ten und ich als unglück­lich Beglückte zu Ihnen spre­chen darf, die zehn Jahre nur mit min­der­gro­ßen Bles­su­ren, dank der lie­be­vol­len Für­sorge Mar­tin Straubs, Helge Pfan­nen­schmidts, und beson­ders mei­ner Fami­lie und Freunde, über­stan­den hat, danke ich vor allem mei­nen Liebs­ten und bitte um Ent­schul­di­gung für jeden ver­pass­ten Geburts­tag, jede Unpäss­lich­keit, jede Nach­läs­sig­keit in mei­ner Schwes­ter-Kind-Freun­din-Enkel­pflicht. Und wo viel Dank ist, muss es auch ein Bitte geben, das mir nicht leicht­fer­tig über die Lip­pen will, ich häng ja so gern der Vor­stel­lung eines auto­no­men Selbst, mit allen Erhal­tun­gen, Ver­ant­wor­tun­gen und Auf­op­fe­run­gen nach, doch genügt es manch­mal nicht, gehen einem zwi­schen allem Aus­ge­dinge die Kräfte aus, benö­tigt man staat­li­che Schüt­zen­hilfe, die nicht abrei­ßen, nicht schwin­den, keine Frage der Pro­fi­ta­bi­li­tät wer­den darf, was auch und im Beson­de­ren für die Arbeit der Ver­mitt­ler, Für­spre­cher und Unter­stüt­zer gilt, jene Hand­voll reni­tent Lite­ra­tur­gläu­bige, die selbst­los der Mit­ka­ra­wan­se­rei durch die Pro­vin­zen und Metro­po­len nicht müde wer­den, alle­samt Mit­kof­fe­rer, Mit­schlep­per, Mit­er­lei­der, ohne die auch nur die Vor­stel­lung einer poe­ti­schen Exis­tenz, gleich­wohl das Lite­ra­tur­land Thü­rin­gen unmög­lich, also unvor­stell­bar wäre, so unvor­stell­bar wie mir eine Welt ohne Lite­ra­tur, ohne Kunst, die, um es, mit Ver­laub, unmög­lich zu ver­kür­zen, doch das letzte zweck­freie Refu­gium unse­rer des­avou­ier­ten, sub­al­ter­nen Exis­tenz dar­stellt. Denn sie wis­sen doch, was blei­bet aber, stif­ten die Bergleute.

Haben Sie vie­len Dank.

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